Der Hausverkauf. Der Wasserträger.
Beyde Stücke, dem französischen
nachgebildet, wurden zum Benefiz der Madam Unzelmann mit entschiedenem Beyfalle
gegeben.
Es muß durchaus auffallen, daß
seit drey Monaten, wo die neue Nationalbühne eröffnet ward, weder ein neues
Schauspiel noch ein Lustspiel gegeben ward, welches original deutsch gewesen wäre.
Ja, wir sehen sogar nicht einmal einem entgegen, denn die französischen Kleinstädter
von Kotzebue, nach la petit ville von Picard**,
wird wahrscheinlich seinem Gegenstücke, den deutschen Kleinstädtern
vorausgehen. Wir führen dies nicht als Vorwurf an, sondern wir erwähnen es als
einen Beweis der Sterilität des deutschen Bodens in Hinsicht auf das Comische,
und als einen Beweis, wie sehr der Zeitgeschmack, welchen ein Genie
hervorzaubert, gleich mit einer Art von Anbetung von der ganzen Nation
ergriffen, und namentlich von den Dichtern, sclavisch befolgt und nachgeahmt
wird. Denn seit Schiller einen neuen tragischen Geist erschaffen, sind Regulus
und Ion bereits hervorgegangen, und wer weiß, ob nicht die ganze Mythologie,
zusammt der Geschichte des Alterthums neu wird tragerirt werden? – Auffallend
bleibt es dabey, daß niemand es wagt, etwas dem Donauweibchen ähnliches hervorzubringen.
– Schämen sie sich? des Beyfalls, zumal des lärmenden, hat sich noch keiner
geschämt; oder verzweifeln sie, es ihm gleich zu thun?
Vor Einseitigkeit des
Genusses des Publikums, vor Einseitigkeit des Studiums die Künstler, vor
Einseitigkeit der Tendenz die Bühne zu bewahren, ist ein Verdienst der
Direktion, und so ist es sehr zu rühmen, daß sie die Früchte des Auslandes
aufrischt, wo es keine einheimische giebt. Wir sind, eine ernsthafte, wenn man
will grämliche Nation, aus unserm Leben sind Scherz und Munterkeit entflohn,
also auch von unserer Bühne. Selbst Göthe’s Preisausgabe [!] scheint nicht ein
einziges Stück hervorgebracht zu haben, welches der Erwähnung vor dem Tribunal
würdig gefunden wäre. Es ist demnach sehr heilsam, daß der Scherz des Auslandes
uns zu Theil wird, damit wir nicht verlernen, Spas zu verstehen.
Der Hausverkauf nach dem
französischen la maison a vendre, ist ein sehr artiges Nachspiel, welches durch
den gefälligen Stoff und die leichte Behandlung desselben sich empfiehlt. – Wir
ermüden das Sujet anzugeben, obschon das Stück seine Reize behält, auch für
den, welcher damit bekannt ist. So viel wir wissen, ist dies die erste
schriftstellerische Arbeit des Hrn. Herzfeld, der als Mitglied der Direktion
und als Schauspieler zu Hamburg lebt. Um so mehr müssen wir die Schlankheit und
Geschmeidigkeit des Dialogs bewundern, die sonst nur der Erfolg langer Uebung
zu seyn pflegt.
Das Stück wurde gut gespielt.
Nur an dem ersten Tage hatte Herr Iffland die Gefälligkeit, den Breitfuß zu spielen.
Er versteht es, auch das Unbedeutende zu heben. Nachher spielte sie Hr.
Reinwald. Die Tante war Mlle. Döbbelin, die Nichte Mad. Fleck, Malbach Hr.
Bethmann, und Lindau Hr. Schwadtke, der durch eine feine Jovialität, die sich
immer in den Gränzen des zarten Anstandes hält, und überhaupt durch ein
munteres Spiel von den übrigen interessirte.
G.
** Von diesem Stücke, welches neuerdings hier auf dem
Theater des Prinzen Radzivil im Original gegeben ward, wird unser nächstes
Blatt, so wie von Gozzi’s Turandot, die nach Schillers Bearbeitung nächstens
auf unserer Bühne kommen wird, eine umständliche Nachricht erhalten.
Nationaltheater: Hausverkauf, Der (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/101.
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