Am 11ten April Axur, ein Singspiel in vier Akten. Madame Lippert, die vor einem Jahre von dem hiesigen Theater ab und nach Hamburg ging, sang heute als Gastrolle die Astasia und gefiel. Ihre Stimme ist rein, stark und ausdrucksvoll, und ihr Vortrag vollkommen verständlich und nicht mit Manieren überladen. Selbst die verdammliche Sucht zu vergleichen bemühte sich heute umsonst, solche Mängel an Madame Lippert zu entdecken, welche Stof zum gerechten Tadel hätten geben können, und der eigensinnigste Bewunderer unsrer fast vergötterten Schik, mußte doch gestehen, daß Madame Lippert den Muth haben dürfe, ihr eine Rolle nachzusingen. - Herr Franz als Axur hat uns sehr gefallen; es scheint uns, als wenn das Publikum zu kalt gegen diesen Mann sei und ihn nicht nach Verdienst zu schatzen wisse. Wenn es doch einmal so geneigt ist, den Werth eines Schauspielers oder Sängers durch Vergleichung mit andern zu bestimmen, so muß nach diesem Maasstabe Herr Franz außerordentlich gewinnen. Er verbindet mit einer großen, schönen Gestalt eine deutliche wohltönende Stimme; er spricht in keinem fremden, für uns widerlichen Dialekt, sein Baß ist nicht von großer Tiefe aber angenehm, sein Vortrag geschmackvoll und sein Spiel zwar nicht lebhaft aber rein und natürlich. Es fehlt ihm vielleicht nur an Dreistigkeit, an Zuversicht um bei weitem mehr zu leisten, als er, schüchtern und ohne aufmunternden Beifall, wirklich leistet.
Wir besitzen wenig so geniale dramatische Produkte, der Dichtung sowohl, als der Musik nach, darum wäre eine öftere Wiederholung zu wünschen. Auch ist an Axur für angehende Theaterschriftsteller und Tondichter viel zu studiren, von dem es Schade wäre, wenn es in Vergessenheit geriehte. Man betrachte z.B. den Gang des Stücks. Es fesselt sogleich die Aufmerksamkeit; spannt die Neugier immer höher; läßt das Interesse keinen Augenblick fallen; - dann sieht man überall lebendige Handlung, einen Anstrich des Romantischen; die Katastrophe führt sich tragisch herbei; - ferner giebt es viele seltsam überraschende, und bei dem freien Styl, den Beaumarchais wählte, auch komische. Und zu alle dem sind nur ganz einfache Mittel aufgeboten. Eine Leidenschaft (die des Königs) mit Liebe und Treue im Kampf, an der sowohl selbst, als an ihren Umgebungen, alles kräftig charakteristisch gezeichnet ward, bewegt das ganze dramatische Getümmel. Und, was eben merkwürdig ist, nirgends wird die Phantasie mystisch aufgeregt, sie wird vielmehr im Einweihen in die gauklerischen Mysterien eines Volks verspottet, und nur der Verstand beschäftigt. Dessenungeachtet so großes Interesse. Schwerlich würde ein neuerer deutscher Operndichter ein ähnliches Problem zu lösen wagen; lieber suchte er im Reich der Visionen, Idole, und Geister sein Heil. – Eben so giebts in der Musik eine gewisse Oekonomie, die mit wenigem viel zu leisten weiß, und eine Eigenthümlichkeit, die die sorgsamste Beachtung verdient, um so mehr als Salieri sie selbst in seinen späteren Werken nicht mehr erreicht hat. – Madame Schick (Astasia) führte ihre Rolle in hoher Vollendung aus. Sie folgte dem Feuer der Composition überall mit ihrem durchdachten Vortrage. Gesang und Spiel erschienen gleich ausgezeichnet. – Herr Eunike (Tarar) dessen künstlerischer Gesang allen Beifall fand, könnte in Darstellung der Affekte ungestümer und freier gewesen seyn. – Von der Vertraulichkeit des Tyrannen und Oberpriesters, ließ sich mehr Feinheit der Behandlung wünschen, wenigstens verfährt man auf den französischen Bühnen dabei ganz anders. – Herr Ambrosch gab den Biskroma (seine alte Rolle) wieder, und sehr brav. / – p –
Nationaltheater: Axur (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/107.
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