Den 16ten, zum erstenmal: / Fanchon, das Leyermädchen,
Operette in drei Akten, nach dem Französischen von Kotzebue, mit Musik vom
Kapellmeister Himmel. / Die Idee des Originalstücks beruht auf eine für wahr
ausgegebene Anekdote, nach welcher eine interessante Savoyarde in Paris durch
ihre Reize, durch ihre Tugend und ihren Gesang, so zur Mode wurde, daß sie das
Vermögen gewann, eine elegante Haushaltung zu führen, und Charakter genug
behielt, um sich ihres Glücks nicht zu überhetzen, und ihr Gewerbe
fortzusetzen. Nach der heute dargestellten Bearbeitung zu urtheilen, ist dies
Süjet aber nicht ganz so glücklich behandelt worden; als möglich wäre. Sie hat
indeß sehr interessante Momente, und der Dialog ist lebhaft und witzig. Der
Gesang besteht beinah einzig aus kurzen Liedern, die von dem rühmlichst
bekannten Componisten mit sehr reitzenden Melodieen versehen sind, in deren
Vortrage aber meistens die deutliche Aussprache der Worte zu sehr
vernachlässigt wurde, ohne welche sie nicht ihre volle Wirkung leisten konnten.
Durch charakteristische Darstellung leisteten Mad. Unzelmann, als Fanchon, Hr.
Eunike als Eduard, ihr verkleideter Liebhaber, - Hr. Beschort als Saint Val,
Herr Gern als Abbe Lataignant, Mad. Eunike als Fiorine, und Demoiselle Mebus
als naives Bürgermädchen etwas sehr Vorzügliches. Auch belustigten Herr
Unzelmann, als Tapezier Martin und Herr Weitzmann als Fanchons Bruder durch
komische Laune. Den lauten Beifall aber theilte das Ganze mit einem neuen
Vorhange, der in den Zwischenakten den verblichenen Apoll, mit seinen acht
Musen, heute zum erstenmal ablösete, und der, wie auch die Zeichnung der
einzelnen Figuren seyn mag, von so schönem malerischen Effekt ist, daß er den
längst anerkannten Talenten des Herrn Verona Ehre macht. Indessen mögte es wohl
schwer seyn, die ausgeführte Idee, einer zur Jagd vom Olymp herabsteigenden
Diana, und ihres Gefolges, mit der Bestimmung des Vorhanges in zweckmäßige
Verbindung zu denken. Man setzt sich daher besser ganz darüber weg.
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Nicht nur als Befriedigung des vielgeäußerten Wunsches, auch anderweitig war es höchst angenehm, grade jetzt Fanchon wieder zu sehn. Es führt zu ungemein lehrreichen Vergleichungen, und deutet auf die Verhältnisse eines Operndichters und Komponisten zu einander hin. In den seltenen Fällen, wo zwei Meister zusammen treten, gelingt gewöhnlich das Ganze sogleich; da bedarf es der Empfehlungen, Erläuterungen u. s. w. gar nicht, die Sache wirkt durch sich selbst, und will auch der Partheigeist tadeln; sobald es öffentlich zur Sprache kömmt, erringt das Kunstwerk den gebührenden Preis. Dies hat man in frühern Zeiten bei den Hillerschen Opern, den Bendaschen, späterhin bei Reichardts Geisterinsel und Himmels Fanchon gesehn. Bei allen diesen Produkten standen zwei Meister da. Ein anderes ists aber mit einem Meister und einem Anfänger. Da will das Werk denn durchaus die gehoffte Wirkung nicht thun, der Meister ist zu beklagen, da des Anfängers Unvollkommenheit unabwendbar mit auf ihn übergeht. Was thut denn der Componist für den Text? Er giebt der roheren Statue die vollendende Politur. Der Bildner mußte ihr aber die Urform der Schönheit anerschaffen, was frommt ihr sonst der stralendste Glanz. Bekleidet mit der prächtigsten, geschmackvollsten Draperie eine Mißgeburt, sie wird nie den Vortheil einer edlen Haltung erlangen, und indem hier und da ein Höcker oder ein Mißverhältniß den Faltenwurf verschiebt, trifft der Tadel die Bekleidung selbst mit; der Mißgeburt aber ist durch den Putz nicht geholfen, ihre Entstellung wird vielmehr nur noch sichtbarer. Umsonst rufen auch die Freunde derselben: aber hier ist doch ein schöner Finger, ein schöner Fuß, darauf muß man sehn! Der Ruhm ward verwirkt. Wie lautet nun die allgemeine Lehre, die ganz natürlich, und zum einleuchtendsten Vortheil beider Künstler sich hier entwickelt? Der Meister suche den Meister auf. / Madam Bethmann (Hannchen) ward mit jubelnder Freude empfangen. Eben so Herr Beschort, der den Saint-Val wieder so vollendet mit seiner feinen trefflichen Conversationsmanier gab. Statt Herrn Rebenstein, der einen Bluthusten hat, gab Herr Weitzmann den Andre. Die ganze Darstellung des trefflichen doppelten Meisterwerks verdiente volles Lob, und des Publikums Dank, welches wieder so zahlreich als ehedem zuströmte. Man hat uns zu einem zweiten Theil Fanchons Hoffnung gemacht. Dies wäre dem genievollen Componisten eine Gelegenheit, abermals ohne Widerspruch seltnen, hohen, gerechten Ruhm zu erstreben. – Die heutige Wiedererscheinung des Lieblingsstückes zeichnete sich unter andern auch durch manche vortheilhafte Aenderung im Kostüme aus. St. Val und Francarville erschienen in neuen, pracht- und geschmackvollen Uniformen; vorzüglich der erste war eine schöne Erscheinung. Florine hatte sich eine Soubrettenkleidung gewählt, die wohl die passendste war, in der noch ein Kammermädchen auf unsrer Bühne erschien. – Auch das gehört zu den Verbesserungen, daß Fanchon heute nicht umgekleidet erschien, da sie vom Tische kam.
Mlle. Eunike
Hr. Stümer
Hr. Blume
Hr. Gern
Mad. Böheim
Hr. Weitzmann
Hr. Labes
Hr. Unzelmann
Mll. Gern
Hr. Holzbecher
Mad. Eunike
Hr. Kaselitz
Hr. Benda
Hr. Berger
Nationaltheater: Fanchon (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/128.
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