Den 26. Junius. Die neuen Arkadier, heroisch-komisches Singspiel, Musik von Franz Süßmayr. Welcher Terkaleon schwebte über Thaliens Tempel, als ein Erdgebohrner diese Musterkarte menschlichen Unsinns zusammenflickte? Nicht einmal das Verdienst der Neuheit im abgeschmackten Genus hat dieser heroisch-komische Tollhäusler, die Zauberflöte liegt so sichtbar zum Grunde. Wenn ich einen betrunknen Menschen unzusammenhängendes, tolles Zeug schwatzen höre, entschuldige ich es mit der Verworrenheit seiner Sinne, der Unthätigkeit seines Verstandes. Aber wenn ein Poet in seinen Unsinn Methode legt, wenn er Harlekin und Jupiter, Teufel und contrât-social, Vipernfänger und Aristokratismus in einen Topf wirft, und mit der Brühe elender Poesie beschüttet, so verdient er ins Irrenhaus gebracht, und mit Nießwurz kurirt zu werden. Solche Mißgeburten der Phantasie eines Skriblers, durch Musik, Maschinerie u. dergl. aufgeputzt, schaden dem gesunden Menschenverstande des gemeinen Haufens. Es ist schädlich, die undenkende Menge zu gewöhnen, Worte ohne Verstand, Fiktionen ohne Sinn anzuhören. Will man dem Volke das Denken ganz abgewöhnen, (wie einige menschenfreundliche Staatsmänner dafür halten) so ist es das zweckmäßigste Mittel, solche Schickanedersche Opern oft gratis spielen zu lassen. Soll aber der große Haufen gegentheils durch das Theater zu verständigen Begriffen und gesundem Geschmacke gelangen, so müssen sich alle Theaterdirektionen verbinden, so abscheuliche Beleidigungen des Menschenverstandes künftig nicht mehr zu protegiren. Die österreichische Nation ist ihrer besondern Geistigkeit wegen nicht berühmt; man hielt sonst die Brandenburger für ein weniger sinnliches und mehr geistreiches Volk. Aber solche Opern müssen den Geschmack der Nation lähmen und verderben. Die schönste Musik macht solchen Unsinn nicht lobenswerth. Herr und Mad. Unzelmann sind zu bedauern, daß sie ihre Talente an solchen Nichtswürdigkeiten verschwenden müssen. Herr Franz Süßmayr ist übrigens kein Mozart.
Dies Produkt einer regen, wiewohl vom Ungeschmack geleiteten Phantasie, war lange nicht gegeben worden. Da es aber des Anziehenden viel hat, so bringt es bei seltner Aufführung gewöhnlich ein volles Haus. Madame Schick, Filania, bezaubert den Musikliebhaber durch ihren trefflichen Gesang, besonders durch die eingelegte Arie von Righini. Der Freund der Laune wird durch den Vipernfänger befriedigt, und wer das Abentheuerliche liebt, findet auch seine volle Rechnung. Liebhaber dieser verschiedenen Dinge finden sich nun in einer großen Stadt, daher wirds auch immer entschuldigt bleiben, daß so was auf die Bühne kömmt, bis einmal der bessere Geschmack in der Mehrzahl herrscht. Sind aber dazu wohl nahe Aussichten?? Man denke an die Zeiten zurück, wo der ältere Döbbelin sich weigerte, die Operetten von Weisse und Hiller zu geben, weil sie seiner Behauptung nach, wider den wahren guten Geschmack verstießen, und nur in der Hoffnung sich in das Verlangen darnach schmiegte: daß die Zeit es von selbst durch ihre höhere Ausbildung stillen würde. Hätte man es damals wohl geglaubt, daß man in dreißig Jahren die Arkadier, die Donaunymphe, das Neusonntagskind u.s.w. würde sehen wollen? Und strebten seit der Zeit und früher die Literaturbriefe, Baumgartens unbegründete Geschmackslehre mit allen ihren Bereicherern, Lessings und anderer Dramaturgien, und unzählige Schriften der Art, nicht eifrig genug höher? Was ward jedoch bewirkt? Und was läßt sich vielleicht nach dreißig Jahren vermuthen? Apoll bewahre vor einer ähnlichen Progression, wie die von den Weisseschen Operetten zu den genannten Produkten! – Heut hätte sich leicht ein Unglücksfall ereignen können. Ein Seil an der Maschine, worauf Juno erscheint, war schadhaft, und Madame Lanz, die diese Rolle giebt, stürzte herunter, zufällig ohne Schaden. Dies beweist, daß unsre Maschinerie noch fehlerhaft ist. Zu Paris auf dem Theater de l’ambigu comique und auf andern, werden ganz außerordentliche Dinge geleistet, und man hört nicht, daß etwas mißräth. Man bedient sich aber der feinen Metalldräthe zu den Schwebungen. Diese scheinen hier noch nicht eingeführt. Dabei ist die Gefahr weit geringer; wenn sie nehmlich in so großer Anzahl vorhanden sind, daß sie wenigstens dreifach die Last halten können, die man ihnen zu tragen giebt. Auch die Täuschung wird durch sie befördert, da sie nicht so sehr ins Auge fallen als Seile. – n –
Nationaltheater: neuen Arkadier, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/146.
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