Vollständiger und
unwiderleglicher läßt sich nichts documentiren, als Hr. Zschokke seine gänzliche
Unfähigkeit zum dramatischen Dichter durch dieses lächerliche Stück dargethan
hat. Ehemals, da man nur Sachen druckte, die lesens werth waren, pflegte man
die Bogen nach dem Drucke öffentlich auszuhängen, und den Vorübergehenden eine
Belohnung für jeden Fehler zu bieten, den sie entdeckten. Man könnte eine Prämie
aussetzen für denjenigen, der die Abwesenheit irgend eines möglichen
dramatischen Verstoßes in diesem Stücke nachwiese, und brauchte schwerlich
etwas auszuzahlen. Schon das ist schwierig zu bestimmen, welches der größeste
Fehler ist, ob die abentheuerliche Unmöglichkeit der Handlung, nein, der Avantüren
des Stücks, oder das psychologische Allerlei, der Charakter des Abällino, der
den Helden mit der Schnellfingrigkeit eines Cartouche spielt, sich auf die
zweideutigste Weise von der Welt, Verdienste zusammen stiehlt, jetzt die
Bestialität begeht, seine Geliebte als Bandit durch Liebkosungen ohnmächtig zu
schrecken, jetzt mit ihr empfindet. – Doch wann würde man fertig werden, wenn
man alle Widersprüche dieses spitzbübischen ehrlichen Mannes aufzählen wollte.
Von den Lächerlichkeiten des Dialogs zu sprechen, wäre überflüssig. – Wer sich
erinnert, daß Abällino einmal Rosamunda mit dem biblischen Spruche: Gott ist
die Liebe! aufmuntern will, einen glücklichen Ausgang ihrer Liebschaft zu
hoffen, wird fühlen, daß sich nichts Stärkeres, als diese Anführung ist, sagen
läßt.
Man könnte es Herrn Mattausch
nicht übel nehmen, wenn er diese Rolle eben nicht con amore spielte: aber er
verdient Dank dafür, daß er seine Stimmung nicht deutlicher verrieth. Er
spielte sowohl die Banditenscenen als die, in denen er Flodoardo ist, sehr
brav, jene mit dem gehörigen Grade von Wildheit, diese mit dem entsprechenden
Anstand und Gefühl. Nur in der letzten Scene ließ er sich vielleicht ein Paar
kleine Unachtsamkeiten zur Schuld kommen. Mdlle Eigensatz nahm die Rosamunda
nicht jugendlich-naiv genug, übrigens machte sie sie nicht übel. Herr Lemke
bewies als Parozzi, daß man ihm, ohne Gefahr, wichtigere Rollen als bisher
anvertrauen könnte. Die übrigen Rollen wurden sehr häufig falsch gesprochen.
Das ist in einem Stücke, das blos durch die Darstellung einigen Werth erhalten
kann, noch unverzeihlicher als sonst.
R.
Nationaltheater: Abällino (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/154.
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