Es wird in diesem guten alten bleibenden Stücke manches Gute geleistet; aber – das Ganze der Vorstellung gleicht einem Korrekturbogen, an dessen Rande so viele Makel schon notirt worden sind, daß nichts mehr angezeichnet werden kann. Es ist zu hoffen, die Schauspieler werden nun einen andern Druck mit sorgfältigerer Form liefern. Mann kann nicht sagen, daß sie mit dieser Vorstellung dem gegenwärtigen Verfasser schmeicheln wollten.
Noch in keiner Rolle entwickelte Madame Sebastiani so viel Talent für Darstellung des häuslichen Lebens, und eiferte der Vorgängerin so glücklich nach, als in der Oberförsterin. Die Wahrheit der Mutterliebe, das Fügen in des Mannes Launen, das friedliche Schlichten der Zwiste, die Redseligkeit, das muntre Regiment der Oekonomie, das schwere Wegwerfen des Vorurtheils, alles das malte sie mit Zügen aus, die oft die Bühne vergessen ließen. Ihr gegenüber stand Hr. Herdt (Oberförster), der den kräftigen Charakter und die individuelle Sitte wie ein einsichtsvoller praktischer Künstler zeichnete. Dazu der immer mit allem jugendlichen Feuer, und reinem ländlichem Sinn dargestellte Anton des Herrn Mattausch, und die schöne Tiefe des Gemüths an Friederike, die Madame Fleck mit dem innigsten Ausdruck umfaßt, und die ganze Familie Warberger riß mit aller der Täuschung hin, die das Ziel des bürgerlichen Schauspiels seyn muß. Es ließ sich überhaupt fast nichts als Gutes von der heutigen Darstellung sagen. Auch hörten wir eine neue Ouverture, und eine eigends zu den Jägern verfertigte Zwischenaktsmusik, die den Charakter sehr brav ausdrückte, und von vielen Fähigkeiten des Komponisten zeugt. Bekanntlich forderte schon Lessing in der Dramaturgie in diesem Betracht mehrere Genauigkeit. Bei den größeren Trauerspielen verfährt unser Orchester dabei auch sehr zweckmäßig, und ist die Musik nicht durchaus neu dazu, (wie bei Regulus, der Jungfrau, Tell, u.s.w.) so ist die Auswahl der alten Symphonien dem Stücke angepaßt, wie bei Maria Stuart u.a. Bei einem bürgerlichen Schauspiel war das aber heute wohl zum ersten Male der Fall, und strenge genommen, dürften wohl auch außer den Jägern wenige seyn, wo ein Componist deutliche Winke für sein Verfahren findet. - p –
Bei Gelegenheit des bekannten Schauspiels: Die Jäger. Von Iffland. Gegeben den 19ten Julius. / Wenn es wahr ist, daß der Zweck der Musik in den Zwischenakten der Schauspiele der ist: die Gemüthstimmung, in die der Dichter durch die Macht der Darstellungskunst seine Zuhörer versetzt hat, oder versetzt haben will, von einem zum andern Akt zu fixiren; so sind die Freunde erwähnten Schauspiels, und selbst der Dichter, unserm Königl. Kammermusikus Herrn Schneider, vielen Dank schuldig, welcher dies Schauspiel mit einer neu komponirten, und heute zum ersten male mit vollständiger Besetzung der Instrumente, aufgeführten Musik beschenkte. Sie ist zweckmäßig! Dies eine Wort ist schon genug zum Lobe dieses theoretisch- und praktisch-geschulten Tonkünstlers. Das Orchester hat nur bei wenigen bedeutenden Stücken eigene Musik, und muß daher sehr oft leidige Zuflucht zu Symphonien nehmen, die nicht für diesen oder jenen Zwischenakt, nicht für dieses oder jenes Schauspiel, sondern nur für einen Konzertsaal und dessen Zuhörer berechnet sind. Hieraus entstehen dann öfters große Fehlgriffe, und der fühlende Zuhörer muß mit einer Thräne im Auge, die seiner Wehmuth kurz vorher die Darstellungskunst entlockte, eine hell aufschreiende komische Menuet, oder ein lustiges Rondo mit anhören, das seine Gemüthsstimmung, statt zu nähren, empfindlich stöhrt, und eben so den Komponisten zwingt, dem Dichter geradezu entgegen zu arbeiten, wodurch auch sein Produkt einbüßt. Dieser Fehlgriffe werden nun nach und nach immer weniger seyn; denn hoffentlich werden die bleibenden Kunstwerke eines Lessing, Schiller, Iffland und Kotzebue, künftig eigene Musik bekommen, und die bessern deutschen Theaterdichter werden, wenn sie durch Aufführung ihrer künftigen Werke ihrem Vaterlande nützen wollen, sich an denkende Tonsetzer anschließen. – Würdige Tonkünstler! Ein neues Feld öffnet sich Euren Talenten! Die Bahn ist gebrochen! (Schon Belohnung genug für den, der die erste Veranlassung gab.) Man zeige, daß die Tonkunst hoch genug gestellt ist, um auch bei den Zwischenacten der guten Theaterdichtung wirksam zu seyn. Es ist eine würdige Gelegenheit, Euer Nachdenken und Andenken zu erhalten, das durch die anschaulichsten Erfahrungen sehr bald verdienstlich geschätzt werden wird. – Bei oben erwähnter Musik wird bemerkt, daß die drei letzten Noten zwischen dem 1sten und 2ten Akt entweder weggestrichen oder piano gespielt werden möchten.Daß der Komponist hier die Freundschafts Tonart G dur wählte, ist sehr zu loben. – Ferner, daß zwischen dem Fallen des Vorhangs und dem Anfang der Musik keine, vielweniger eine so lange Pause herrschen möchte, während mehrere Musiker, und besonders die Musik-Liebhaber, sich so gern am naiven Präludium, und außerordentlich starken Stimmen belustigen. Es sind im Orchester so viele dafür sprechende Beispiele, wo die Musik mit dem Fallen des Vorhangs ihren Anfang nimmt, und nur dadurch ihrem wahren Zweck entspricht, warum geschieht dies nicht immer? und besonders hier, wo Dichter und Komponist Hand in Hand gehen, und so gern alles zu einem angenehmen Ganzen zu verbinden suchen. – Hierzu gehört noch, daß der Vorhang nicht so oft während der Musik aufgezogen werden sollte, (Ein Uebelstand, der wohl eine Abänderung verdiente,) und dann die Bemerkung, daß dergleichen Kompositionen prima vista gespielt, und nicht zuvor die sich findenden Schreibfehler berichtigt werden, damit man mit dem richtigen u. gleichgehaltenen Zeitmaße erst vertraut werde. Die sogenannte Schlußmusik nach dem letzten Akt schadet jedesmal, es sey denn, daß sie mit der Theaterscene in Verbindung stehe. Es wäre für die Zuschauer gewiß – besonders bei diesem Schauspiel – weit angenehmer, wenn sie ohne dieselbe das Schauspielhaus verließen – Der Verfasser überläßt es einem jeden, die Wahrheit hierin selbst aufzusuchen. / - - - ch.
Vgl. die Rezension in der Haude-und Spenerschen Zeitung vom 31.07.1806. Der
Wortlaut ist identisch.
Den 19ten: Die Jäger. / So
oft die Jäger gegeben werden (und warum werden sie es nicht öfter?) entdeckt
man neue Schönheiten in ihnen; der Geist wird durch neue Ansichten
unterhalten, das Herz von neuen Gefühlen ergriffen. Alle Charaktere sind so
treffend dargestellt, so fein nuancirt, so richtig durchgeführt, daß auch so
genannte Nebenrollen Wichtigkeit erhalten, und bei dem geründetsten Ensemble
die Frage entsteht: Welches ist eigentlich die Hauptrolle? Man fällt zwar
gleich auf den Oberförster; aber Weib, Sohn, Pflegetochter, Prediger,
Amtmann etc., spielt nicht alles eine Hauptrolle? könnte einer wegbleiben,
ohne daß eine Lücke, ein Riß im Gemälde entstände? Wäre die
Familienunterredung am Ende des 4ten Aktes kürzer, wäre der 5te Akt so
gelassen worden, wie er zu Flecks Zeiten gegeben wurde, so bliebe mir
wenigstens nichts zu wünschen übrig. Doch freilich, jene friedliche, ruhige
Unterredung, jene stille vor dem Gewitter, sollte den unerwarteten Schlag
desto unerwarteter machen, gehörte also in den Plan des Verfassers. Nur der
gegenwärtige 5te Akt ist viel kälter, als es der vorige war. Dort zweifelte
man an der Unschuld des Sohnes; daher nicht bloß die Angst vor der Strafe
allein, sondern vor verdienter Strafe; daher das Bitten und Flehen bei dem
Amtmann, die angebotene Vermögensschenkung (weit natürlicher, als
Cordelchens mit dem Vater verabredeter und dem Prediger zugesteckter
Heirathsplan); daher die rührende Scene Antons im väterlichen Hause; daher
das Niederfallen, das Gottdanken des Vaters im Augenblick der erkannten
Unschuld. Hier bestätigt sich nur, was er in seinem Herzen, was er in den
Augen seines Sohnes las; hier schwebt er nicht zwischen Furcht und Hoffen:
hier will er zum Fürsten und die Gefahr ist bei weitem nicht so groß; er ist
nicht in der Hand des Amtmanns; er ist in der Hand seines Sohnes. - Warum
aber schließt ein so moralisch-wahres Stück nur mit des Amtmanns Schande,
nicht mit dessen Bestrafung? Weniger wahr, aber von größerer dramatischer
Wirkung wäre es vielleicht gewesen, wenn Matthes, durch den Amtmann
bestochen, auf Anton ausgesagt hätte, und auch diese Schändlichkeit
herauskäme. Daß dieses Stück ganz vortrefflich gespielt wird; daß sogar
Bärbchen ihre Rolle vollständig durchführt, daß man selbst bei den
gewohntesten Stellen durch das schöne Spiel der Spielenden immer
Wirklichkeit vor sich sieht, daß vorzüglich Mad. Sebastiani sich ganz in
ihre Rolle hineingedacht und gearbeitet hat, daß man darüber ihre
Vorgängerinnen vergessen kann, brauche ich nicht zu sagen, und sage es doch
zum Überfluß so gern.
Hr. Herdt
Mlle. Döbbelin
Hr. Rebenstein
Mlle. Maaß
Hr. Berger
Mad. Herdt
Hr. Labes
Hr. Wauer
Hr. Gern S.
Hr. Leidel
Hr. Holzbecher
Hr. Kaselitz
Mlle. Hudemann
Mlle. Schwach
Hr. Reinwald
Hr. Bessel
Hr. Benda
Hr. Rüthling S.
Nationaltheater: Jäger, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/160.
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