In dieser Rolle glänzte Flecks Genius auf der Höhe
seiner Herrlichkeit. Es gereicht Hrn. Mattausch zur Ehre, daß er auf der
Bahn des großen Vorgängers sich versucht. Das Publikum hat jeden Beweis des
Fleißes, der Kraft und des Nachdenkens gerecht und billig mit lautem Beifall
belohnt. Wer ein großes Kunstwerk öffentlich nachbilden soll, muß bei dem
ersten Versuche, durch manche Erinnerung, Besorgniß und vertheilte
Aufmerksamkeit, in einem sehr angespannten Zustande seyn. Eben deshalb wird
es Pflicht, eine solche erste Darstellung nicht für das anzunehmen, was der
Künstler leisten kann und hat leisten wollen. Hr. Mattausch hat für diese
Heldenrolle die Gestalt, das Organ und Empfindung, darum bedarf es nur,
diese mit Haltung zu verwenden, und das Meiste wird erreicht seyn. Lieber
stille Kraft als Lautheit. Der hochflammende Zorn ist ein dichterisches
edles Wesen; das Wüthen hat eine Gränze, wo es Kraftlosigkeit wird. Hr.
Mattausch hat dem Publikum einen Beweis seines Bestrebens gegeben, u. dieses
hat ihm dagegen Beweise seiner Gerechtigkeit widerfahren lassen. Demoiselle
Mebus gab heute einen deutlichen erfreulichen Beweis ihres Fortschrittes in
der Kunst. Sie spielte die Kunigunde mit Anstand, Wahrheit, Bescheidenheit
und Empfindung. Die Uebergänge von einem Gedanken zu andern waren fein, aber
bestimmt angedeutet, und ihre Accente hatten eine gefällige und überdachte
Auswahl. Wer die sogenannten kleinen Rollen ins Leben ruft, beweist seinen
Beruf für bedeutende Rollen. Hr. Böheim, als Kaiser Philipp, hat gerechte
Ansprüche auf die Erkenntlichkeit der Zuhörer. Er that alles Mögliche, dem
schwachen Fürsten einen Anstrich des rechtlichen Mannes zu lassen, und
suchte lieber den Mann von Stande zu geben, als daß er in bemessener
Etikette dem Philipp von Schwaben das Lächerliche eines Kartenkönigs hätte
anhängen wollen. Alle Schauspieler haben sich bestrebt, die Vorstellung zu
beleben. Nicht alle mit gleichem Glück, doch alle mit gleichem Willen.
Der heutige Abend bewährte das längst erkannte Verdienst dieses fehlerlosen, kraft- und schönheitsvollen Stückes aufs neue. Es vereinigt das politische Interesse für das Ganze mit dem individuellen Interesse für die einzelnen, auch noch so unbedeutenden Theile. Die Begebenheit ist ebenso anziehend als die Personen. Alles, bis auf die kleinsten Nebenumstände, greift zu einander, ist sorgfältig, nicht ängstlich, natürlich und simpel, nicht künstlich und gesucht, auf das Ganze berechnet. Es scheint eine Gallerie von Gemählden zu seyn, und ist doch nur Ein schönes, großes, erhabenes Gemählde. Man fühlt sich wohl und leicht bei den edlen alten Sitten, und ihrer treuen anschaulichen Darstellung. Man lebt, man athmet in der Vorwelt. Alles so anspruchlos, so wahr, so eingreifend! Selbst die Wiederholung der schöngesagten Stellen, von denen, die sie schön und stark fanden, wie ästhetisch fein u. richtig! Und nun Dank, öffentlicher Dank (Dank ist hier mehr als Lob) Herrn Mattausch, der durch seine vortreffliche Handlung uns in Ottos Jahrhundert versetzte. Er, an Kraftäußerung, an Leidenschaftlichkeit, an Gestalt, der deutsche Talma, an Organ, Natur, Gefühl, Begeisterung mehr als Talma, und unsres Flecks glücklicher Nachhall! Auch den alten Reuß, auch den Kaiser sieht und hört man gern! selbst die Kälte der beiden Töchter ist der Erziehung ihres Jahrhunderts angemessen, und scheint hier am rechten Ort zu seyn. Der ältere Sohn Otto’s war beim Abschiede ganz Sohn. Würden doch oft solche Stücke, und würden doch alle so gegeben! Wäre doch Deutschland gegen seine wahren Meisterstücke, gegen seine echten Nationalschätze so dankbar, wie England und Frankreich! Wären ihm doch Töne und Tänze nicht mehr wert als Ernst und Vernunft! Modeabwechslung im Geschmack nicht mehr werth, als ein fester richtiger Geschmack!
Nationaltheater: Otto von Wittelsbach (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/166.
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