Das Ballet: Don Quichotte auf Gamachos Hochzeit ist ganz dazu geeignet, den wenigen Geschmack, der bisweilen noch in deutschen Parterren spuken soll, zu ermorden. Gehört es zur besten Theaterwelt, daß in einem deutschen Nationaltheater, ubi ridentur et corriguntur mores, die schönen und häßlichen Füße der Tänzerinnen, und ihre übrigen Reize, der schaubegierigen Jugend in allen möglichen Tendenzen, zur Beförderung der guten Sitten und der Kenntniß des weiblichen Körpers gezeigt werden; wozu der methodische Unsinn, der abgeschmackte Inhalt, womit man die Pas der Tänzer und Tänzerinnen verbrämt? Die Erfinder dieser Ballette scheinen wirklich zu glauben, daß Charakter, Inhalt und Menschenverstand in den Fratzen sey, die sie mit der Benennung: Pantominen, heroische, komische Ballette beehren. Die alten guten Farcen: Harlekin als Bettler, Harlekin als Friseur u. a. m. waren ungleich besser und unterhaltender; denn sie erfüllten ihren Endzweck, durch Maschinerie, Tanz und burleske Intriguen zu amüsiren, und verlangten nur als niedrig komische Unterhaltung, bey der man allenfalls lachen könne, angesehn zu werden. Aber diese Balletmeister wollen Empfindungen, Leidenschaft, Charaktere und — wo möglich, Ifflandschen Dialog durch ihre Possen, ihre Sprünge, ihre Gruppen darstellen. Sie lassen Inhalte drucken, in denen jedes Wort steht, das der geistvolle Figurant mit den Füßen scharrt, oder mit den drathpuppenmässig bewegten Armen schlenkert. Sie theilen Rollen aus, setzen die Namen der Künstler dabey, theilen ihre Fratzen in Akte und Scenen ein, und äffen ganz das wirkliche Schauspiel nach. So weit sind wir noch nicht. Die Tanzkunst ist noch in der Wiege, und bey uns wenigstens, noch sehr weit entfernt, der Schauspielkunst in Darstellung menschlicher Handlungen, Leidenschaften und Gedanken nacheifern zu können. Diese Tänzer und Tänzerinnen qualificiren sich auch weit mehr, die Burlesken von Harlekin und Kolombine, Pantalon und Skaramutz zu tanzen, als solche heroischempfindsame Scenen. Ihre Bewegungen sind zum Theil sehr steif, ihre Gesticulation mechanisch auswendig gelernt, ihre Sprünge von aller Grazie entblößt, und man bemerkt zu deutlich die Angst vor dem Balletmeister in der Kulisse. Der Herr Scalesi überzeugt uns zwar durch seine Seiltänzersprünge, und die lebhafte Verzerrung in den Bewegungen seines Körpers, von der durch Uebung großen Kraft der menschlichen Muskeln; allein mitten unter seinen wüthenden Capriolen, und dem unsinnigen Klatschen der Menge, das ihn immer wüthender springen macht, drängt sich unwillkührlich die Frage dem vernünftigen Zuschauer auf: Wozu diese Kinderpossen? Kann man bey diesen von Anmuth und Grazie entblößten Sprüngen weinen oder lachen? Werden die Sitten, oder der Verstand, oder das Herz dadurch verbessert? Sind wir in einem Nationaltheater, oder in einer Gaukelbude, in welcher letzteren man keine Ansprüche an den Verstand macht? Doch — diese letztere Frage dürfen wir nicht zu laut thun; die Verfasser der mehresten bey uns beliebten Operetten bleiben uns gleichfalls die Antwort schuldig. Das Publicum würde sie am Ende den Verfassern solcher Possen schuldig werden. Und so mag Herr Scalesi mit gefärbtem schwarzen Gesichte und rothen Lippen sich in einem salto mortale auf das Dach des Tempels der Unsterblichkeit hinaufschwingen, ohne sich den Fuß zu verrenken! — Wir bemerken nur noch, daß in den Sommerlustbarkeiten, die Schneider, die Bedienten und die Friseure am täuschendsten dargestellt wurden, und daß im Don Quixote, die Pferde, durch verkleidete Menschen dargestellt, viel Charakter in ihr Spiel legten. Das unmäßige Lachen der Gallerie, und die stumme Bewunderung, die erstickten Seufzer des Parterre bewiesen, daß sie ihren Zweck nicht verfehlt hatten.
Es wird auf den Pariser Bühnen häufig ein Ballet gegeben, das Les Nôces de Gamache heißt. Ob es dieselbe Bearbeitung der in Don Quixote geschilderten Bauernhochzeit ist, auf welcher der witzige Fresser Sancho Pansa sich so glücklich fühlte, weiß ich nicht. Der Inhalt des hier gegebenen ist aus einer andern Novelle des Cervantes, die aber auch im Don Quixote steht: ein Bauer will seine Tochter einem reichen Freier verheirathen; ob sie gleich schon einen andern liebt, willigt sie endlich doch ein. Ehe indeß die Copulation vor sich geht, erscheint der gelauschte, thut als ob er sich aus Verzweiflung tödtlich verwundete, und fordert als letzten Trost, daß man ihn, den Sterbenden, noch mit der Braut verbinden soll. Dem Sterbenden gewährt man seinen Wunsch, doch kaum ist das Geschehen, so steht er gesund da und umarmt fröhlich seine junge Gattin. Der reiche Freier will sich nicht darein ergeben; er zieht den Degen, aber Don Quixote überwindet ihn, und zwingt ihm die Einwilligung ab. Diese Fabel füllt nur ein paar Scenen; die meisten sind ländliche Lustbarkeiten, die bei Gelegenheit der Hochzeit angestellt werden, und Späße, zu denen die Abentheuerlichkeiten des Ritters von der traurigen Gestalt und seines gefrässigen Knappen Anlaß geben. Manche dieser Späße war ein wenig platt; die meisten Scenen waren zu lang, vorzüglich die Figuranten; eine und die andere Prunkscene mislang und das Ganze wurde zu langsam ausgeführt: daher verließen viele Zuschauer das Haus vor Beendigung des Ballets, und von den Zurückbleibenden bezeugte ein großer Theil sein Mißfallen durch Pochen. / - p
Den 20sten: Das Portrait des Cervantes. Don Quichotte auf Gamacho's
Hochzeit. (Ein Ballet.) / Diesen ganzen Abend brachten wir in Spanien zu.
Spanische Sitten, spanische Kleidung, spanische Tänze, spanische Musik. Nur
die Spanier von Geburt, die hier leben, beklagten sich, daß sie nicht in
ihrem Vaterlande wären. Vestris pflegte zu sagen; Den Bolero (Spanischer
Volktanz) kann ich nicht, den kann nur ein Spanier tanzen. So kleidet die
spanische Tracht auch nur Spanier und Spanierinnen: so ist eine deutsche
Duenna keine Spanische, ein deutscher Sancho kein spanischer. Dieses
abgerechnet wurde das Portrait gut gespielt und das Ballet gut getanzt. Herr
Unzelmann machte den Scheintodten ganz anders wie im neuen Jahrhundert, und
bewies dadurch den Reichthum seiner Laune. Herr Labes machte ihn - zu
natürlich; man sah bisweilen ungern hin. Hr. Herdt als Maler Murillos,
(welcher übrigens, 1603 geboren, den 1616 gestorbenen Cervantes nicht hat
mahlen können) gab den Trunkenen minder gut als seine übrige brave Rolle.
Madame Fleck spielte einnehmend, und Dlle. Mebus mit gelungenem Fleiße. Auch
die übrigen Rollen wurden brav durchgeführt, nur war die geschwätzige Duenna
zu berührig; man denkt sich bei einer Duenna immer ein Alter von 50 - 60
Jahren. Das Ballet schien nicht recht einstudirt: dies bewiesen ein Vorfall
auf der Bühne und ein Vorgang in der Coulisse. Dlle. Hentschel zeigte sich
nicht bloß im Tanz als eine Künstlerin von Werth, sondern auch in der
Pantomime, als Schauspielerin von Geist und Gefühl. Don Quichottes Anstand
war zu jung und zu rasch.
Nationaltheater: Don Quixotte auf Gamacho's Hochzeit (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/170.
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