Wir besitzen vielleicht nur das
eine Werk in der deutschen Literatur, wo das ländliche harmlose Leben mit so
viel Wahrheit, und dennoch anziehend gezeichnet wäre. Indem man die
Pachterfamilie in ihrem häuslichen Treiben und den Verhältnissen der einzelnen
Theile zueinander erblickt, glaubt man sie immer schon irgendwo wirklich
gesehen zu haben. Margarethe vorzüglich scheint die treue Copie eines lange
bekannten Originals. Dabei ist es bewundernswerth, in der Organisation des Stücks
die Kontraste, so scharf sie auch sind, doch mit solcher Ungezwungenheit und
Anspruchlosigkeit herbeigeführt zu haben. Darum ist hier auch für das Studium
angehender Theaterschriftsteller ein reicher Stoff vorhanden. – Was der Dichter
so glücklich erfand, supplirt noch glücklicher der Schauspieler. Hofrath
Reinhold gehört zu Ifflands meisterhaftesten Darstellungen; sie darf ihren
Platz neben den schwungvollsten Charakterrollen nehmen, weil der coerzitive
Gehalt das Hinreissende der lauteren, glänzendern Leidenschaftlichkeit ersetzt.
Iffland legt auch bei weitem mehr hinein als sein Vorgänger, dem gewöhnlich das
erste geniale Auffassen einer Eigenthümlichkeit genügte. Mit nicht minderem
Genie der Zeichnung, aber viel vollendeterem Kolorit steht Iffland da. Im
ersten Auftreten giebt er sich gleich als den fehlbaren, aber durch die Umstände
in eine ihm fremde, kalte Beklommenheit gepreßten Mann. In seinem Blicke liegt
es, daß er lange etwas suchte aber nicht fand. Wer das Stück zum Erstenmale
sieht, ahnt aus Ifflands ganzer Haltung sicher schon gleich seinen Zustand.
Fleck stand hier nur noch gleichgültig da. Eben so treflich ist Ifflands
Verhalten gegen die Schwester, wo Gutmüthigkeit den männlichen Sinn in Schwäche
umgewandelt hat; sein Haupt ist immer etwas gebeugt, man sieht, daß auch die
lange Gewohnheit ihn nicht mit dem Peinlichen in diesem Verhältnisse aussöhnen
konnte. Wenn die gefällige Larve Zufriedenheit ausdrücken soll, so wird sie
unwillkührlich durch melancholische Trauer getrübt. Was er von anderen über
Ehelosigkeit hört, und Beziehungen auf ihn hat; so stumm er die letzteren
aufnimmt, so viel Sprache tritt in das lebendige aber scheue Auge. Unendlich
malerisch ist die Stellung, wo er des Pachters häusliches Glück betrachtet, und
grade an seiner Armuth einen Maasstab desselben findet. Am anziehendsten ist
die Gradation, wo mit der Liebe auch Freiheit des Gemüths über ihn kommt, und
er nun den Standpunkt findet, wohin er längst gehört hätte. Auch die
entschiedensten Verehrer Flecks müssen gestehn, daß er hier an künstlerischen
Feinheiten viel übertroffen wird. – Madame Fleck gab heute die Margarethe. Sie
bot ihr ganzes liebenswürdiges Talent auf, und empfing großen, ungetheilten
Beifall. – Madame Sebastiani (des Hofraths Schwester) gab die engherzige alte
Jungfer mit vieler Wahrheit. Herr Herdt (Consulent Wachtel) und Herr Reinwald
(der Bediente) trugen das ihrige zum Vollenden der braven Darstellung fleißig
bei.
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Nationaltheater: Hagestolzen, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/204.
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