Ein Gelegenheitsstück, hat als solches gewisse Vorrechte, die es gegen die
strenge Kritik schützen, eben weil die gegebene Gelegenheit die Freiheit des
Dichters in der Komposition oder Ausführung beschränkte. Es ist nicht allein
die Bestimmung des Stückes, welches dazu ausersehen war, das neue
Nationaltheater zu eröffnen, was uns zu der Voraussetzung berechtigt, die
Kreuzfahrer als Gelegenheitsstück zu betrachten; sondern auch die ganze Wahl
und Behandlung des Stoffes, welche freier und loser ist, als das regelmäßige
Drama sie dulden mögte, und so ganz auf das Aeussere und dessen Glanz
berechnet, als es bisher den Dichtern nur bey den Opern erlaubt zu seyn
schien. / In dieser Hinsicht entspricht es seinem Zweck vollkommen und die
Wahl der Direktion ist deshalb durchaus zu billigen. Das Stück giebt dem
Decorateur einen fast ununterbrochen, glänzenden Anlaß, seine Kunst geltend
zu machen, die Scene des Stückes, die Gegend von Nicäa führt romantische und
prachtvolle Darstellungen herbei, und in dieser Hinsicht ist es nicht zu
tadeln, wenn in einem Augenblick, wo eine neue Bühne ihre ganze Kraft und
Tiefe einem erwartungsvollen Publico vor die Augen legen soll, die Handlung
selbst durch Aufzüge und Märsche verzögert wird, welche z. B. im Anfange des
dritten Actes der Fall ist, wo unter einer angenehmen Janitscharen-Musik
Truppen über eine Brücke ziehen, welche über das ganze Theater hingewölbt
ist, eine Zögerung, die wohl nur in der Oper, als auf ihrem Platze, geduldet
werden könnte. / Die Dekorationen von der Hand des Herrn Verona verrathen
den Meister, sie haben Kraft, Reichthum, Mannigfaltigkeit und Glanz,
besonders zeichnet sich die Dekoration mit der Brücke im Mittelgrunde und
der Aussicht auf die Stadt Nicäa, ferner der vom Monde beleuchtete Vorplatz
der Kirche der Hospitaliterinnen vor den übrigen aus. [...] / Das Stück
selbst hat eine interessante, obschon vielleicht zu romantisch verwickelte
Handlung, die weniger im streng fortschreitenden Zusammenhange, als in ihren
Hauptmomenten und kräftigsten Situationen gegeben ist. Die Charaktere sind
großentheils mit Tugend überladen, vorzüglich der Emir, welchen Hr. Ifflad
vortrefflich spielte und der Ritter Balduin, in dessen Darstellung Herr
Beschort Kunst und Kraft entwickelte. Unter den Uebrigen zeichneten sich
Madam Meyer als Aebtissin und Madam Unzelmann als Pilgrin aus. Das Stück ist
in Versen geschrieben und sie tönten dieses Mal mehr hervor, als wir es
sonst zu hören gewohnt sind. Es mag unentschieden bleiben, ob es des
Dichters oder der Declamatoren Schuld war? Je mehr das Stück seiner ersten
Bestimmung entsprach, um so weniger dürfte es sich eine lange Dauer auf der
Bühne versprechen.
Nationaltheater: Kreuzfahrer, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/22.
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