Baron Hainau ist, als reicher
Erbe, mit einem Kopf voll neu ästhetischer Verschrobenheit, und einem starken
Hange zur Verschwendung, von der hohen Schule auf die ihm zugefallenen
väterlichen Güter zurückgekehrt, wo er, durch Hülfe einiger Schmarotzer, die
seine Thorheit mißbrauchen, in Jahresfrist, so tief in Schulden verwickelt
wird, daß die Justiz sich veranlaßt sieht, ein Prodigalitäts-Verfahren wider
ihn zu eröffnen. Als Mit-Commissarius ist hiezu der benachbarte
Landschafts-Direktor von Altfeld beauftragt, mit dessen Tochter Hainau ehemals
in Herzensverbindungen gestanden, und der noch nicht die Idee aufgegeben hat,
in ihm seinen Schwiegersohn zu sehn, da Hermine ihn fortdauernd liebt, während
dessen Hainau im Begriff steht, eine ästhetisch vernärrte Jüdin zu heirathen
u.s.w.
Dies sind die Verhältnisse,
die den Knoten der Handlung schürzen, in deren Grundzügen freilich der
Verschwender prädominirt, durch grelles Colorit aber manche Frivolität der
neuern Aesthetik und Gräcomanie so herausgehoben wird, daß diese Nebenzüge den
Fleiß des Zeichners erschöpft zu haben scheinen. Der ungenannte Verfasser, hat
in diesen Blättern schon selbst, mit einer sich ehrenden Bescheidenheit über
seine Arbeit gesprochen. Zwar schließt die angeblich neue Form; der Mischung
von Ernst und Scherz – die Nothwendigkeit der von ihm Selbst gerügten Fehler
und Mängel so wenig in sich, als die Ingredienzen seines Virtuosen Pral, zu
einem Damen-Punsch, dem Kitzel jedes Männergaums hinderlich seyn würden, oder
als eine Neuheit des Punsches durch Verschiedenheit des Verhältnisses der
Mischung dieser Stoffe constituirt wird, – in sofern nicht jede individuelle
Form für eine neue zu achten ist. – Auch wäre er dieser ganzen Entschuldigung
besser überhoben gewesen, wenn er die Form der reinen Posse gewählt hätte, in
welcher manches unbedingt passend gewesen wäre, was jetzt Nachsicht fordert. –
Indessen enthält das Stück so viel Frohsinn, Witz und Laune, daß der Gott des
Lachens die Kritik entwafnet. Die vorzüglich gute Besetzung
sämmtlicher Rollen vollendet die gefällige Wirkung des Ganzen. In denen von der
erstern Gattung – freilich die undankbarsten! – zeichnen sich Herr Iffland als
von Altfeld, und Madame Schröck als Hermine eben so interessant aus, als in den
humoristischen die Herrn Beschort, Mattausch und Unzelmann, als Baron Hainau,
Professor Wütig, und Virtuos Pral. Demoiselle Mebus d. A. liefert in der
hyper-ästhetischen Daja ein Muster des treffend-comischen, ohne mindeste
Carikatur; – und das übrige, für einzelne Benennung zu zahlreiche, Personal,
von der Göttin der Liebe und den heiligen neun Musen bis auf die Landreiter –
trägt zweckmäßig das seinige bei, den Zuschauer in froher Laune zu erhalten,
wobei es merkwürdig ist, die erste Künstlerin deutscher Bühne in einer kleinen
Nebenrolle figuriren zu sehn. Indessen erscheint sie auch hier als
Schauspielerin – par excellence.
– r –
Baron Heinau hat vor bezogener Universität und bei seines Vaters Lebzeiten
mit der Tochter eines benachbarten Landraths das Band der Liebe geknüpft.
Seines Vaters Tod macht ihn zum reichen Erben; die schiefe Richtung seiner
Studien, zum Narren, der Griechenland auf seine Fluren, seine Reden, in sein
ganzes Wesen verpflanzen will. Er läßt nun seine für ihn viel zu
empfindsame, viel zu deutsche Braut sitzen, und verliebt sich in eine
ästhetische Assonanzenjägerin, in eine Jüdin. Ein Kapellmeister, der
Flasche; ein Naturphilosoph, dem Spiel; ein Baumeister, dem Geize ergeben,
theilen sich in ihm, wie in ihre Beute. Sein Reichthum verschwindet, er soll
festgenommen werden. Die zärtliche Hermine will ihn retten, ihr Vater ihn
bessern. Sie wählen dazu die Stunde des triumphirenden Einzugs der jüdischen
Braut, die, sobald sie von Heinaus zerrütteten Glücksumständen hört, ihrem
ersten Liebhaber, dem jüdischen Gläubiger des Barons, sich in die Arme
wirft. Diesen, da er unheilbar scheint, verläßt erst der Vater, und endlich
auch die Tochter. / Diesem ernsthaften Texte sind hier und da zu scherzhafte
Noten untergelegt, die sich wohl für ein Singspiel schicken, nicht aber zu
einem Lustspiel passen. Als Nachahmung italienischer Stücke, wo alles aufs
Lachen berechnet ist, wo Arleqin weint, damit der Zuschauer lache, könnte
dieses für ein Verdienst gelten. Allein das Stück führt den Titel eines
Originals, und versündigt sich daher manches Wortspiels, durch manche
Episode gegen die vaterländische Manier. Es ist ein Gemisch von Witz und
Satyre darin; nur scheint die Satyre bisweilen zu örtlich, oder wohl gar
persönlich, der Witz zu sehr auf die gute Laune des Parterres berechnet, und
mit zu wenigem Kostenaufwand angeschafft worden zu seyn. Wären mehrere Züge,
wie die Erscheinung der Gerichtsdiener, als Heinau die Göttin des Schicksals
herbeiruft; oder wie seine Freunde über den Don Quixotte, seine Wuth über
das gute Herz; oder wie die Assonanzen auf dem Triumphwagen ; oder wie das
Abtreten den größern Fehler der Unwahrscheinlichkeit, der Nullität gewisser
handelnder Personen, und den viel zu locker angelegten Plan abrechnen. Doch
ein so wenig ernsthaftes Stück zu ernsthaft beurtheilen wollen, hieße selbst
in einen dieser größern Fehler fallen. Ueberdieß ist bei dem überfüllten
Hause ein großer Theil des Gesagten, viel von Heinau's, viel von Herminens,
sehr viel von Pral's Rolle verloren gegangen. Herr Iffland zeigte sich in
beiden Scenen mit Heinau als Freund und Feind, als Vater und Mensch. Dlle.
Mebus und Herr Schwadke, Hr. Unzelmann und die beiden Schauspielerinnen
ergötzten. Die übrigen Rollen waren meistens undankbar, vorzüglich die
Hauptrolle. Der Dlle. Mebus gelang die ihrige am besten. Sie wurde mit
Beifall aufgenommen, und die Künstlerin herausgerufen. Sie hätte in
Assonanzen danken sollen. Auch der Tanz wurde schön ausgeführt, und die
Musik trug jedesmal die Farbe des auszumahlenden Gegenstandes.
Der Verfasser des Lustspiels: die Griechheit kann nicht umhin, selbst etwas über sein Stück zu sagen. Er hat eine neue Form gewählt, in der sich Ernst und Scherz gatten. Wohl ist ihm bewußt, daß die Kritik berechtigt ist, sehr viel daran zu tadeln. Die Regeln der Einfachheit, der Ründung der Fabel, und viele andre, sind durchaus verletzt. Der erste Akt gleicht mehr einem Prolog, als daß er nothwendig da stände. Die Hauptfigur h a n d e l t zu wenig, das Ende befriedigt nicht. Die (eigentlich einer gewissen Art italienischer Farzen nachgebildeten) Mißverständnisse und Wortspiele, stellen sich dem Vorwurf der Plattheit blos. Alle diese Fehler, die der Rüge nicht entgehn werden, sind dem Verfasser vollkommen bekannt, aber sie waren, bei dem Problem, das er zu lösen suchte, diesmal nicht zu entfernen. / Es bedarf übrigens keiner Erläuterung, daß das levantische Fruchtsystem eine Allegorie seyn soll, auch hier keineswegs ein Streit gegen Poesie und Geschmack, sondern wider schöngeisterische Übertreibung erhoben wird – doch über einen andern Umstand muß sich d. V. noch erklären. Mit Bestürzung vernahm er, daß manches darin auf Ereignisse, selbst auf Individuen gedeutet wird. Auf das bestimmteste feierlichste betheuert er, daß ihm dergleichen nie nie in den Sinn kam. Es ist alles nur scherzhafte Erfindung, nichts nichts aus dem wahren Leben gemeint. Einige vielleicht im Allgemeinen treffende Züge veranlassen den Irrthum. Am mindesten soll das Stück irgend Jemand weh thun, und es liegt auch am Tage, daß das Bild eines Verzerrten, mit der Gesammtheit wozu der Einzelne gehört, nicht das mindeste zu schaffen hat, und mit des Zeichners voller Achtung für jene Gesammtheit bestehen kann.
Vgl. die Aufführung vom 4. Mai 1807
Schon lange hat die (nun von selbst, wie jedes Widernatürliche, nachlassende und seines natürlichen Todes dahinsterbende) Berlinische Griechheit Rüge verdient und Rüge gefunden. Witz und Satyre haben sie in die Mitte genommen, und die ernsthafte Lächerlichkeit, bald ernsthaft, bald komisch behandelt. 1804 hat ein Roman, Albert und Albertine, das seinige zur Züchtigung dieser Kinderei beigetragen. Episodisch war sie schon auf Bühnen persiflirt worden. Jetzt, – etwas zu spät – ist ihr ein eignes Lustspiel bestimmt worden, und zwar, vorsätzlich oder unvorsätzlich, ein Aristophanisches. Daß sich der Verfasser die Gränzen der Griechheit etwas weiter ausgesteckt hat, um Raum zu gewinnen; daß er, um seine Satyre nicht zu einseitig zu machen, um derselben mehr Pikantes, mehr Hautgout zu geben, sie mit allerlei Nebeningredienzien gewürzt hat, wäre ihm nicht zu verdenken, wenn man nicht, bei der gar zu starken Würze, wie ein französisches Sprichwort sagt, über die Fische die Brühe vergäße. Wenn man alles Nicht-Griechische ausstreichen wollte, auf wie viel oder wenig ließe sich das Stück reduciren? An diesen ersten Fehler schließt sich ein zweiter an. Die Griechheit ist ein Charakterstück, aber die Charaktere sind alle im Handeln begriffen; sie sind fertig; sie entwickeln sich nicht erst allmählich. Die einzige Hermine ist interessant, so klein ihre Rolle ist. Nicht allein durch den Contrast mit Daja und Hainau gewinnt sie dieses Interesse; sie läßt den Zuschauer bei dem beständigen Schwanken zwischen Sentimentalität und Weiblichkeit ungewiß. Der Verfasser hätte diesen Charakter recht sehr benutzen können. Auch den Pastor hat er zu leicht hingeworfen. Dieser hätte z. B. Heinau’s Hofmeister, Herminen’s Vertauter, ihres Vaters Freund seyn können u.s.w. So hätte das Stück ein festeres, haltbareres Gewebe erhalten. So aber sind die Personen unter sich kaum anders als durch das Personenverzeichniß verbunden. Nicht einmal eine Unterredung zwischen Vater und Tochter. Sie erscheinen fast im ganzen Stücke hinter einander, wie im Anfang des 5ten Akts, ohne zusammenhängenden Plan. Es wird gleichwohl, als Gelegenheitspiece sowohl, als auch deswegen, weil die Satyre hineingelegt oder herausgefunden worden, und weil es mit Laune und Munterkeit, auch mit allen Hefen des sprudelnden Witzes, mit allen Auswüchsen des ungebundenen Genies geschrieben ist, eine Zeitlang gefallen, und, auch gedruckt, sein Lesepublikum finden. Daß es in und von allen Theilen sehr gut gegeben wird, ist schon erinnert worden. Hr Schwadke und Dlle Mebus vermeiden alle Carrikatur; und daß Hr. Schwadke in der Scene mit Daja sich seinem Dialekte mehr überläßt, als in den Auftritten mit dem Landrath u.s.w. ist sehr richtig und fein durchdacht. In jenen läuft die Natur mit ihm davon. Eine Liebeserklärung mit Zahlen muß auch – mit Accenten seyn. In die Rolle des Schulzen könnte das Spiel mehr Wichtigkeit und Gehalt legen; sie ist nicht unbedeutend. Warum giebt sich der Baumeister ein so armseliges Ansehen? Er ist ja doch der dritte im Bunde, und gewiß nicht der letzte. Hainau sollte vielleicht noch mehr deklamiren. Die ganze Person ist ja eine Deklamation auf zwei Füßen. Daja scheint zu feinern Karrikatur-Rollen noch geeigneter als zu gröbern; in dieser wenigstens gewinnt sie allgemeinen Beifall. Noch mag eine Probe ihrer Assonanzen hier stehen. Sie sind aus ihrem Briefe an Hainau. »Du, den ich wähle, zähle auf mich. Ich komme. Anbei das fromme Lied, das: wenn die Andacht zu der Rotonde Höhen flieht, wenn Weihrauchdüfte zitternd emporwallen, mag erschallen, und wenn des firmelnden Crystalls Demanttropfen, beim hehren Busenklopfen mit meiner Locken Arom sich heil’gend mengen, (d. i. wenn ich getauft werde).«
Nationaltheater: Griechheit, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/229.
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