Oberon König der Elfen In: Neue Berlinische Dramaturgie, Supplement [1798], S. 292 – 295. Den 29. August, Mittwoch. Oberon König der Elfen, Singspiel in 3 Aufzügen, nach Wieland, von Mad. Seyler, Musik von Wranitzky. Der Text dieser Oper, einem klassischen Gedichte unsrer Nation, welches zu mehr als einem Feenmärchen den Stoff enthält, nachgebildet, läßt sich wohl mit anhören; man muß nur nicht an Wielands Oberon dabey denken. Die Musik ist leicht, gefällig, sangbar, wie die mehrsten Sachen von Wranitzky, von dem man nichts ausserordentliches, aber etwas angenehmes und brauchbares erwarten darf. Ein besondres Interesse hatte diese Vorstellung für das Berlinische Publikum, durch die Besetzung der Rolle des Oberon. Demoiselle Jagemann, Sängerin des Hoftheaters zu Weimar, trat in derselben auf. Es vereinigte sich vieles, dieser Sängerin einen allgemeinen und ausgezeichneten Beyfall zu erwerben. In einer dankbaren Rolle schwebte sie, vorteilhaft romantisch angezogen, auf dem Wolkenwagen hernieder, sang mit schwer zu beschreibendem aber reitzendem Ausdrucke die gefällige Strophe: „Dies ist des edlen Hüons Sprache.“ Ihr lieblicher Anstand, ihre süße Stimme, ihre angenehme Figur, erweckten allgemeines Interesse für sie. Man ließ sie, vor zu frühen und lebhaften Beyfallsäusserungen, die Arie kaum aussingen, und ein dumpfes Gemurmel der Bewunderung schien noch gewisser den Eindruck zu bezeichnen, den sie gemacht hatte. Ihre schöne und interessante Figur, ihre liebliche, wenn nicht starke, doch zum Herzen dringende Stimme, die Fertigkeit und Geschmeidigkeit derselben — wären hinreichend gewesen, sie in Berlin gefallen zu machen. Aber dieser edle Anstand, dies gemäßigte Feuer schöner Deklamation, diese richtige und volltönende Sprache, dieses einfache und lebendige Spiel voll Grazie, verbunden mit Jugend und Schönheit — sind Eigenschaften, überall selten bey einer Schauspielerin, noch seltner bey einer Sängerin, und müssen der Besitzerin überall, wo man auf gesunden Geschmack Anspruch macht, einen dauernden Beyfall sichern. Sie scheint von der Natur mit reichlichen Talenten ausgestattet, und den Unterricht eines großen Lehrmeisters benutzt zu haben. Da sie in ihrer Jugend (Madem. J. wird noch nicht über achtzehn Jahr haben) schon eine gewisse Festigkeit und Sicherheit des Spiels und Gesanges erlangt hat, dürfen wir hoffen, in Ihr einst eine vollendete Künstlerin zu sehen. Ein wichtiger Vorzug derselben ist unter andern ihr zierlicher und edler Gang auf dem Theater, der zu den ersten Bedingungen einer schönen Darstellung gehört, aber auf unserm Theater, ausser der Mad. Unzelmann, allen Schauspielerinnen fehlt. Die eine tritt wie eine Köchin auf, die andere geht krumm, die dritte stolziert wie ein Pfau. Sie wurde hier, nach geendigtem Stücke, mit lauten Freudenbezeugungen, herausgerufen. Ihre Acquisition wäre für jedes Theater eine doppelte Bereicherung. Dem unsrigen fehlt eine Sängerin, die so gut spricht, so viel Spiel und Figur hat, gänzlich. Die Wünsche eines großen Theils des hiesigen Publikums (die nicht für irgend eine einzelne Aktrice Parthie nehmen) Dem. Jagemann beym hiesigen Theater engagirt zu sehn, haben sich auch laut und deutlich genug geäussert.
Mit dieser stümperhaften Parodie von Wielands Meisterwerk fing der Geschmack
an bunten Zaubereien an, der nun bis ins Unglaubliche getrieben wird. - Mad.
Eunike sang und spielte einen lieblichen Oberon, so wie Herr Eunike durch
reinen vollen Gesang interessirte. Ob es nöthig und gut ist, auf einer
hazardirten Höhe so weit zu gehen, daß der Natur der Stimme dadurch Gewalt
angethan zu werden scheint - darüber mögen tiefere Kenner entscheiden. Dem
Ohr wird nicht geschmeichelt, und eine herzliche Stimme reinen Metallklanges
bedarf dieser Zierrath nicht. Mad. Schick glänzte im ganzen Umfange der
großen Gewalt ihrer Kunst. Zwei Bravourarien, mit denen ihre Fertigkeit und
Stärke zu spielen schien, gaben den vollen Genuß, den diese große Künstlerin
geben kann. - Wann wird endlich ihre Iphigenia uns wider entzücken? - Mad.
Müller als Amanda sang mit Ausdruck und mit sanfter Ueberredung, mit
Geschmack und Feinheit. - Demoiselle Bessel war noch kränklich, wie man
sagt, und wie man es auch ihrem Vortrage anmerken konnte. - Mad. Lanz als
Titania sang gefällig, und Hr. Labes gab sich viel Mühe.
Nationaltheater: Oberon (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/233.
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