Der Inhalt des Stücks, der
einem Theil des Publikums schon aus August Wilhelm Schlegels spanischem Theater
bekannt seyn wird, ist durch Theaterpomp, Verwandelungen und Mischung
sentimentaler Szenen mit Buffonerie, so vorzüglich zu einem Singspiel nach dem
Modegeschmack geeignet, daß dem Bearbeiter, auch bei geringem Aufwande von
Mühe, sein Unternehmen nicht ganz mislingen konnte. Das Komische, – oder
vielmehr das Lächerliche – theilt sich freilich, wider Willen des Dichters,
auch den ernst gemeinten Verhältnissen mit; dies liegt aber großentheils in der
Natur des Süjets. Einen Ulyß von Glut der Leidenschaft für eine Schöne
durchdrungen, und mit gleicher Leidenschaft von ihr geliebt zu sehen, die damit
debütirt, seine Gefährten in Bestien zu verwandeln, und ihm eine gleiche Ehre
zudenkt, kann keine ächte Theilnahme des Zuschauers, und Glauben an beider
Empfindungen bewirken. – Immerhin! – Wo Zauberei an der Tagesordnung ist, mag
auch die Hexerei der Liebe den Sieg über Natur und Vernunft davon tragen! –
Doch drängt sich die Bemerkung auf, daß diese schmachtende Tiraden des Ulyß und
der Circe, die eifersüchtigen Klagen des Arsidas und Lysidas, und selbst die
Proben auf welche Florida den griechischen Helden durch Coquetterie stellen
muß, vermöge ihrer Dehnung eine kleine Geduldprobe für manchen Zuschauer
werden, der dafür lieber den sehr komisch angelegten Situationen, in welche
Klarin versetzt wird, vielleicht mit Recht ein weiteres Feld wünscht. Die sehr
schöne, ausdrucksvolle Musik, deren detaillirte Würdigung den Meistern der
Tonkunst überlassen bleibt, gereicht dem, als Instrumental-Virtuosen berühmten
Componisten zu so viel größerer Ehre, da dies sein erster bekannt gewordener
Versuch im lyrisch-dramatischen Fach ist. Insofern ausgezeichnetes Wohlwollen
und lauter Beifall des Publikums seinem Talent hinreichende Aufforderung
gewähren können, müssen die Aeußerungen von beiden, sowohl während der
Vorstellung, als bei dem nachherigen Aufruf seines Namens, um ihm persönlich zu
danken, uns Hoffnung machen, seiner harmonischen Muse noch manchen schönen
Genuß abzugewinnen.
Die Darstellung war
durchgehends, sowohl von Seiten der Action und des Gesanges, als der
Decorationen und Maschinerie, lobenswerth. Nur müßte, beiläufig gesagt, der
Geist Achills nicht als Greis erscheinen, da man im Hades nicht altert! –
Madame Eunicke wußte uns ziemlich begreiflich zu machen, daß eine schlaue
Göttin, auch ohne imponirenden Körperwuchs, ihre Würde behaupten könne; und
Herr Eunicke war, auch aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, ein trefflicher
Opern-Ulyß. Von dem übrigen zahlreichen Personale hatten nur Herr Frantz, als
Arsidas, Mad. Müller, als Florida, und Herr Weitzmann, als Lysidas, Gelegenheit
im Spiel und Gesange, so bedeutend, wie sie es thaten, sich auszuzeichnen.
In der komischen Parthie aber
lieferte Herr Ambrosch, als Klarin, besonders wo er in größter Verlegenheit den
Brutamonte zitirt etc., ein Muster der Posse, ohne platte Karrikatur, und Herr
Gern erwarb sich dasselbe Verdienst, vorzüglich bei der etwas grotesken
Aufgabe, den zum Affen verwandelten Klarin im Künstemachen zu unterrichten. Ob
übrigens diese Mäßigung die Mehrheit der Stimmen auf ihrer Seite hat, ist eine
andere Frage.
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Nationaltheater: Ulysses und Circe (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/245.
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