Man hat seither Schillern so oft den Vorwurf gemacht, daß er seinen Helden schwankend, charakterlos und schwach gezeichnet hat, daß man diesen Vorwurf nicht länger ununtersucht lassen kann. Es kommt, dünkt mich, alles auf die Frage an, welchen Zeitpunkt des Wallensteinschen Lebens sich Schiller denken mußte, als er seine beiden Trauerspiele schrieb. Es war ohne Zweifel derjenige, wo Wallenstein, dem Kaiserthrone gefährlich, den höchsten Gipfel der Macht und Größe erreicht hatte. Von diesem Gipfel mußte ihn der Dichter herabsteigen lassen. Sein Plan, König von Böhmen zu werden, mußte fehlschlagen; List mußte über Sicherheit, Falschheit über ein unbegränztes Zutrauen siegen. Er mußte, wie so mancher, der schon alles erreicht zu haben glaubt, sich selbst betruegen, und so den Betrug der Andern begünstigen helfen. Dieses geschieht im ersten Stück. Im zweiten ists zu spät, sich wieder in seinen Vortheil zu setzen. Was er will, was er beschließt, was er thut, sind keine Fehler – weder Wallensteins, noch des Dichters – sind Bewegungen eines starken Schwimmers, den der Strom überwältigt. Keine derselben kann ihn retten, er sieht es im Voraus: und doch gehorcht er der Stimme der Nothwendigkeit und der Selbsterhaltung. Ich möchte dieses nicht Schwäche, nicht Mangel an Kraft und Charakter nennen; ich möchte Wallenstein mit dem abnehmenden Monde vergleichen, der, ohne wirklich kleiner und schwächer zu werden, mit jeder Nacht kleiner scheint, schwächer leuchtet, erblaßt und endlich verschwindet. So schildert schon Schiller seinen Don Carlos, Göthe seinen Götz, Corneille seinen Sertorius, Shakespeare seinen Cäsar und Voltaire seinen Mahomet. Ist dieses ein Fehler, so liegt er wenigstens in der Natur des Menschen, und in dem allgemeinen Gesetz, nach welchem Alles steigen und – fallen muß. Wie Wallenstein fällt, wie Cäsar fiel? Nun, ich dächte doch, beide mit Ruhe und Seelengröße. Daß sie im Fallen die – Grundsäulen der Erde nicht erschüttern, daran haben, dünkt mich, Shakespear und Schiller Lob, nicht Tadel, verdient. Doch, wer an Wallensteins Werth und Würde zweifelt, sehe ihn in der Darstellung, höre ihn durch Ifflands Organ; und er wird nicht mehr zweifeln. In Ifflands Spiel wird Wallenstein immer lebendiger und wahrer; so und nicht anders konnte ihn Schiller wollen. Herr Mattausch, als Max, Madame Fleck als Thecla genügen ganz ihren schönen Rollen. Auch die neue Gräfin Terzky verdient Beifall. – Kurz, eins der schönsten Trauerspiele der Deutschen Bühne ist im Ganzen, und nur wenige Stellen abgerechnet, sehr schön gegeben worden.
Ein leeres Haus wirkt
nachtheilig auf das Leben der Vorstellung. Das war auch heute größtentheils der
Fall, doch spielten Mdme. Fleck und Herr Iffland mit dem gewöhnlichen Feuer.
Bey den Hauptscenen Theklas erhebt die Künstlerin die Täuschung zu dem Grade,
daß man die Wahrheit selbst zu sehen glaubt. In den Augen der Art
Kunstsinnlehrer, die alle Bewegung des Gemüths verwerfen, und dagegen die kalte
Freiheit des Urtheils bedingen; ist ein solcher Zustand des Zuschauers freilich
nicht zu verzeihen. In diesem Gesichtspunkt hat es also großen Nutzen, wenn
einige Mitspielenden uns fleißig erinnern, daß wir vor einem Theater stehn; und
man hatte heute besonders dem schwedischen Officier für die Rettung von einem
solchen kritischen Vorwurf Dank zu sagen.
Der Verfasser dieser Anzeige
war kurz vor Klopstocks Tode in Hamburg und besuchte den Veteran der
Dichtkunst. Die Rede kam auf das dortige Theater, und Klopstock fragte nach
seinem Urtheil darüber. Er gerieth in große Verlegenheit. Die Ehrfurcht vor dem
edlen Greis gestattete ihm keine Unwahrheit, doch wollte er demselben lieber
etwas Angenehmes, als das Gegentheil sagen. Er erwiederte also: »ich finde die
Hamburger Bühne in ihrer dermaligen Verfassung für eine Republik so
vortrefflich, daß J. J. Rousseau sie selbst vertheidigt haben würde.« Er
glaubte Klopstock würde damit, als mit einer Galanterie zufrieden seyn; leider
drang er aber auf Erörterung, die ihm doch nicht gut schuldig zu bleiben war.
Sie lautete denn »Rousseau, der sich in dem bekannten Briefe an d’Alembert so
leidenschaftlich gegen das Errichten eines Theaters in Genf erklärt, nennt es
deshalb für einen Freistaat gefährlich, weil reitzende Gestalten und trefliche
Darstellungen, eine Exaltation der Phantasie hervorbringen, die dem ruhigen
Geist des Republikanismus durchaus entgegen ist. Nun erscheint mir aber beim
Hamburger Theater eine so vortheilhafte Unschädlichkeit, daß der Bürgersinn
nicht das mindeste zu fürchten hat.« Der Verfasser von Herrmanns Schlacht
konnte gegen dies Argument nichts einreden, nur war er freilich, da er sehr
wenige Bühnen gesehn hatte, der Meinung, dies Lob verdiente Hamburgs deutsche Bühne
nicht. Es versteht sich übrigens, daß in der bestehenden Hinsicht, der Tadel
der Französischen nicht vergessen wurde.
– n –
Es wäre gewiß zum Vortheil des Stücks,
wenn der Dichter den Auftritt mit den Pappenheimschen Reutern hinter die Scene
verlegt hätte. Denn er spannt die Erwartung unnöthiger Weise, und ihre
Nichtbefriedigung muß dann das Interesse an dem Helden vermindern. Hierin sind
auch die meisten Beurtheiler einig. Doch vermag dieser kleine Mangel die großen
Schönheiten in Wallensteins Tod keineswegs zu stören, und wie viel Ursache
haben wir ihn zu lieben, da auf unsrer Bühne bei ihm uns der Genuß des Schönen
so reichlich wird! Da wir vor allen eine Fleck als Thekla sehen! Zwar wird
dieser Genuß nicht so allgemein empfunden, wie das Kunstgefühl es erwarten
sollte, allein die Erscheinung ist ganz erklärbar. Diese Künstlerin bedingt die
Fähigkeit, noch einen hohen, gemüthlichen Eindruck aufnehmen zu können. Nun
bringen es aber die Verhältnisse Berlins und der temporelle Ideengang mit sich,
daß diese Fähigkeit häufig verschwunden ist. Wir classificiren: Urtheile des
Gemüths, und Urtheile des Verstandes. Die letztern maßen sich den Rang an, und
da will man nicht zurücktreten. Sie machen aber bei dem allen dem Pococuranté
im Candide ähnlich, geben jene Kälte, die zum Vermissen des geringsten
Nebengegenstandes so geeignet ist, und freudestörend wirkt, wogegen die
frischere Receptivität gern von einem oder den andern Kunstbeweiß sich den Rückstand
gefallen läßt, um von Entzücken allmählig ergriffen zu werden. Ein solches Geständniß
bringt in die Gefahr, als Nichtkenner bezeichnet zu werden, doch dafür entschädigt
der Genuß, den der Fühlende auf der andern Seite gewinnt. Uebrigens hebt das
gar die Pflicht nicht auf, auch der planvollen studirten Kunst das Wort zu
reden, sie ist auch um so nöthiger, wo die Natur weniger reich ausgestattete,
oder der Lebensfrühling bereits zurückgelegt ward. Eine Priesterin Thaliens die
durch Gestalt und Genie hauptsächlich wirkt, hat im Besitz dieser Vorzüge auch
immer an die Zeit zu denken, wo Ersatz derselben wird nöthig seyn. In der
speciellern Kunst findet sie ihn dann unstreitig, wenn nemlich (wie bisweilen
der Fall ist) ihre Natur der speciellern Kunst nicht widerstrebt. – Hrn.
Ifflands Lob als Wallenstein ist schon zu oft ausgesprochen worden, als daß es
der Erneuerung bedürfte. Eher bedürfte es der Erneuerung des Tadels vom vorigen
Mal.
– n –
Nationaltheater: Wallensteins Tod (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/249.
Link zu den API-Daten: https://berlinerklassik.bbaw.de/api/nationaltheater/theaterstueck/249