Die Geisterinsel, Singspiel in drei Akten, nach Shakespears Sturm von Gotter, komponirt von Reichardt. Dieser Abend war einer der sehr festlichsen, die eine langwährende, reizende Erinnerung in der Seele zurücklassen! Alles war vereiniget, was die Ausführung des mit Recht geschätzen Stückes hinreißend schön machen konnte. Das Auge des Zuschauers wurde durch eine Reihe äußerst geschmackvoller und glänzender Dekorationen bezaubert; Ohr und Gefühl, durch die gut ausgeführte liebliche Musik, und die ausgezeichnet wohlklingenden Verse; der Verstand durch das fast durchgehend treffliche Spiel der Künstler und durch den anziehenden Sinn des Stückes. Die sehr zahlreiche Versammlung ging von einem innigen Genusse zum andern über, - und der Beurtheiler bedauert, daß er sich aus dem fröhlichen Vergnügenrausch aufreißen muß, um eine kalte Würdigung zu geben, wo er so gern nur nachgenösse. / Das Sujet des Stückes ist mit jenem einsichtsvollen Geschmack gewählt, der Gottern den klassischen Schriftstellern der Nation nahe stellte; trotz aller Vorliebe für ihn, muß man indeß gestehen, daß sich in der Bearbeitung des Gegenstandes, der Mangel offenbart, der in allen Gotterschen Werken sichtbar wird, und die Ursache ist, warum man immer erst an Gottern erinnert werden muß, wenn man die vorzüglichen Dichter der Nation aufzählt, - der Mangel an Phantasie. Er fand in Shakespears Sturm eine wunderbare Welt fertig geschaffen vor sich: aber wie ärmlich hat er sie benuzt! Ein Paar Erscheinungen, ein Paar kleine Verwandlungen, ein Zauberbann: das ist alles was er aus ihr gemacht hat, und die Scene, die eigentlich die Catastrophe des Stücks ist, das Auftreten der Sycorax und der Maja, ist gar nur eine Pantomime von drei oder vier Gesten, die in einer halben Minute vorüber geht. Die transparente Geistererscheinung, (die, beiläufig gesagt, nicht sehr lebendig bedient wurde,) die fliegenden Genien, so wie der Geistertanz am Ende des Stücks, die wir sahen, gehören der sorgsamen Direktion an, und sind freundliche Nothdienste, die nicht viel halfen. Die Verse des Stücks sind, wie schon gesagt, sehr gut, fließend und zur Komposition geschaffen. Der Dialog ist gewandt und schön. / Herr Franz als Prospero, Mdme Schick als Miranda, Mdme Eunike als Fabio, Mdme Lanz als Ariel, thaten durch Gesang und Spiel meistentheils den eigensinnigsten Forderungen Genüge. Herr Weißmann zeigte sich, als Prinz Fernando, nicht unwürdig, neben ihnen zu exekutiren. Sein Gesang war sehr schön, sein Spiel weniger gezwungen und ängstlich, als sonst. Die Direktion verdient den wärmsten Dank dafür, daß sie dem jungen und talentvollen Künstler durch bedeutendere Rollen immer mehr Gelegenheit giebt, sich zu entwickeln. – Herr Unzelmann als Oronzio, Herr Kaselitz als Stefano, bewiesen sich ihres alten Ruhmes als ausgezeichnete komische Künstler, vollkommen werth, vorzüglich in der Scene wo sie zu Tische sitzen und von Caliban überrascht werden. – Was diesen letzten betrift: Herr Ambrosch wandte sichtlich so große Sorgfalt auf die Ausführung dieser Rolle, daß man ihm eine genauere Beurtheilung schuldig ist. / Caliban, dieses genialisch gedachte Ungeheuer, von dem man sagen könnte, es sei die Hefe der Geisterwelt, in die Hefe der Körperwelt verlarvt, scheint dem darstellenden Künstler fast ganz freies Feld zu lassen, es so verworfen und verächtlich zu geben, als ihm gefällt: aber dem ist nicht so; das hat Herr Ambrosch heute durch die That gezeigt. – Caliban erschien am ganzen Körper grün und gelb geschuppt, in einem gelben Mantel, auf dem (wozu?) allerlei Figuren standen, die magische Zeichen schienen; vor dem Gesicht hatte er eine ganze Larve. Daß man ihn mit dieser letzten versah, ist in der That die beste Anwendung, die man von der lächerlichen Idee machen konnte, in der man auf einem gewissen kleinen aber vielgenannten Theater die Erreichung der Alten suchte: aber die Larve Calibans, so gut sie auch übrigens gemacht war, hatte den großen Fehler, daß sie nicht sowohl Rohheit und Wildheit, als die erbärmlichste kraftloseste Schlaffheit anzeigte. Diesem Ausdruck entsprach das Spiel des Künstlers durchgehends. Man kann sich nichts unmächtigeres denken, als die Art, wie er mit krummen Knien einhertappte, wie er seine Arme um sich her schlenkern ließ, wie er aß, wie er sich freute und wie er zürnte. Es sind allerdings Züge in der Rolle, die auf Kraftlosigkeit hindeuten, aber diese liegt mehr in seinem Gemüth als in seinem Körper und darf nicht so stark ausgemalt werden: denn Caliban wird dadurch ekelhaft, anstatt verhaßt zu werden. Böser Wille mit Unmacht, interessirt nicht gegen sich sondern wird bis zur Unleidlichkeit verächtlich, und etwas Unleidliches darf durchaus nicht auf der Bühne erscheinen. Selbst der Teufel kann in einem Kunstwerke interessiren, wenn er als ein mächtiges Wesen erscheint, das durch seine Kraft zum kräftigen Widerstand auffordert, aber einem armseligen Teufel wendet man den Rücken zu. Herr Ambrosch hat den Charakter den er geben wollte, kunstgerecht durchgeführt: aber es war nicht der rechte. / Um dem Stücke mehr Glanz zu geben, beschloß man es mit einem ganz kurzen Tanze guter und böser Geister; aber da diese erschienen, indeß die menschlichen Personen noch im Hintergrunde gruppirt standen, that er keine Wirkung. Ihre Körperlichkeit fiel zu derb ins Auge, als daß man sie für etwas anders als einen Theil der Schiffgesellschaft hätte ansehn können, der sich zum Spaaß verkleidet hätte.
Es war sehr angenehm, einmal wieder diese feurige, kunstphilosophische
Composition Reichhardts zu hören. Warum giebt man auch die Geisterinsel
nicht öfter? Sie fand noch immer freundliche Aufnahme, und das Haus war
jederzeit voll. Auch gehört das Stück zu denen, die durchaus vortheilhaft
besetzt sind. Nur die Theatereinrichtung könnte vollkommener seyn. Die
Tinten der Dekorationen sind meistens zu düster. Wir werden nicht genug in
das Land der heitern Phantasie geführt. - Madame Schick bot als Miranda ihre
Kunst sehr glücklich auf. Der verschiedene Charakter ihrer Gesänge, worin
bald Trauer bald kindlicher Sinn, bald jugendliche erste Liebe herrscht,
ward auf das bestimmteste gehalten. Nur eine Sägerin vom ersten Rang geht in
solche Feinheiten des Vortrags ein; es darf dabei aber auch nicht
übersehen werden, das der berühmte Tondichter darauf hinleitet. [...]
Nationaltheater: Geisterinsel, Die [Der Sturm] (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/252.
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