Wer es auch gewesen ist, der den ersten Oheim auf die Bühne brachte; schwerlich ließ er sichs träumen, welche reiche Fundgrube dramatischer Ideen er dadurch seinen Nachfolgern eröffnete. Zwar scheint nach gerade die Ausbeute ihrer rohen Edelsteine erschöpft, aber Schleifer und Jouveliere werden noch immer volle Arbeit finden, durch Politur und Zusammensetzung den schon vorhandenen neuscheinende Formen zu geben. Auch dieses Drama gewährt uns, in Herrn v. Hartenfeld, die Bekanntschaft eines jener reichen Oheime, der, in Ermangelung ehelicher Leibeserben, in Gefahr steht, unter seinen zwei Neffen, in Rücksicht seines Nachlasses, eine ungerechte Wahl zu treffen, weil seiner Meinung nach, Wilhelm, der Jüngere, durch Undankbarkeit, Unterschlagung einer bedeutenden Summe, und eine Mißheirath, seiner Liebe sich unwerth gemacht hat. Sein biederer Freund, der Major v. Dorneck, der Grund zu haben glaubt, den begünstigten Neffen, Philipp, für den unwürdigern zu halten, hat den Oheim dahin vermogt, beide durch eine Nachricht seines Todes täuschen, und sie, als Zeugen der Testaments-Eröfnung, auf sein Landschloß berufen zu lassen. Bei dieser Gelegenheit bestätigt sich dann, durch ihr Betragen, Dornecks Vermuthung, daß Wilhelm ein edeldenkender, dankbarer junger Mann, seine Gattin, trotz ihrer niedern Herkunft, ein äußerst liebenswürdiges Geschöpf; Philipp dagegen ein kopf- und herzloser Thor, ein habsüchtiger Verläumder seines Bruders, und nebenher noch der läppische Sklave einer Närrin von Gemahlin ist. Die Entwickelung des Knotens ergiebt sich nun wohl selbst, so wie sie überhaupt, schon von der ersten Scene her, nur zu bestimmt geahnt wird. Das Verdienst des Stücks beruht in einzelnen Schönheiten des Details, in treffender Zeichnung und Contrastirung der einzelnen Charaktere, und ziemlich lebhaftem Gange der Handlung, die aber vielleicht noch an Interesse gewonnen haben würde, wenn es dem Verfasser gefallen hätte, den Oheim minder passiv, schwach und sentimental zu zeichnen, um das Stück mehr dem Ton des reinen Lustspiels zu nähern, den die Natur eines, etwas bizarren, Plans zu fordern scheint. / Die Darstellung machte dem Talent und Fleiß sämtlicher daran theilnehmender Kunstgenossen Ehre, und vorzüglich konnte Paulinens Liebenswürdigkeit sich nicht interessanter aussprechen, als durch das seelenvolle Stimmorgan der Madame Schröck. / Der ersten Vorstellung dieses Dramas folgte: des Dorfbarbiers zweiter Theil, Posse in einem Akt, mit Musik vom Herrn Musikdirektor Seidel. / Mit Possen ists eine mißliche Sache, besonders wenn sie verhältnißmäßig zu lange getrieben werden! und dies scheint der Fall zu seyn, wenn ein Akt, trotz seiner äußersten Armuth an Handlung, mit spaßhaftem Wortwechsel und Gesange, beinah zwei Stunden ausfüllt; Hierin liegt vielleicht der Hauptgrund der ungünstigen Aufnahme dieses kleinen Stücks, über dessen Inhalt zu sprechen sich's nicht verlohnt. Schade um alle Anstrengung, mit welcher besonders Hr. Unzelmann, als Lux, und Hr. Ambrosch, als Adam, ihre possierlichen Rollen behandelten, und um die sehr gefällige Musik, von welcher einzelne Partien mit lautem, ungetheiltem Beifall belohnt wurden. / - x -
Nationaltheater: Testament des Onkels, Das (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/281.
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