Künstlers Erdenwallen, Originallustspiel in fünf Akten. Eine kinderlose Gräfin hat zwei Waisen zeitig ins Haus genommen und sorgsam erzogen, ja ihnen zuletzt ihr großes Vermögen zugewandt. Beide sind sich an Güte des Charakters ähnlich, streiten aber über Angelegenheiten des Geschmacks. Die Verstorbene hat auf dem Todtenbette eine Heirath unter beiden gewünscht, der Vormund, ein erfahrener Mann, mögte sie gern fördern, doch die jungen Leute sind weit davon entfernt. Sie hegen ganz andere Absichten. Erfüllt von Idealen und der Weltkunde völlig ermangelnd, wähnen sie, die Vollzieher schöner Kunst müßten dem, was sich in ihren Werken verkündet, auch im gemeinen Leben treu bleiben. Karoline hat eine Sammlung von Gedichten bekommen, mit dem Bilde des Autors. Das Gesicht schien ihr so ausdrucksvoll, sie meinte, dieser poetische Künstler sey der liebenswürdigste Jüngling und da ihr Gefühl dem seinigen in den Poesien dazu immer begegnete, entschloß sie sich nie zu heirathen, wenn es nicht etwa die Umstände fügten, daß sie ihm gehören könne. Eduard aber sah früher eine Virtuosin, die ihn bei ihrem Conzerte bezauberte. Er glaubte, die Harmonien welche sie so entzückend vortrug, könnten nur reine Ausströmungen eines himmelvollen Gemüthes seyn. Er wollte nun dies Mädchen erringen oder nie an das Eheband denken. Beide vermögen den Vormund zu einer Reise auf die Leipziger Messe, wo die Virtuosin laut Meldung öffentlicher Blätter anwesend ist. Der Poet (von Iffland dargestellt) wohnt auch in Leipzig. Auf wie mannichfache Weise nun aber ihre Vorstellung betrogen wird, wie die Virtuosin ihr Talent immer auf das Geld hinrichtet, gegen die Kabale eifert und dennoch eine Harmonikaspielerin, die sich eben auch hören lassen will, auf das ärgste mit Kabale verfolgt, auch den armen fühlbaren Jüngling höchst empfindlich in die Kabale verwickelt, – wie der Poet, (dem das Konterfei unverschämt schmeichelte und ihn um viele Jahre verjüngte) zwar nicht ohne Genie und Wissenschaft ist, Verse und auch andere Geisteswerke nach Modeformen liefern kann, dabei aber die gemeinste Lebensprose sichtbar werden läßt, dies alles muß man sehen; es wäre zu weitläuftig, die Charaktere und grellen Situationen hier ganz zu schildern. – Iffland, von dem man schon oft sagte, er habe sich selbst übertroffen, zeigte sich als Magister wieder von ganz neuen Seiten künstlerischer unübertreffbarer Vollkommenheit. Wer ihn sah, wird gestehen, daß es unmöglich ist, die komische Gewalt, mit der er auftrat und die alle Zwerchfelle erschütterte, in einer Erzählung dem Leser anschaulich zu machen, besonders wie ihn in dem Dachstübchen die Erzählung der Wirthin so überrascht, ein reiches Mädchen sey seines Kupferstichs und seiner Gedichte wegen in ihn verliebt geworden, wie er nachher es dienlich hält, sich diesem Mädchen als eine hohe Natur zu offenbaren, doch späterhin wieder alle Verstellung hinwirft, und vermöge der Wahrheit, die man vom Wein zu empfangen pflegt, sich nur in seiner wirklichen Eigenthümlichkeit darstellt. Man muß ihn sehn. Das Stück hatte überhaupt eine ganz vortreffliche Besetzung. Madame Eunike, als Cäzilia Tempioni, diese so beliebte Künstlerin, erwarb allgemeinen Beifall, eben so Herr Gern d. ä. als Vormund. Mlle Maaß als St. Croix, Herr Unzelmann als Tempioni u. s. w. leisteten alle treulich das ihrige zum gelungenen Erfolg. Auch die Hamonika im Conzert nahm sich vortrefflich aus, und in dem vollgedrängten Hause herrschte die größte Stille während des Spiels. Man sagt, der durch mehr als ein Talent ausgezeichnete Herr Rellstab sey so gefällig gewesen, das Instrument hinter der Koulisse zu spielen.
Ich gehe zum zweiten Stück über [vorher Besprechung von „Chamarante“], und genieße bei der Anzeige von neuem das Vergnügen der Darstellung. Hogarth hatte längst den glücklichen Gedanken, in einer moralisch-satyrischen Gallerie die Heirathen nach der Mode, das Leben des Wüstlings, des Faulen, des Fleißigen aufzustellen. „Wie die Mahlerei, so das Gedicht,“ dachte der Verfasser des heutigen Stücks, und schrieb das Leben des Künstlers von Handwerk; mahlte es in breiter Manier, mit grellen Farben, radirte mit tief eindringenden Grabstichel in scharfen Contouren, schrie es einem Teil des sich taubstellenden Publikums donnernd in die dicken Ohren, was für ein Unterschied zwischen Kunst und Künstler, zwischen Geschmack und Schwindel des Dilettanten sey; so daß doch endlich, nach gebrochener Bahn zu hoffen steht, – der Kranke werde genesen, und die gesunde Vernunft hier und da Karrikaturen und Auswüchse schuld geben will, mag es; ihn entschuldige, daß ein Iffland, daß ein Gern, ein Bethmann, ein Schröck, sich ganz dazu hergaben, und den Fehler teilten. So, und nicht anders, nicht durch Zugpflaster u. Anoding konnte das Geschwür aufbrechen; aufgestochen mußte es werden. Denke man sich dieses oder jenes dabei, diesen oder jenen; für einzelne desto schlimmer, für die gemeine Sache desto besser. Der Verfasser besitzt eben so viel Geist als Muth, eben so viel Witz, als Eifer. In einem ältern Stücke gab er dem angefressenen Zahne den ersten Ruck, in diesem hebt er ihn mit der Wurzel schmerzhaft aus, und schafft der Kunst vor – künftigem Zahnweh Ruhe. Daß die Urtheile geteilt sein werden, seyn müssen, ist vorauszusehen. Wo giebt es nicht eine rechte und linke Seite? Eben dieses getheilte Publikum gereicht dem Stücke zum Lobe, und ehrt die Tendenz des Verfassers. Eben diese Theilung ist sein Werk, sein Wille. Bei seinem Witze, seiner Originalität, seiner ungenierten Genialität, hätte er auf zwanzig Wegen und Weisen das ganze Publikum bestechen, gewinnen, und einem gewandten Vorgänger nachtreten können, der eben so gut die Welt kennt, sich aber nach ihrem Gaumen bedient. Nicht so: er will sein Publikum erobern, es in Freund und Feind theilen, zur Schlacht blasen, und die Schlacht gewinnen. – Den Inhalt des Sücks kurz angeben, hieße dem Stücke schaden; wozu hülfe es der Neugierde, wenn sie erführe, daß ein Mündelpaar, vom Vormunde auf die Leipziger Messe geführt, sich der eine, in eine Virtuosin, die andere, in einen poetischen Künstler, auf beider Ruf, verliebt haben, und nach persönlicher Bekanntschaft, sie so tief unter dem Rufe, so sehr als Künstler ohne Kunstliebe und Kunstgefühl finden, so egoistisch, so unedel, daß sie endlich von ihnen abstehen, und sich – unter heimlicher Mitwirkung des weisen Vormundes, miteinander verbinden.
Hr. Stich
Mad. Schröck
Hr. Gern
Iffland
Mad. Eunike
Hr. Unzelmann
Mlle. Ritzenfeldt
Hr. Bethmann
Hr. Reinwald
Hr. Berger
Hr. Bessel Sohn
Hr. Ambrosch
Mlle. Hudemann
Mlle. Schwach
Hr. Leidel
Mlle. Leist
Hr. Rüthling S.
Eduard Leidel
Hr. Benda
Hr. Buggenhagen
Hr. Rehfeldt
Mad. Beschort
Hr. Stich
Mad. Schröck
Hr. Gern
Iffland
Mad. Eunike
Hr. Unzelmann
Mlle. Ritzenfeldt
Hr. Bethmann
Hr. Reinwald
Hr. Berger
Hr. Bessel Sohn
Hr. Gern S.
Mad. Esperstedt
Hr. Leidel
Mlle. Leist
Hr. Rüthling
Eduard Leidel
Hr. Benda
Hr. Buggenhagen
Hr. Rehfeldt
Mad. Sebastiani
Nationaltheater: Künstlers Erdenwallen (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/455.
Link zu den API-Daten: https://berlinerklassik.bbaw.de/api/nationaltheater/theaterstueck/455