Dieses Ballet ist von dem wirklich als Tanzlehrer unsterblichen Noverre, welcher unter Friedrich dem Zweiten beim hiesigen Operntheater als unbemerkter Figurant in den ersten Jahren unter dessen Regierung angestellt war, und nachher als ein so großes Tanz-Erfindungs-Genie bekannt wurde. Seine Lettres sur la danse sind und bleiben das erste was über diese darstellende Kunst von einem praktischen Tänzer geschrieben worden. Er hat sich darin über seine, manchem so unbedeutend scheinende Kunst, als ein denkender Philosoph ausgebreitet, von welcher lichten Darstellungsgabe, auch selbst die Programme seiner Ballets, welche noch bei seinen Lebzeiten gedruckt sind, zeugen. Dies Ballet war die bekannte Geschichte des Alexander, welcher dem Apelles auftrug, die Campaspe, seine Geliebte, zu mahlen. Apelles wird von ihrer Schönheit hingerissen, Campaspe erwiedert seine Neigungen. Alexander besiegt seine Leidenschaft, und tritt dem Apelles die Campaspe ab. Der Direktor der Tanz-Akademie, Hrn. Balletmeister Lauchery, hatte das Ballet mit großer Genauigkeit einstudiren lassen. Alexander war Herr Duponcelle, groß und brav. Ebenso wurde die stolze eifersüchtige Roxane von Mad. Clauce ausgeführt. Die Haupt-Parthien waren Dem. Engel und Riebe zugefallen. Sie führten solche mit allen feinen Nüancen der Pantomime sowohl als mit aller Tanz-Kunstfertigkeit aus. In letzterer zeichneten sich auch die Damen: Mad. Riebe, Gasperini und Lauchery, Mlle. Joyeuse und Weiß, so wie die Herren Gasperini, Lauchery, Moser, Scharschmidt aus. Den allgemeinen Kunstbeifall hatten die schön arrangirten Gruppen, wo Apelles nicht weiß, in welchem Kostume er die Campaspe mahlen soll. Sie wird als Pallas dargestellt. Er verwirft. Seine Lehrlinge schmücken und umgeben sie als Flora. Auch dies hat nicht seinen Beifall. Als Diana? Sie verwundet als solche zwar sein Herz noch mehr, aber nun will er sie als Venus darstellen. Diese Gruppe auf zwölf Stufen von beinahe fünfzig Personen dargestellt, ist die schönste. Den einzigen Beifall des Herzens, der Hände, und der lauten Hoch rufenden Stimmen erwarb sich aber das Ballet dadurch, daß nicht allein bereits in einem Pas de Quatre, sondern auch zum völligen Schluß des Ballets sich ein Carton entwickelte, welches die Worte enthielt: Es lebe Friedrich Wilhelm der Dritte! J. C. F. R.
Das schöne Ballet Apelles und
Campaspe wurde mit verdoppeltem Fleiße und empfehlender Künstlichkeit gegeben.
Die ersten Tänze, in Apelles Werkstatt, werden dem Alexander zu Ehren gehalten.
Er sitzt zur Seite, und empfängt die Huldigungen. Die letzten, in seinem
Pallast, werden auf seinen Befehl ausgeführt. Er sitzt mit Roxanen auf dem
Throne im Hintergrunde, und bedarf des Zuschauens nicht. Daher der ungegründete
Vorwurf eines vermeintlichen Uebelstandes, als ob die Tänzer ihm den Rücken
zukehren. Eher ließe sich fragen, warum Apelles im letzten Auftritte den
Hausmantel nicht abwirft, und in glänzenderm Gewande erscheint.
Doch ich komme auf das Pas
seul des 13jährigen Carl Vestris des Dritten*.
In seiner einfachen Tunika sah man das ätherische Wesen erscheinen, mehr
schweben als tanzen, und verschwinden. Es war ein liebliches, ein einziges
Gesicht. Das Schwierigste wurde mit solcher Leichtigkeit, solcher Sicherheit,
solcher Einfalt ausgeführt, daß man des gewohnten ängstlichen Wunsches ganz überhoben
ward, der Musiktakt möge den Tänzer von der vereinigenden Stellung befreien.
Carl Vestris schien die belebte Statue eines Pygmalions.
C.
* Ich nenne ihn den dritten. Vestris der erste, der Gott
des Tanzes, wie er sich selbst zu nennen pflegte, hatte keinen Nebenbuhler.
Sein Sohn Vestris der zweite, dem der Vater nach einem Triumphtanze diesen
Namen feierlich zu tragen erlaubte, hatte einen Nebenmann, Heinrich Düport, der
eine neue Tanzart einführte, die großes Glück machte, und das Publikum theilte.
Vestris der dritte ist sein talentvoller Neffe.
Nationaltheater: Apelles und Campaspe, oder: Die Großmut Alexanders (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/552.
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