Bayard, Schausp. in fünf Aufz. von Kotzebue. Hier sehen wir Herrn von Kotzebue im Wettstreite mit Shakespear. Die Sache scheint uns kürzlich diese zu seyn. Bei einem so raschen Manne, als Herr von Kotzebue ist, gebricht es denn doch am Ende an Stoff; mit den Familiengemählden ist es immer dasselbe; die Ritterstücke gewähren nicht Abwechselung genug; auch ist es schwer, so gute Verwickelungen zu erfinden, als zum Beispiel in der Johanna von Montfaucon: und so wäre man in der That schlimm daran, wenn es nicht zum Glück die Geschichte gäbe. In der Geschichte ist nehmlich mancherlei geschehen, was ein Dichter benutzen kann; und ist es nicht so ganz zu brauchen, so schneidet man hier ein wenig weg, setzt dort ein wenig zu, und mit dem Henker müßte es zugehen, würde nicht am Ende ein Ding daraus, was fünf Akte hat. So hat unter andern Shakespear gedichtet, wie in den Anhängen zu seinen Stücken weitläufig zu lesen steht; auch hat Schiller im Wallenstein manchen nützlichen Wink gegeben, den wir brauchen können; allein Shakespear ist der Formlosigkeit wegen vorzuziehen: da hängen die Personen unter einander nicht zusammen, da kann man sich seiner Phantasie überlassen u. s. w. Nun giebt es einen Ritter Bayard, den setzt man zur Landkarte, und läßt ihn seine Geschichte erzählen, und man hat eine Einleitung; dann giebt man ihm eine Geliebte, die sich aus Armuth an einen Mann verheirathet hat, dessen Nahmen sie aber dem Bayard nicht nennt, ist delikat und interessant zusammen, und macht das Stück erst möglich. Bayard ist Ritter, nun da muß er natürlich die Damen beschützen, und den herrlichen jungen Mahler, der die Heiligen fürs Brod, und den Brutus fürs Herz mahlt, zu einer Frau verhelfen. Wird auch sehr interessant seyn, wenn sich die Damen in ihn verlieben, daß sie ihm sogar bis ins Feld folgen u. s. w. Die erhabenste Stelle ist, wie die Geliebte, Blanka, sich, weil sie sich unglücklich fühlt, den finstersten und dunkelsten Hof wählt, Kerkern gegen über, und das Glück hat, dadurch ihren Mann, der eben als Spion aufgehängt werden soll, zu retten; auf eine piquantere Art ist die Vorsehung nicht leicht von einem Dichter gepriesen worden. Dieser Manfrone ist übrigens ein solcher Bösewicht, und dabei so psychologisch gezeichnet, daß gewiß einer der neuesten Theaterkritiker nächstens zeigt, wie er vorher gewesen ist, ehe das Stück begann. Doch genug von diesem Produkte; nur noch einige Worte von der mimischen Darstellung. Madame Unzelmann, als Blanka, stellte vortrefflich dar, welches fast überflüßig ist anzumerken. Madame Meyer hat in dieser Rolle gezeigt, daß es ihr möglich ist, auf einem ganz andern Wege, als Madame Unzelmann, das Herz zu treffen, zu rühren und zu erschüttern. Wir behalten es uns vor, über diese Künstlerin, welche ein von allen andern weiblichen Mitgliedern der Bühne unterschiedenes Streben hat, nächstens ein mehreres zu sagen, und zu bestimmen, in wie weit diese Tendenz poetisch, und in wie fern sie erreicht sey.
Nationaltheater: Bayard (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/57.
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