Vor dem Stück wurde, zur Feier der
heutigen Vermählung des Prinzen Wilhelm von Preußen Königl. Hoheit, mit der
Durchlauchten Prinzessin Amalie, Marie, Anne von Hessen Homburg, von Mad. Fleck
eine treffende Rede, mit dem Ausdruck des innigsten Gefühls gesprochen. / Das
darauf folgende Trauerspiel ist von der Art, daß es Anmaßung wäre, über seinen
dichterischen Werth nach der ersten Vorstellung entscheidend abzusprechen. So
groß aber, bei näherer Kenntniß seine einzelnen Schönheiten sich auch bewähren
mögen, so gewiß läßt sich doch schon jetzt behaupten, daß es mehr Deklamation,
als Handlung, mehr Pathos, als steigendes dramatisches Interesse enthält, und
folglich auf lebhaften Beifall von Seiten unsers Publikums nicht berechnet ist.
/ Die Handlung beruht darauf, daß nach der Einnahme von Troja, Pyrrhus, der
Sohn Achills, oder, wie es der Dichter darstellt, vielmehr Menelaus und andre
Griechische Fürsten durch den Oberpriester Calchas angefeuert, die Opferung der
Polyxena, zur Sühnung für den Meuchelmord Achills, und den Tod des Astyanax,
des Sohns von Hecktor und Andromache, beabsichtigen, und am Ende wirklich
vollstrecken. / Diese beiden, dem Tode geweihten Opfer aber hat der Dichter dem
Verhältnis untergeordnet, in welchem Hekuba, als Mutter der Polyxena und
Großmutter des Astyanax, und Andromache, als Mutter des letztern erscheint,
welches offenbar, vielleicht zu den am meisten tragischen der Natur und der
Bühne gehört. Daß diese drastische
Situazion dennoch einen großen Theil ihrer Wirkung verfehlte, lag nicht an der
Darstellung. Mad. Unzelmann, als Andromache, und Mad. Meyer, als Hekuba, boten
alle Hülfsmittel der Kunst, und ihres großen Talents auf, das imposante Gefühl
ihrer Lage geltend zu machen. Aber die Redseligkeit ihres Schmerzes und die
Menge von eingewebten Nebenpersonen, deren jede meistens nur einmal auftrat, um
ihre Meinung zu sagen, verhinderte die Theilnahme, die durch eine einfachere,
mehr auf Einen Punkt conzentrirte Behandlung wahrscheinlich in weit höherem
Grad zu erregen gewesen wäre. Doch über alles dieses mehr bei Gelegenheit der
künftigen Darstellungen.
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Die heutige Wiederholung dieses Trauerspiels hatte die Neugier eines ziemlich zahlreichen Publikums gereizt. Aber eine allgemeine Stille, ohne Beifall und Tadel, schien zu sagen, daß Jedermann die billige Achtung für die Arbeit eines guten Kopfs, und die innere Unbehaglichkeit bei der Wirkungslosigkeit seines Produkts, miteinander in Gleichgewicht zu bringen suchte. Bei diesem ungünstigen Eindruck, den das Ganze machte, wäre es verlorne Mühe, eine Bilanz der Fehler und Schönheiten dieses Stücks zu entwerfen, da Wirkungslosigkeit, bei einer so guten Darstellung, und vor einer so aufmerksamen Versammlung, als die heutige, alle Hauptfehler in sich schließt, die ein dramatisches Kunstwerk haben kann. / Was die Darstellung betrift, so bedarf es, in Rücksicht der Hauptrollen, kaum der Erwähnung, daß Hekuba durch Mad. Meyer, und Andromache durch Mad. Unzelmann vortrefflich personificirt wurden. Aber auch Mad. Schick, als Polyxena und Dlle Mebus, als Cassandra, leisteten, in Deklamation und Geberdenspiel, diesen Rollen, auf eine sehr charakteristische Weise, Genüge. Herr Beschort gab den Agamemnon mit dem Ausdruck der edelsten Würde, nur beinahe mit zu viel Weichheit, die aber größtentheils auf Rechnung des Dichters kommt; - und Herr Mattausch das Gegenbild, den leidenschaftlichen Pyrrhus, mit hinreißendem Feuer. Mit eben so bestimmter Eigenthümlichkeit wurde Ulysses durch Herrn Herdt und Nestor, durch Herrn Iffland, dargestellt, und in allen übrigen Rollen war, das Bestreben sichtbar, das Ganze zweckmäßig zu unterstützen, aber leider ohne die Befriedigung, durch Beifall sich dafür belohnt zu sehen.
Nationaltheater: Andromache (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/573.
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