Den 16ten November zum ersten Mal, am 18ten und 20sten einzeln wiederholt:
Der Deserteur; Posse in einem Akt von Herrn von Kotzebue; und das Fest der
Winzer, komisches Singspiel in drei Akten, in Musik gesetzt vom
Capellmeister Kunzen. / Das erste dieser Stücke, welches aus des Verfassers
Taschenbuch dramatischer Spiele einem großen Theil des Publikums schon
bekannt seyn wird, befriedigt die Ansprüche seines Titels, als Posse, auch
in der Darstellung. Neu sind die Verhältnisse eben nicht. Ein alter,
verliebter, eifersüchtiger Vormund, der sein schönes Mündel, wie ein
Kettenhund hütet; - ein Liebhaber, der durch mancherlei Verkleidungen zu
seiner Schönen zu gelangen und eine Entführung zu bewerkstelligen; - ein
Bedienter, der durch gleiche Hülfsmittel seinen Herrn zu unterstützen sucht,
haben schon hundertmal den nothdürftigen Stoff eines Intriguenstücks
hergeben müssen. Dieses hat aber wenigstens vor andern den Vorzug der Kürze,
- der damit verbundenen raschern Folge der Begebenheiten, und wenn der darin
verstreute Witz keine besondere Auswahl verräth, zuweilen sogar über die
Zweideutigkeit hinaus geht, so kann ihm doch die Eigenschaft des Pikanten
nicht abgesprochen werden. Der, in Stücken dieser Art herkömmlichen
Rangordnung gemäß, muß Rummel, der Reitknecht für die Hauptperson gelten,
und Herr Unzelmann führte diese Rolle, besonders in den Verkleidungen als
Schlösser und als Vater seines Herrn mit charakteristischem Humor, so wie
Herr Bethmann die des Liebhabers mit sehr gefälliger Leichtigkeit aus. Dem
edlen Jeremias von Holzbock schien für die Mannigfaltigkeit seines Spiels
ein weiteres Feld offen zu stehen, als er anzubauen für gut fand, doch
gelang auch diese Rolle, wie die des Notars, ihren Darstellern ganz gut in
ihrer Manier. Dlle Mebus hatte bloß Gelegenheit, ihre Schönheit in
männlicher Form zu zeigen, wodurch sie aber nicht veranlaßt werden kann,
diese Rolle zu den undankbaren zu zählen. Das Fest der Winzer ist ein sehr
handlungsleeres Singspiel, welches von dem jetzigen Kgl. Dän. Capellmeister
Kunzen vor etwa 14 Jahren, als damaligem Musikdirector des Theaters zu
Frankfurt a. M. componirt, und dort mit Beifall aufgenommen wurde, wozu der
unverkennbare Kunstwerth seiner musikalischen Behandlung, und die Theilnahme
an der Hauptidee des Stücks, an dem Volksfest einer Weinlese, in einem
Weinlande das meiste beigetragen haben mag. Weder die Erfindung der Fabel,
noch ihre Einkleidung kann dem Verfasser die mindeste Anstrengung gekostet
haben, es müßte denn die gewesen seyn, platte Bauernspäße täuschend
nachzuahmen. Von dieser Seite betrachtet liefert er in dem halsstarrigen
Dorfschulzen eine ziemlich drolligte Figur, die von Herrn Kaselitz mit allem
erforderlichen Stumpfsinn, kalt und unbeweglich wie ein Grenzpfahl, sehr
glücklich dargestellt wird. Der Schulmeister dagegen ist eine mehr ekelhafte
als Lachen erregende Karikatur, die kaum durch das beliebte launigte Spiel
des Herrn Unzelmann erträglich wird, und das übrige Personal ist
unbedeutend. Was den Gesang betrifft, so hört man viel Schönes und
Gefälliges, in dessen Vortrage Herr Gern, als Gutsherr, Madame Lantz, als
seine Tochter, Madame Eunike und Herr Rebenstein, als liebendes Pärchen,
sich vorzüglich auszeichnen. Die Stimme des Letztern ist zwar schwach aber
angenehm. Ein Singspiel dieser Art kann freilich zu jetziger Zeit kein
vorzügliches Glück mehr machen, und es könnte leicht plötzlichen Todes
verscheiden, wenn es bei seiner schwächlichen Constitution sich zu oft
hinter einander ins Publikum wagte, wovon es schon einen Wink erhalten haben
soll. / - x -
Nationaltheater: Deserteur, Der (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/70.
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