Gulnar, oder die Persianische Sklavin.
Singspiel in einem Akt, nach dem
Französ. kompon. von d´Alayrac
Der Stoff des Stücks war allenfalls
zu einem Schauspiel, schlechterdings aber nicht zu einem Singspiele geeignet,
in welchem nur die schöne Feen- Mährchen- und Idyllenwelt spielen darf, und
ästhetisches Wohlgefallen erwecken kann. Die Ausführung des Dichters ist so,
daß in dem ganzen Stück nichts Persisches oder überhaupt Orientalisches ist,
als die Nahmen der spielenden Personen und das Wort Sclave. Der Tonkünstler hat
die Fußstapfen des Dichters gewissenhaft verfolgt; der Charakter der Musik ist
ci dévant französisch, durch die hier und da angebrachte Janitscharen-Musik in
das Persische hinein nuancirt. Ibrahims Lieblingslied: Ich mag wohl die Mädchen
gern sehn ec, empfiehlt sich durch die Naivität im Platten, und durch die
Einfachheit der musikalischen Begleitung, wenn es nur kein Perser wäre, der es
singt. Möchten doch einmahl Dichter, Tonkünstler und Schauspieler beherzigen,
daß Zeiten und Nationen in Hinsicht auf dramatische Kunst ihren eigenthümlichen
idealischen Chararakter [!] haben,
welcher sowohl von ihrem wirklichen, als auch, und zwar ganz besonders von
einer gewissen Gemeinheit durchaus verschieden ist, und welchen der Dichter
durch die Sprache der Gesimmungen und Leidenschaften, der Tonkünstler durch den
Geist seiner ganzen Composition, der Schauspieler durch Mienen, Geberden, Haltung
seines Körpers, Accentuation und Declamation anzukündigen und darzustellen,
unerlässlich verpflichtet sind. Der Schauspieler besonders müßte beachten, daß
obgleich in der wirklichen Welt noch immer Kleider Leute machen, die Allmacht
der Kleidermacher jedoch für die Theaterwelt nichts weiter vermag, als den
Contrast zwischen dem Costume und den Fehlern des Schauspielers auffallender zu
machen.
Nationaltheater: Gulnar (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/703.
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