Die Rede1,
welche in sehr edler poetischer Sprache, die Dankgefühle ausdrückte, die das
Vaterland seinem guten Könige überhaupt, und besonders unter den Verhältnissen
der laufenden Zeit schuldig ist, wurde mit dem männlichsten Anstand und der
Stimme eines tiefempfindenden feurigen Patrioten vorgetragen. Sichtbar ward
auch die ganze Versammlung davon ergriffen.
Idomeneus gehört bekanntlich
zu den früheren Arbeiten Mozarts. Die Handlung ist folgende: Idamant, Sohn des
cretensischen Königs erwartet seinen Vater aus dem Kriege zurück. Ilia eine
gefangne trojanische Prinzessin gewann seine Liebe, doch nach Idomeneus
Beschluß soll Elektra, Agamemmnons Tochter, seine Gattin werden. Der letztere
auf der Heimkehr begriffen, muß nahe an der vaterländischen Küste mit einem
heftigen Sturm kämpfen, der jeden Augenblick seinem Schiff den Untergang droht.
Er fleht zu Neptun um Rettung, und übereilt sich mit dem Gelübde: dem Gott der
Meere das erste Lebendige zu opfern, dessen er am glücklich erstiegenen Ufer
ansichtig würde. Das Schicksal will, daß ihm Idamant zuerst entgegen tritt, und
der trostlose Vater zaudert. Zornig sendet nun der Gott ein Ungeheuer, das
Reich zu verwüsten. Die Noth steigt so hoch, daß Idomeneus beschließen muß,
seine Zusage zu erfüllen. Doch löset sich Idamant durch einen Kampf mit dem
Ungethüm, in welchem seine Kraft und seine Tapferkeit siegen. Neptun ist
versöhnt, erscheint in dem Augenblick da das Opfer fallen soll, befiehlt
Idomeneus, seinem Sohn den Thron zu überlassen, der dann der Ilia die Hand
reicht u.s.w.
Herr Treitschke hat manche Veränderungen mit dem
Original vorgenommen, die wohl nicht immer zu billigen sind. Es steht dahin, ob
diese durchaus heroische Oper nicht durch Beibehaltung der Recitative mehr
gewonnen hätte, als durch den Dialog in Jamben, den dafür Hr. Treitschke
eingeschoben hat. Wer mit dem Stück in seiner alten Gestalt bekannt ist,
vermißt sehr ungern die erste meisterhafte Scene der Ilia, im Original mit der
Arie: Padre germani, addio etc. statt dessen fängt jetzt ein Chor an.
Ausführlicher darüber nächstens. Die Darstellung war sehr prachtvoll und
kunstreich, erwarb auch großen Beifall. – p –
1 auf den Geburtstag Friedrich Wilhelms III. am 3.
August.
Bei der reichen Fülle von
Schönheiten in dieser Musik, hat man dennoch von dem etwas veralteten
Italienischen Styl, und der Länge der Parthien gefürchtet, und deshalb nur das
Gediegenste und Kürzere beibehalten. Das ist nun von einer Seite zu
entschuldigen, von einer andern zu bedauern, und wer das Original aus der
Partitur, oder nur aus einem Clavier-Auszug kennt, vermißt gewiß manchen
Gesang, der ihm Liebling ward. – Idomeneus, Herr Franz. Sehr braver Gesang, und
lebhaftes bedeutendes Spiel. Es scheint die Stimme dieses Künstlers habe seit
einiger Zeit noch an Kraft gewonnen. – Idamant, Herr Eunike. Er steht hier ganz
an seiner Stelle. – Ilia, Madame Müller. Mad. Müller scheint eine große
Verehrerin Mozarts zu seyn. Denn ob sie schon alle ihre Rollen mit unermüdeter
Sorgfalt behandelt, und die Eigenthümlichkeit jeder Musik richtig auffaßt, so
hört man doch das tiefste Studium, die vollendeteste Rundung, und das, was con
amore genannt wird, von ihr bei den Compositionen jenes Meisters. (Ich erinnre
dabei an Donna Elvira und Constanze.) Sie eignen sich auch darum vorzüglich für
Mad. Müller, da sie schwierig und angenehm zugleich sind, und hier
Kunstfertigkeit und Schönheit des Organs im Wetteifer stehn. Mad. Müller erhielt
auch heute den ungetheiltesten Beifall. Elektra, Madame Eunike sang mit der an
ihr gewohnten Virtuosität, in voller Bedeutung des Worts. Daneben ein sehr
geschmackvoll gewählter Anzug. Arbaces, Herr Lemke. Er sprach seine letzte Rede
mit durchdachtem, tragischem und feurigem Vortrag. Die andern Rollen sind von
wenigem Belang. – Es muß noch angemerkt werden, daß die Uebereinstimmung in dem
schönen Quartett fast unübertrefflich war; auch haben die Chöre die seltenste
Präcision.
Herr Balletmeister Lauchery
ist durch sein großes Talent in Anordnung der Tänze bekannt. Auch heute
überraschten schöne angemeßne Gruppen und leidenschaftlicher Ausdruck. In den
Soloparthien zeigten sich Künstlerinnen und Künstler, denen das Höherstreben
der Kunst am Herzen liegt. Doch – eine Polonaise auf Creta? (Auf Tauris tanzt
man bekanntlich auch eine.) Ich höre schon alle die Rechtfertigungen: daß man
ja doch auch keine Chaconnen u.s.w. auf jener Insel gesehn hat, daß man dem
herrschenden Geschmack nachgeben müsse, daß diese Polonaise an sich sehr schön
sey u.s.w. Das letztre ist vollkommen wahr, aber es läßt sich doch einwenden:
sie müßte nach einem andern Platz verwiesen seyn. Einer Fehde mit der Kritik,
der es gar nicht an Gründen hier fehlen kann, ist dabei nicht zu entgehn.
Die äußere Pracht des Stücks
ist seiner werth. Nur bei dem Drachen wäre zu wünschen übrig, daß er statt
Flammen, Funken sprühte; dann wären die zum Mechanismus gehörigen Stränge nicht
zu sehn, und die Täuschung mithin vollkommener.
– p –
Nationaltheater: Idomeneus (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/83.
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