Die Rolle des Baron in der Lästerschule hat keinen festen Umriß, obwohl
Gutmüthigkeit der hervorstechende Zug dieses Charakters ist. Der
Schauspieler King in London und Iffland in Berlin spielen sie jeder auf
verschiedene Weise, und jeder hat den Zuschauer befriedigt. Es kommt nur
darauf an, daß jeder der Wahrheit treu bleibe, die er einmal angedeutet hat.
King spielt den Englischen Esquire und Iffland den deutschen Baron, und zwar
den, welcher mehr auf seinen Gütern lebt als in der Residenz. Von der Seite
läßt es sich entschuldigen, daß er mit der Gemahlin einen Zank hat, statt
einer heftigen leicht erregten Empfindlichkeit. Obschon die Modefalschheit,
daß er die Anwesenheit der Putzmacherin gegen sein gegebenes Wort verräth,
den Bewohner der Residenz anzeigt, nicht den Landkavalier. Herr Iffland
sucht dies durch das Uebermaß guter Laune weniger hart zu zeichnen. Im
letzten Akt fiel er aus der Rolle, und gab dem Publikum zwar eine sehr
angenehme Laune, aber doch nicht mehr den Charakter des Barons. Je mehr die
fortdauernde Haltung des Charakters durch alle Nuancen den wahren Künstler
von den Dienstthuern auszeichnet, je mehr muß dies als Fehler bemerkt
werden. / Herr Schwadkte gab den ältern Buschdorf in den Scenen mit dem
Baron wahr und treu. Außerdem scherzte er mit dem Publikum über den
darzustellenden Charakter, zwar mehrentheils recht angenehm und sogar
einigemal recht graciös. Aber das heißt doch nicht, den Charakter fassen und
verdient daher Anzeige. Herr Bethmann spielte den fröhlichen Karl. Er
spielte die gutmüthigen Momente überaus brav; an den wildfröhlichen war
einiges zu vermissen. Fröhlichkeit ist nicht ein herabstürzender Bach, der
über entgegenstehende Spitzen wegschäumt; in runden wallenden Wellen rollt
er sich weg, in reifer dichter Masse. In den Scenen des letzten Akts war das
innige schalkhafte Toben, was die harmlose Seele verbreitet, und jene
Klarheit von Ideendarstellung und Verschleifung der Stimme, welche den
ersten Akten abgeht. Der ganze Kerl ist ein schönes Rondeau, und muß die
wohl lustigen Refrains des Rondeau in der Führung des Organs geben. Es ist
zu hoffen, daß Karls Gesellschafter recht weinlustig werden, aber nicht
betrunken. Der Trunkene, dem man Thee bestellen möchte, im Vorübergehend auf
der Bühne erscheinen. / Mad. Müller als Baronin war sehr verdienstvoll.
Fröhlich ohne Ausgelassenheit, besonnen ohne Ziererei, mit Würde ohne
Prätension. Es ist zu hoffen, sie werde sich immer mehr dem Schauspiel
widmen. Demoiselle Möbus war heute lebhafter als ehedem. Indeß kann sie
immer noch lebhafter seyn. Herr Herdt als Oberst sprach mit Kraft und
Empfindung. Sein Empfang des alten Barons war zu kalt, und seine Kleidung
nicht würdig genug. Herr Berger hatte das Verdienst, den Blättler Schlange
nicht in Karrikatur zu ziehen. Dies ist um so verständiger, da dergleichen
die Karrikatur nie in der Denk - Schreibart beweisen. In der Kleidung
macht nur das vernachlässigte Leinenzeug sie kenntlich, und das gehört nicht
auf die Bühne. Herr Reinwald spielte mit Fleiß wie gewöhnlich. Herr Bessel
bewies Willen, dem es an Leben fehlte. Die Uebrigen litten hart am
Gedächtniß, und konnten daher den an sie gerichteten Fragen nicht jederzeit
gerecht werden.
Nationaltheater: Lästerschule, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/89.
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