Statuten:
Gesetze für die Gesellschaft zur Beförderung der Industrie von 1812
§ 1.
Der Zweck der Gesellschaft ist: Handwerke und Ackerbau unter den jüdischen Einwohnern im Preußischen Staate zu befördern. Sie wird den Namen annehmen: Gesellschaft zur Beförderung der Industrie.
§ 2.
Die Gesellschaft wird unvermögende junge Leute jüdischer Religion die Lust und Fähigkeit bezeigen, ein Handwerk zu erlernen, auf ihre Kosten bey guten Meistern in die Lehre bringen, und auf ihre Fortschritte sowohl, als auf ihr gutes und sittliches Betragen wachen.
§ 3.
Sie wird ferner, sobald es ihre Kräfte erlauben, diese Lehrlinge, wenn sie ausgelernt haben, und Zeugnisse ihres guten Verhaltens und ihrer Capacitaet bekommen, mit Geld und Empfehlungen unterstützen, damit sie sich als Meister etabliren können. Diese Unterstützung zum Etablissement kann auch solchen jüdischen Arbeitern zum Theil werden, welche die Gesellschaft nicht hat auslernen lassen, die sich aber durch vorzügliche Atteste dazu besonders qualificiren, und denen es an Mitteln zur ersten Einrichtung fehlt.
§ 4.
Die Gesellschaft wird ferner durch Prämien und durch Aufmunterungen aller Art, sobald es nöthig und zweckmäßig befunden wird, den Gewerbe-Fleiß im Allgemeinen unter den Juden zu befördern suchen.
§ 5.
Bey den jungen Leuten, deren die Gesellschaft sich annimmt, um sie in die Lehre zu bringen, ist zu beobachten:
a.) sie dürfen nicht unter 12 und nicht über 20 Jahr alt seyn. Wenn sie unter 18 Jahr als sind, so müssen sie die Einwilligung ihrer Aeltern oder Vormünder produciren.
b.) ihrem künftigen Etablissement in den Königlichen Staaten muß nach den bestehenden Verfassungen nichts im Wege seyn.
c.) sie müssen nachweisen, daß für ihren nothdürftigen Lebensunterhalt gesorgt ist, indem die Gesellschaft diese Sorge in der Regel nicht übernehmen kann.
§ 6.
Wenn ein Lehrling, welcher für Rechnung der Gesellschaft bey einem Meister untergebracht ist, wärend seiner Lehrjahre krank wird; so ist die Gesellschaft verpflichtet, ihn im jüdischen Latzarethe auf ihre Kosten verpflegen zu lassen.
§ 7.
Die Beförderung des Ackerbaues unter den Juden im Preußischen Staate gehört zwar auch zum Zwecke der Gesellschaft. Da jedoch dieser Zweck weit besser durch Filial-Gesellschaften in kleinen Provinzstädten, als durch die Gesellschaft unmittelbar von der [S. 8] Residenz aus erreicht werden kann; so sollen die nöthigen Maaßregeln zur Verbreitung des Ackerbaus solange ausgesetzt bleiben, bis jene Anstalten zur Verbreitung der Handwerke völlig in Thätigkeit sind.
§ 8.
Ein Mitglied der Gesellschaft ist jeder, der sich zu einem jährlichen Beytrag von wenigstens fünf Thalern auf wenigstens zwey Jahre verpflichtet, und es bleibt es solange, als er dieses Beytrag fortsetzet.
§ 9.
Die Gesellschaft ernennt aus ihrer Mitte durch Mehrheit der Stimmen ein Comité von fünf Personen, denen sie die Verwaltung uneingeschränkt überträgt. Jährlich treten zwey Mitglieder des Comités durchs Loos aus, und werden durch neugewählte ersetzet.
§ 10.
Der Comité vertheilt unter sich, nach seiner Couvenienz, die Cassenführung, die Registratur, die Correspondenz und die Protokoll-Führung.
§ 11.
Jährlich wählt der Comité zwey Inspectoren, an welche diejenigen sich wenden, welche die Wohlthaten der Gesellschaft genießen wollen. Sind es Lehrlinge, so werden die Inspectoren sich nach dem Inhalte des § 3. prüfen, sie werden sich bemühen, gute Meister zu finden, die diese Lehrlinge annehmen wollen, sie werden ferner die erforderlichen Bedingungen mit den Meistern verabreden, die darüber nöthigen Contracte vollziehen, und von ihrem ganzen Verfahren dem Comité Bericht abstatten.
§ 12.
Es liegt den Inspectoren ob, eine vollständige Liste zu führen von dem Namen, Alter, Geburtsort und Wohnung der Lehrlinge, mit Beyfügung des Handwerks, dem sie sich gewidmet haben, wie auch das Datum des Tages, an welchem sie in die Lehre gegeben worden sind, die Zeit der bestimmten Lehrjahre, die Prämie, welche für sie bewilligt worden ist, den Namen und Wohnung des Meisters bey dem sie als Lehrlinge arbeiten; ferner stets mit Aufmerksamkeit darauf zu wachen, ob die Lehrlinge sowohl, als die Meister mit welchen die Gesellschaft contrahirt hat, ihrer Schuldigkeit nachkommen, und monathlich eine Conduiten-Liste der Lehrlinge dem Comité vorzulegen.
§ 13.
Die beyden Inspectoren haben bey allen Deliberationen des Comités Sitz und Stimme.
§ 14.
Von den fünf Gliedern des Comités ist Einer abwechselnd nach der Anciennitaet Präses. Er beruft den Comité zu einer Sitzung, wenn er solche nöthig findet, und wenn bey einer Deliberation die Stimmen gleich getheilt sind; so giebt seine Stimme den Ausschlag. Jedoch kann in keiner Sitzung etwas beschlassen werden, wenn nicht wenigstens drey Mitglieder des Comité und ein Inspector anwesend sind.
§ 15.
Der Comité beruft jährlich die Gesellschaft zu einer Generalversammlung, in welcher er Rechenschaft von seiner Verwaltung ablegt, und die Bilanz der Gesellschaft producirt. In dieser Versammlung wählt die Gesellschaft die zwey neue Glieder des Comités fürs nächste Jahr, und zwar nur aus den anwesenden Gliedern, damit die gewählten sogleich gefragt werden können, ob sie das Amt übernehmen wollen.
§ 16.
Alles, was der Comité im Namen der Gesellschaft thut, und besonders jede Order, wodurch der Cassier authorisiret werden soll, Geld für die Gesellschaft zu bezahlen, muß in einer Sitzung des Comités mit Zuziehung der Inspectoren durch Mehrheit der Stimmen beschlossen worden seyn.
§ 17.
Wenn die Gesellschaft mehr Fond hat, als ihre laufenden Aufgaben erfordern; so kann der Comité, wenn er es gut findet, das überflüssige Geld auf die ihm am sichersten und convenablesten dünkende Weise zinsbar unterbringen, ohne verantwortlich dafür zu seyn.
§ 18.
Die Gesellschaft besoldet einen Boten, dieser stehet unmittelbar unter dem Comité, welcher sowohl seine Pflichten und Dienstleistungen, als sein jährliches Gehalt zu bestimmen hat.
§ 19.
Neue Gesetze zu machen, oder schon bestehende aufzuheben, bleibt ausschließend ein Vorrecht der Gesellschaft. Zu dem Ende werden die Gesetze in einer jeden General-Versammlung der Gesellschaft vorgelesen, und die nöthigen Abänderungen oder Zusätze durch ihre Stimmenmehrheit bestimmt und festgesetzt.
§ 20.
Wenn ein Mitglied der Gesellschaft Vorschläge zur Verbesserung der innern Einrichtung zu machen hat; so kann es solche dem Comité schriftlich einreichen. Dieses ist verbunden, die in Vorschlag gebrachten Verbesserungen genau zu prüfen, und wenn es solche zweckmäßig findet, sie in der nächsten General-Versammlung der Gesellschaft zur Entscheidung vorzulegen.
§ 21.
Alle Mitglieder der Gesellschaft sind verbunden, die Gesetze zu unterzeichnen.