Was das Stück selbst betrifft: sollte sich darüber wohl etwas Neues sagen lassen? – Etwas Neues? – Das weiß ich nicht; etwas Nützliches aber gewiß. Wenn ich zum Beispiel die Frage aufwerfe: welchen Vorzügen verdankt das Stück seinen hundertfünzigjährigen Ruhm, sein nie veralterndes Leben? – so muß diese Erörterung manches belehrende Resultat geben. / Die Fabel des Stückes ist eine der plattesten und leersten, die je zu einem Lustspiel gebraucht worden ist. Ein alter reicher Filz will ein Mädchen heirathen, das sein Sohn liebt, - und seine Tochter, die gleichfalls schon ein zärtliches Verständnis hat, einem alten Reichen geben, der sie ohne Mitgift nehmen will: man stiehlt ihm aber eine Summe Geldes und giebt sie ihm nicht eher zurück als bis er seinen Plänen entsagt und die Wünsche seiner Kinder bewilligt. Von den tausend Stücken die seit dem Geburtstage dieses Geizigen, in Frankreich und Deutschland entweder gleich gefallen sind oder schnell veralten, hatte vielleicht nicht der zehnte Theil eine so nüchterne, läppische Fabel. Ihr also verdankt er seine Unsterblichkeit nicht. / Unter den Situationen – zu denen diese Fabel benutzt ist, sind einige wenige wahrhaft komische, z. B. die, in welcher der Vater mit einem Makler darüber unterhandelt, wie er seinen eignen Sohn am besten prellen könne, aber die meisten sind die alltäglichsten von der Welt: Harpagon jagt einen Bedienten fort, er kündigt seinen Kindern seine Heirath an, er pflegt Rath mit einer Kupplerin u.s.w. / Der Dialog – ist freilich rasch und lebendig und besteht fast aus lauter pikanten Charakteräußerungen, aber das ganze Stück enthält vielleicht nicht zehn eigentliche Bonsmots. / Die Charaktere – Von den vierzehn Personen die in dem Stücke auftreten, haben dreizehn fast gar keinen Charakter; - die vierzehnte freilich, der alles Andere nur zur Einfassung dient, ist mit überschwenglicher Fülle von Laune und Menschenkenntniß gezeichnet, aber das auszeichnende dieses Mannes ist doch eines de dürftigsten Themata, die ein Seelenmaler wählen kann, der Geiz. Wie fing Moliere es an mit diesem einen Laster eines Menschen, fünft Akte so zu füllen, daß die verschiedensten Zeitalter und Völker, daß Zuschauer von den verschiedensten Graden der Bildung, mit dem lebendigsten Genuße sein Gemälde betrachten und sich nicht daran sättigen können? – indeß so manche andre Dichter, die doch auch Talente mannichfacher Art besaßen, durch ganze Gallerien von Charakteren nur kurze Zeit, nur sehr mittelmäßig unterhalten. / Das Mittel das er anwandte, ist so einfach: er malte nicht bloß den Geiß; sondern das Zusammentreffen des Geizes mit andern Neigungen. Der erste Akte zeigt uns den Geizigen in der Aufwallung des Argwohns und - als Vater; der zweite, den Geizigen in der Verlegenheit, sich von seinem eigenem Sohne auf einer Ehrlosigkeit ertappt zu sehen, und – übermannt von der Eigenliebe; der dritte Akt den Geiz im Kampf mit der Eitelkeit und zärtlicher Lüsternheit. Der vierte, den Geizigen voll Eifersucht, - der fünfte, ihn endlich in wütender Verzweiflung. Man sieht, kein räsonierender Psychologe hätte den Geiz in fünf Kapiteln regelmäßiger abhandeln können, als hier der Dichtende in fünf Akten that. Dem lebendigen Gemälde, das auch den finstern Hypochondristen zum erschütternden Lachen zwingt, liegt ein sorgsam entworfener Plan zum Grunde, der als bleibendes Muster dienen kann. Nach diesem Schema kann jeder andre auch ein Charaktergemälde liefern, wenn er – nur auch so viel Menschenkenntniß und Witz als Moliere besitzt. Das Gefäß ist da: schafft nur den Wein es zu füllen. / Zschokkens Bearbeitung ist sehr glücklich: das Stück ist völlig modernisirt, und gleichwohl der Charakter des Originals nur – sehr wenig geschwächt. Geschwächt aber doch! Es würde uns empört haben, einen Vater von seinen eignen Kindern belacht und betrogen zu sehen, daher verwandelte Zschocke Harpagons Kinder in Mündel und Neffen des Kammerrath Fegesack; aber ist der Zug, daß der Geizige mit seinen eigenen Kindern Geldspekulationen treibt, nicht stärker, als daß er es mit seinen Mündeln thut. – Die scheinbare Versöhnung die Moliere im 4ten Akt den Kutscher zwischen seinem Herrn und dessen Sohn stiften läßt, trägt Zschokke der schlauen Nachbarin auf. Das beleidigt unsre Sitten weniger, aber fällt nun nicht die Ansicht weg, daß der Geizige seinen eigenen Bedienten zum Gegenstande des Spoottes dient? – Das sind indeß Kleinigkeiten. Im Ganzen hat Herr Zschokke so glänzendes Talent für Uebersetzen aus einem Zeitalter ins andre gezeigt, daß sehr zu wünschen ist, er möge es bald an recht viel andern alten Meisterwerken üben. / Trotz seinem nie veraltenden, klassischen Werthe, eignet sich dies Stück doch immer nur für das Repertoire sehr weniger Bühnen. Es fordert etwas sehr Seltenes, das – sich nicht erkaufen läßt, wenn ein günstiges Geschick es nicht freiwillig darbietet: einen vollendeten Künstler der in der Darstellung so groß ist, als Moliere im Schildern. Ja, ich möchte fast sagen: wie man selbst ein Heros seyn mußte, um den Bogen des Ulysses zu spannen, muß der Schauspieler, der Molierens Geizigen erschöpfen soll, allenfalls selbst im Stande seyn das Stück zu schreiben, wenn es noch nicht da wäre. Denn nur dann wird er vermögen, die tausend Züge, die Moliere nur hinwarf, in wirkliches, komisches Leben zu verwandeln, wenn er sie selbst schon im Leben mit dem Auge eines Psychologen und dichtenden Künstlers beobachtet hat. Der Schauspieler-Dichter Schröder war groß in der Darstellung des Geizigen; der Schauspiel-Dichter Iffland ist es, der jetzt ganz Berlin in dieser Rolle entzückt. / Ifflands Geiziger ist durchaus originell. Man kann das behaupten, auch wenn man noch keinen andern großen Künstler in dieser Rolle gesehen hat: denn die Art wie Iffland sie ausführt, geht aus seiner Persönlichkeit und aus der ganz neuen Bearbeitung des Stückes hervor. Man ist gewohnt, sich unter einem Geizigen eine lange hagre Gestalt zu denken, und die Harpagon bis jetzt darstellten, selbst Schröder, erkünstelten eine solche Gestalt, wenn die Natur zu gütig gegen sie gewesen war, sie ihnen zu geben, ja, sie suchten den Eindruck dieser Hunger-Erscheinung noch durch einen ärmlichen Anzug zu schärfen. Iffland wirft diese Unterstützung die sich aus der Garderobe und der Schminkbüchse holen läßt, weg, und malt seinen Geizigen doch unübertrefflich wahr, und belustigender, als er mit jener Unterstützung erscheinen würde. Der Kammerrath Fegesack hält eine Equipage und hat das Haus voll Bedienten: wie käm’ er zu einer armseligen Kleidung? Aber daß er in dem Aufwande erspart was sich nur ersparen läßt, ohne gradezu alles Schickliche seines Standes zu zerreissen: das ist in dem Charakter des Geizhalses. Er ist also anständig gekleidet: doch so altväterisch daß man wohl sieht, die Auslage die er für den Wohlstand einmal machte, muß schon seit zwanzig Jahren hinreichen. (Das stimmt mit Molierens Anlage überein, da er den Harpagon mehrere Bediente haben, aber diese in Lumpen gehen läßt) Sein Geiz malt sich nur durch den Ausdruck seiner Mienen, durch dein Gebärdenspiel, durch seinen Ton: kurz durch alles was belustigen kann, ohne zugleich eine unangenehme, widerliche Idee vor die Seele zu führen. Natürlicher läßt sich diese Rolle geben, als Iffland sie spielt, aber – als belustigendere und geschmackvollere Kunstleistung nicht. - g -
Das Wort übersetzt steht doch unrichtig auf dem [Theater-]Zettel, da Herr Zschokke mehr getan hat. Sonst, für diese bloße Uebersetzung hätte es vielleicht keiner neuen Arbeit bedurft; wir besitzen sogar eine vom Jahre 1748, die, mit einiger Nachhülfe des Styls, immer noch brauchbar wäre; und ob nicht der verkürzte Geizige Schröders noch immer die beste Ausgabe sey, bleibt vielleicht auch nach Zschokkes Verpflanzung übrig zu sagen. Denn die Hauptfigur ist doch das wesentliche. Die andern können zufolge der Stufe, auf welcher jetzt die dramatische Kunst steht, schwerlich ein Interesse gewinnen. Die Uranlage ist zu unbedeutend. – Iffland spielte im fünften Akt mit schwächerer Gebehrde, und sprach leise und heiser, gleichsam als hätte ihn der Schrecken über den verlorenen Schatz erschöpft. Ein feiner Zug. – Jakob (Hr. Berger) hatte viel Derbheit. / - p
Nationaltheater: Geizige, Der (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/126.
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