Den 28sten [!]: Armide. / Es
werden wohl so leicht keine Opern irgendwo mit dem Grade von Präcision und
Vollkommenheit gegeben, als Armide und Iphigenie auf der Berlinischen Bühne.
Jede Vorstellung giebt ihnen mehr Rundung, mehr Ensemble, und entwickelt
neue Schönheiten. Gesang, Tanz, Musik, Dekoration wetteifert um den Vorzug
und theilt den Beifall. Mad. Schick schien sich heute selbst zu übertreffen.
Hrn. Eunike's Stimme war schwächer als gewöhnlich, aber angenehm; Mad. Lanz
sang als Najade sehr brav. Das Beschwörungsduett war eines der gelungensten.
Auch die Ouverture kündigte das schöne Stück schön an.
In einem Journal
wurde vor Kurzem Glucks Armide gegen die ihr gemachten Beschuldigungen in
Schutz genommen. Die Musik, hießen diese, sey nicht, wie in den beiden
Iphigenien, Ausdruck der Natur, der Leidenschaft, des Gefühls. Nichts ist
aber dem Gegenstande der Armide angemessener als eben dieses. In der Armide
ist alles Zauber und Zauberei. Auch die Musik muß es seyn. Bloß im Duett des
5ten Akts hat sich Armide ganz ihrem Herzen überlassen; die Zauberin ist
verschwunden und hat dem Weibe Platz gemacht. Wie unaussprechlich sanft,
harmonisch, ausdrucksvoll ist hier die Musik! Diese Dissonanz mit dem
übrigen ist kein Fehler, liegt in der Natur des Stücks, im Willen des
Komponisten; so wie in beiden Iphigenien er in seiner Komposition der Regel
treu geblieben, in der einen, die Liebe, in der andern die
Freundschaft auszudrücken.
Armide von Gluck. Mit Freuden sieht das kunstliebende Publikum diese herrliche Oper wieder auf unsrer Bühne erscheinen. In Ihr hat Gluck nicht nur sein großes Genie und seine tiefe Urtheilskraft am mächtigsten bewiesen; er hat auch in ihr, und besonders in den Tanzstücken, den größten Zauber der Melodie gelegt, den so mancher einseitige Kritiker, der nur in unbedeutenden Dehnungen und künstlichen Läufen Schönheit und Reichthum der Melodie erkennt, seinen Meisterwerken so gerne absprechen möchte. So lange nicht der höhere Sinn und Reiz der Gluckschen Composition in Frankreich an einem Gedicht erprobt und bewiesen wurde, welches der sogenannte Erfinder und erste Held der großen französischen Oper nach seiner Art schon bearbeitet hatte; so lange nicht Glucks Tanzmusik, neben die Meisterarbeiten ihres Rameaus gestellt, die Vergleichung bestehen konnte; blieb die alt-französische Parthei, die sich, wenn sie gewußt hätte, was sie so recht eigentlich wollte, dem Erhöher und Vollender jenes ächt tragischen Genres sogleich hätte in die Arme werfen sollen, eben so Gegenparthei für ihn, als die italienische, die ihm alles absichtlich unbenutzte und weggeworfene ihres üppigen Reichthums, für eigentlichen Mangel anrechnete. Erst dann, als Gluck Quinaults zaubervolles Gedicht mit allen seinen Schönheiten und Galanterieen und Ueberflüssigkeiten mit ächt französischer Musik bekleidete, und dieser durch den Reichthum deutscher Instrumentalmusik höheres Leben gab, und als er Rameaus bis dahin unerreichte und unübertroffene Tanzmelodien nicht nur erreichte, sondern in mehreren Szenen dieser Zauberoper auch wirklich übertraf; erst dann konnte man die Freunde der eigentlichen französischen Oper überzeugen, daß der deutsche Meister ihnen kein neues Genre aufgedrungen, sondern nur ihr altes, das sie eigentlich doch auch den Italienern verdankten, erhöht und vervollkommt hatte. So ward es leichter, die auch noch so sehr eingenommenen und verblendeten alten Franzosen vorwärts, als die Italiener auf einen würdigern ältern Zustand zurück zu führen. Gluck blieb in dieser neuen vollendeten Gestalt den Italienern fremd, und wird ihnen immer fremd bleiben, so lange nicht eine gänzliche Revolution der italienischen Theatermusik auf die wahre Schönheit und bedeutende Einfalt zurückführt, durch die sie in ihrer schönsten Epoche für die ganze musikalische Welt ein hohes Muster war. Die Deutschen, die für alles Sinn und Gefühl haben, wußten von den Meisterwerken Glucks, mit denen er für die an den einmal eingeführten üppigen Formen sclavisch hängenden Italiener dort seine Reform begann, eben so sichern Gewinn zu ziehen, als von seinem letzten für Frankreich erfundenen und vollendeten Werke; genossen seinen Orfeo und seine Alceste, trotz aller sinn- und gefühllosen Kritik, die ihnen damals in Bibliotheken und musikalischen Allmanachen so plump entgegen trat, mit derselben Lust, mit der sie später seine beiden Iphigenien und die Armide genossen und noch genießen. Auch die Vorstellung vom 19ten d. hat gewiß den Freunden der Kunst im Ganzen viel Genuß gewährt, wenn sie gleich wie alle ersten Vorstellungen, bei einer neuen Besetzung nicht die ganze Zusammenstimmung und Präcision hatte, die man an solchen Werken von unserm Theater und Orchester zu hören gewohnt ist. Da hieran wohl einige bestimmte und fast durchgängige Abweichungen vom strengen Vortrage schuld seyn mochten; so sey auch heute nur dieses von uns gerügt, und die genaue Zergliederung der Verdienste der Hauptpersonen und der Mängel anderer bis zu einer der folgenden Vorstellungen verschoben. Das wichtigste war wohl, daß mehrere Sänger und Sängerinnen fast durchaus die deklamatorische und parlante Composition zu gehaltnem Gesange auszudehnen strebten, und dadurch den Charakter der fast in jedem Verse bedeutenden, gerade durch rythmische Schönheit und Wahrheit kraftvollen Musik schwächten, und mit dem Orchester, das stets der richtigen Bewegung entgegen strebte, in Disharmonie kam. Gluck hat die Sänger, für die er schrieb, durch den streng unterhaltenden Gang des Orchesters, der in den Oberstimmen fast immer mit dem Sänger zusammen geht, zum genauen rythmischen Vortrage zwingen wollen, und es macht einen desto größern Uebelstand, wenn beide durch übel angebrachte Einschaltungen neben einander zu gehen kommen. Zu einem vortheilhaften Gesange, in welchem die Sänger die Annehmlichkeit ihrer Stimme, oder wohl gar den Reichthum ihrer Verzierungen zeigen könnten, bringen sie es durch alles Dehnen dennoch nicht, und die Deutlichkeit und der Nachdruck des schönen bedeutenden parlanten Gesanges, der besonders in seinen Schlußfällen oft so frappant ist, geht verloren, ohne daß dafür etwas anders, das auch nur den einseitigen Gesangsfreund schadlos halten könnte, an die Stelle tritt. So wurden auch unverkennbar, den unpassenden Pas zu gefallen, bei welchen mehrmalen nicht einmal auf die deutlichsten Gegensätze von Forte und piano in der Musik Rücksicht genommen war, einige der zaubervollen, herrlichen Tanzmelodieen zu langsam genommen. Im Ganzen executirte das Orchester, unter der trefflichen Leitung des Kapellmeisters Weber und Concertmeisters Moeser, die Oper mit vieler Kraft; nur in den Mittelstimmen, die bei Gluck so oft eine anhaltende malerische Bewegung haben, die dem ganzen Gange einen bestimmt rythmischen Charakter geben, war nicht immer die Haltung und Festigkeit, die solche ostinate Bewegung aufs strengste erfordert, wenn nicht bald ein allgemeines Schwanken eintreten soll. Mit Verlangen sehen wir den folgenden Vorstellungen entgegen, die bei Vermeidung der gerügten Dinge, gewiß von jeder Seite befriedigend werden können.
Königliche Schauspiele. (eingesandt) Die herrliche, bezaubernde Armide von Gluck, welche seit der Krankheit und dem Verlust unserer in dieser Partie vorzüglich unvergeßlichen Schick nicht gegeben werden konnte, und welche man vergebens von der Silber-Stimme der Mad. Milder-Hauptmann zu hören gehofft hatte, welche durch die Darstellung von Medea wohl ihren Beruf zu tragischen Oper-Partien bekundete, wurde endlich, nachdem die Aufführung am Geburtstage Sr. Königl. Hoheit des Kronprinzen durch Unpäßlichkeit unserer ersten Sängerin verhindert war, am 19ten d. M. wieder im Königl. Opernhause mit aller Pracht, Rundung und möglichsten Vollkommenheit gegeben. Daß die Erwartung des Publikums gespannt war, bewies das überfüllte Haus. Theils die Erinnerung vergangener Zeit, theils der Zauber der beliebten Musik, und endlich auch wohl die Neugierde, wie Dem. Schmalz die Armide in Gesang und Spiel geben werde, trugen hiezu bei. Die schätzbare Künstlerin leistete nun, mit Anstrengung aller ihr zu Gebote stehenden Kräfte, was möglich war: wenn auch die Recitative mit unter noch nicht ganz ihrem Gedächtniß angeeignet schienen, u. bei zu großer Anstrengung einige mal die Mittel-Töne (vielleicht einer noch statt findenden Indisposition wegen) versagten, auch im zweiten u. dritten Akt zuweilen dem Spiel der leidenschaftliche schnell wechselnde Ausdruck des wüthendsten Hasses und der glühendsten Liebe fehlte, so war doch die höchste Kraft auf den letzten Akt verspart, und vorzüglich die letzte Szene der Oper war der Sieg der Dem. Schmalz über die nur dem Kenner bewußten, großen Schwierigkeiten dieser Partie. Ihre Bemühungen wurden dankbar anerkannt, und durch die gewöhnliche Auszeichnung geehrt. Auch die übrigen Haupt- und Neben-Personen waren bestmöglichst besetzt. Durch den klaren, reinen, gediegenen Gesang der Partie des Rinald bewahrte Hr. Eunicke aufs Neue seinen ächten Künstler-Ruhm. – Die beiden Vertrauten Armidens waren den Talenten und angenehmen Stimmen der Dem. Sebastiani (deren Fortschritte bemerkbar sind) und Leist angemessen. Nicht minder lieblich war der zarte Gesang des kleinen Dämons, welchen Dem. Fleck repräsentirte. – Die beiden Ritter wurden auch von den Hrn. Rebenstein und Stümer gut gesungen und lebendig gespielt. – Mad. Lanz, als Furie des Hasses, sang sehr brav, fest und rein die sehr schwere und anstrengende Partie; ihre, der verewigten Schwester in den Mittel-Tönen noch ähnliche Stimme, weckte Erinnerungen an die unvergeßliche Armide von 1805! Die Chöre sind weit besser als damals, minder rauh und doch kräftig und ausdrucksvoll; z. B. das Finale des ersten Akts „bringt ihm Schmach und Martertod“ etc., der sanfte Chor im zweiten Akt: „Beklagt sey er, der nie genossen“ etc. und die Furien-Chöre des dritten Akts. Selten wird man ein Theater finden, wo auch auf diesen höchst wichtigen Theil der großen Oper solche Aufmerksamkeit verwandt wird. Daß ein solches Orchester, als jetzt die Königliche Kapelle im Ensemble unter der Aufführung eines mit Gluck’s Geist der Composition so innig vertrauten Meisters, als unser thätige Weber ist, nach so genauen Proben und Beachtung jedes wahren Zeitmaaßes, der Heraushebung jeder den Ausdruck verstärkenden Figur, jeder kleinen, bei Gluck stets höchst bedeutsamen Nüance, ein solches Kunstwerk, als Armide ist, mit Liebe, Feuer und Leben ausführen müsse, läßt sich denken, auch ohne die Oper zu hören. Wer sie aber hörte, Kenner oder Nicht-Kenner, muß er nicht durch solche Macht der Töne wechselsweise erschüttert, entzückt, sanft bewegt werden, wenn z. B. das Beschwörungs-Duett, die unbeschreiblich zarte Szene Rinalds mit der Flöte, die Wolken-Erhebung im 2ten Akt, der mächtige Ruf (mit den vorstehenden Hörnern) an des Hasses Megäre, die Furien-Ballette, die fantastischen Liebes-Szenen des 4ten Akts, das himmlische Duett: „Arm in Arm“ etc. der mächtige Kampfruf der Tuba (welcher höchst zweckmäßig auch bei der gewaltsamen Trennung Rinalds von Armiden wiederholt wurde und solche besser motivirt), die so meisterhaft ausgedrückte Verzweiflung der Zauberin in der Schlußszene, die Sinne, das Gefühl und den Verstand des Zuhörers in gleichem Maaß in Anspruch nehmen! Auch die Ballette zu Armide waren zweckmäßig und wurden gut ausgeführt; den lautesten Beifall erhielt das schon früher beliebte, eingelegte Pas de deux im 5ten Akt von Dem. Joyeuse und Hrn. Moser, welches auch durch die obligate Oboe-Begleitung (des Hrn. Grosser) ausgezeichnet wurde. Nicht minder Kunstwerth hatten mehrere Tänze, welche zu detailliren hier nicht der Ort ist. Von Seiten der Decorationen war viel vorzügliches geleistet; besonders schön und imposant war die Wolken-Glorie im 2ten Akt und der brennende Pallast mit dem gelungenen Feuerwerk am Schluß der Oper – welches classische Werk noch lange die Lieblings-Oper Berlins zu bleiben verdient – denn, das wahre Schöne bleibt ewig schön.
Nationaltheater: Armide (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/136.
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