Wir haben uns über die französischen
Kleinstädter von Picard und von Kotzebue absichtlich so weit verbreitet1, und die Parallel, welche Herr von
Kotzebue selbst gebildet hat, desto schärfer ziehen zu können; aber wir müssen
gestehen, daß wir durch den Raum dieser Blätter zu sehr beschränkt wurden, um
alle Vorzüge des französischen Schauspiels in ein helles Licht zu stellen.
Dahin rechnen wir vorzüglich die Gefälligkeit und Natürlichkeit der Anlage, die
Mannigfaltigkeit der unterschiedenen Formen der Kleinstädterey, den festen,
ruhigen Contrast mit den Großstädtern, das Verweilen in der allgemeinen Lächerlichkeit,
und die gänzliche Entfernung von allen persönlichen oder localen Spott. – Wenn
wir dieses alles auch angedeutet haben, so verdiente es doch eine genauere
Entwikkelung, die wir nicht geben können, weshalb wir die Leser auffordern, das
französische Original zu lesen, oder das Stück durch das Spiel eines Iffland
und einer Unzelmann unterstützt und geistreich commentirt, zu sehen.
Daß es in Deutschland
eigentlich keine dramatischen Kleinstädter giebt, ist schon einmal angedeutet
worden; und es scheint durch das Lustspiel des Hrn. von Kotzebue bestätigt zu
werden. Denn es sind in der That nicht Kleinstädter, sondern es sind Schildbürger,
und das Stück scheint aus einer Sammlung Schildaischer Anekdoten
zusammengesetzt zu seyn.
Wirklich fühlt sich auch in
Deutschland die Residenz oder capitale nicht so mächtig über die kleine Stadt
erhaben, als sonst, und vielleicht jetzt von neuem, in Frankreich; es
wetteifern die Bürger nicht so mit der Hauptstadt, sie beschränken sich in die
stille Ruhe ihrer Mauern, in ihrer Häuslichkeit, und haben in ihr den alten,
deutschen Charakter der Biederkeit und Herzlichkeit unverfälscht erhalten. So mögen
sie mit einiger Unbehülflichkeit, dieser Geradheit, und kleinlicher Vorliebe für
ihren kleinlichen Ort, wohl Züge zu einem komischen Gemälde geben, aber dieses
Komische ist von einer ganz eigenen Art, es wird nie die laute Lache, wohl aber
ein theilnehmendes Lächeln erregen.
Selbst die Titelsucht kleiner
Oerter, welche der Verfasser so sehr hervorhebt, findet nicht allgemein, und in
dieser Lächerlichkeit nirgend statt. Allerdings hält man auf Titel, aber mehr
oder weniger als in großen Städten? – In dieser Hinsicht sind die Großstädter
oft sehr kleinstädtisch.
Weit charakteristischer für
deutsche Kleinstädter wäre es gewesen, wenn Hr. von Kotzebue das strenge halten
auf Verwandschaft, wo man jeden Vetter nennt, und die Achtung für den Titel:
Gevatter, hervorgehoben hätte. Dies wäre auf der einen Seite wahrer gewesen,
auf der andern hätte es die Anhänglichkeit der Deutschen unter einander, ihre
Achtung für jede Art von Verbindung, dem komischen Effekt unbeschadet, sehr in
das Licht gestellt.
Bey allen Mängeln hat das Stück
hervorspringende Züge eines ächt komischen Genies, z. B. das Trio, welches der
Sonettendichter, der Nachtwächter, und die Andächtigen am Abend singen, das
Gespräch, welches die Bewohner eines Hauses, der eine aus dem Fenster der
Ladenstube, der andere vom Dachfenster herab, führen, welches ganz deutsch und
kleinstädtisch ist.
Man hat bey dieser
Gelegenheit des Namens Holberg erwähnt, der, wo von ächt komischen die Rede
ist, nur mit dem innigsten Respeckt genannt werden muß, man hat dieses Werk des
Hrn. von Kotzebue mit dem Holbergischen verglichen, und dies soll uns
Gelegenheit geben, in einem der nächsten Stücke umständlicher über Holberg zu
reden, dessen Zurückführung auf die deutsche Bühne uns weder unmöglich, noch
unschicklich scheint, wenn sie nur von einem genialischen Komiker unterstützt
wird.
Eines ungetheilten Beyfalls
erfreuten sich die deutschen Kleinstädter nicht, und fast mögte man sagen, daß
die Stimme des Mißfallens, die laute, die donnernde, den Sieg davontrug. Der Darstellung ist es nicht zuzuschreiben. Hr.
Unzelmann, Mslle. Döbbelin, Mad. Meyer, Mad. Fleck, Hr. Beschort, boten alles
auf, um das Stück zu halten.
1 Annalen des Nationaltheaters, 1. Mai 1802, Nr. XVIII,
S. 282–288.
»Die französischen Kleinstädter«
und »die deutschen Kleinstädter«, beide von Kotzebue, jene nach dem Französischen
bearbeitet, diese Originale folgten kurz auf einander.
Das Original der ersten ist
von Picard, von dem man wohl bessere Stücke hat. Dieses ist eine sogenannte pièce
à tiroir, wo nur ein dünner Faden die einzelnen charakteristischen Szenen zusammenhält.
Dabei könnte nun viel mehr Verstand aufgewandt seyn, und es war kein glücklicher
Gedanke, das Stück nach Deutschland zu verpflanzen, da mit der lokalen Wahrheit
solcher Schilderungen ihr eigentliches Interesse verlohren geht. Auch hielt
sich das Ganze nur durch das vortrefliche Spiel der Mad. Unzelmann und Herrn
Ifflands, als zweier Kleinstädter vom modigsten Schnitt. Hingegen war es gänzlich
unglaublich, daß die Herren Schwadtke und Bethmann zwei Pariser von ächtem
guten Ton seyn sollten, und da zum Nachspiel der »Hausverkauf« gegeben ward,
hatte man den Verdruß, die Unfähigkeit dieser Subjekte an einem Abend zwei Mal
bewundern zu müssen.
Die »deutschen Kleinstädter« sind eine Posse, wo mit
vieler Plattheit einige lustige Situazionen erkauft werden. Und wenn diese und
die Mittel sie herbei zu führen nur dem Autor selbst gehörten! Allein, wer
dramatische Literatur besitzt, wird leicht nachweisen, woher dies und jenes
genommen ist. Indessen danken wir Hrn. von Kotzebue für den guten Willen
Holbergisch seyn zu wollen: es ist immer für ihn eine große Stufe zur Bildung.
Nur ist freilich in Holbergs Stücken eine Gründlichkeit der Komposizion, die
hier durchaus vermißt wird. Der Rolle eines abgeschmackten süßlichten altfränkischen
Poeten, Hrn. Sperling, ist hier alles mit aufgebürdet, was Hr. von Kotzebue für
die neuesten Thorheiten einer für revoluzionär in der Literatur ausgeschrieenen
Gesellschaft von Schriftstellern hält, wovon einige allerdings nicht zum besten
mit ihm umgegangen sind. Das paßt nun zwar ganz und gar nicht, allein die
Absicht der persönlichen Satyre auf dem Theater verdient mit Lob bemerkt zu
werden, wenn auch die Kraft dazu fehlt; und die, auf welche hauptsächlich
gezielt wird, würden gewiß die Ersten seyn, Hrn. von Kotzebue ihr Kompliment
darüber zu machen. Das Stück wurde durchweg ungemein gut gegeben, die Zuschauer
lachten und fanden es eben deswegen platt; der Pranger gab ihnen großen Anstoß,
da er doch unstreitig der beste Einfall im ganzen Stück ist. Wenn wir bei Hrn.
von Kotzebue bestellen dürfen: immer lieber so etwas, als Oktavien oder
Bayards. – – Jetzt wird Ion erwartet.
Die deutschen Kleinstädter, Lustspiel von Kotzebue. Das Produkt ist platt! rufen Kotzebue’s Feinde. Kann seyn, aber das Erhabene war doch hier keineswegs zu schildern, das Platte ist doch wahr. Wir wollen das aber nicht auf der Bühne, heißt es dann wohl weiter. – Was denn? – Göthe! - Gut, aber diese vornehme Natur läßt doch in den Geschwistern von anprobirten Strümpfen, und dem alten Käseweibe; im Clavigo von Liebhabern ohne Augen und Nasen reden, und mehr dergleichen wo man Uebelkeiten empfinden kann, Götz von Berlichingen nicht einmal zu erwägen; wird denn so was durch die Wahrheit gerechtfertigt, oder durch die Genialität auch zum Aetherischen erhoben? Vermuthlich würde hierauf etwas geantwortet werden, wie: nur das Genie begreift das Genie; obgleich auf dergleichen Partheigeleitete gewöhnlich genau paßt, was der launige Jean Paul im Titan sagt: diese ästhetischen Franziskaner, welche an die unbefleckte Empfängniß jedes Göthischen Kindes glauben, haben die Gabe der Israeliten, daß ihnen das Manna grade so schmeckt wie sie es verlangen; sie können also jeden, dem es absichtlich um eine übertriebene Lobrede zu thun ist, mit Ueberzeugung dienen.- Die heutige Aufführung der Kleinstädter war wieder, bis auf einige Nebendinge, sehr lobenswerth; Herr Reinwald gab den burlesken Gefangenwärter besonders mit vieler Laune. - n-
Nationaltheater: Deutschen Kleinstädter, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/139.
Link zu den API-Daten: https://berlinerklassik.bbaw.de/api/nationaltheater/theaterstueck/139