Ion

Sparte/Genre:
Schauspiel
Personen:
Autor:
August Wilhelm von Schlegel

Liste der Aufführungen

Aufführungsdatum: 15.05.1802
Rezensionen
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Ion, Schauspiel in 5 Akten
Quelle:
Annalen 1802, S. 351
Rezension:
Zeitung:
Annalen 1802
Aufführungsdatum:
1802-05-22
Nummer:
XXI
Seite:
331-336
Autor:
ungez.

Ueber Ion***.
Aus einem Briefe an S. in Breslau.

Ich schreibe Ihnen, theurer Freund, meinem Versprechen gemäß, immer sehr gern das Neue und Merkwürdige von unserer Bühne, und Sie wissen, daß es mir an Stoff dazu seit der Einweihung des neuen Schauspielhauses nicht gefehlt hat, aber niemals habe ich mit solcher Lust geeilt, mein Versprechen zu erfüllen, als heute, und auch ohne Versprechen würde ich dem Drange nicht widerstehen können, mich Ihnen mitzutheilen. Ion ist auf unserer Bühne erschienen. Sie haben ohne Zweifel schon manches über ihn gelesen, denn dafür sorgt die Zeitung für die elegante Welt; auch davon werden Sie vielleicht gehört haben, daß er vor Böttchers Augen nicht Gnade gefunden, und daß der gelehrte Mann im heiligen Eifer ihm eine Kritik zugedacht haben soll, die – wer wollte nicht an Böttcher glauben – seinen Unwerth ohnfehlbar darthun muß. Doch, was Sie gewiß mit Liebe gelesen und verstanden haben, sind die Zeilen, die Göthe über ihn in dem Maystücke des Modejournals geschrieben hat, aber auch, was er nicht gesagt und kaum angedeutet hat, kann Ihnen nicht entgangen seyn. Ein Lob aus diesem Munde durfte allerdings eine gute Meynung für Ion im Voraus erwecken, und ich gestehe Ihnen gern, daß ich mit Vorliebe seine Erscheinung erwartete, aber vielleicht eben darum einen mehr als gewöhnlich empfänglichen Sinn für das Schöne in das Schauspielhaus mitbrachte. Meine Erwartung wurde reichlich belohnt; ich habe einen seltnen Genuß gehabt, den ich Ihnen in seiner ganzen Fülle mittheilen möchte, wenn es mir möglich wäre, Ihnen ein treues Gemälde meiner Empfindungen während der Anschauung dieses Kunstwerks zu geben. Es war nicht die Rührung, die jede lebhafte Darstellung einer, dem gemeinen Leben nachgebildeten, ansprechenden Situation so leicht erregen kann, nicht der Rausch eines von einem interessanten Gemählde erhitzten Geblüts, nicht der flüchtige Enthusiasmus, der das Ausserordentliche einer kühnen That, die gewaltige Explosion einer scheinbaren Charaktergröße hervorbringt, und oft in dem nämlichen Augenblick wieder vernichtet, es war ein Ruhe voll glühender Andacht, eine tiefe innige Empfindung des Schönen in allen seinen Gestalten, eine beharrliche Begeisterung, und, indem das Herz von der Kraft der Dichtung erwärmt, sich dem reinmenschlichen wohlwollend aufschloß, wallte in dem Gemüth eine Sehnsucht nach dem Höhern und Unendlichen, nach Befriedigung strebend, die ihm die wunderbare Erscheinung des Göttlichen völlig gewährt. Eine Stimmung wie diese, war freylich nicht geschickt der Kritik Raum zu geben, aber doch sicher die beste oder vielmehr die einzige, um hinterher die besonnene Prüfung auf die richtige Ansicht und ihr wahres Maaß und Ziel zu führen. Wen im Augenblicke der Anschauung ein Kunstwerk nicht ganz ergreift und erwärmt, der mag über dessen technische Zusammensetzung und über diese und jene Einzelnheit recht klug urtheilen, aber über den Geist und das Wesen desselben wird er eben nicht viel bedeutendes zu sagen wissen. Freylich wird Ion den Kritikern von dieser gewöhnlichen Art nicht entgehen, und sie werden in allen ihren Manieren auftreten. Ihnen ist bekannt, daß man schon diesen Ion mit dem des Euripides zu vergleichen, und so vielleicht herauszubringen gesucht hat, daß er entweder eine bloße Nachahmung, oder ein verfehltes, mißrathnes Projekt sey. Kunstrichtern dieser Art hat indeß Göthe schon in dem erwähnten Stück des Modejournals den Standpunkt angewiesen, auf dem sie sich erst orientiren müssen, wenn die Vergleichung des Alten mit dem Neuen nicht eine ganz leere Schulübung seyn soll. Für diejenigen dagegen, welche dem griechischen Mythos und dem Antiken durchaus keine Stelle auf unserer Bühne verstatten wollen, und sie gern überhaupt aus der modernen Dichtung verdrängen möchten, die Helm und Schwerdt und Spieß des rohen Mittelalters nur erschüttern und begreifen, oder nur im sogenannten bürgerlichen Trauerspiel gerührt werden können, würde jedes Wort der Zurechtweisung überflüssig seyn. Vergeblich würde man ihnen sagen, daß im dem griechischen Mythos das menschliche Gemüth rein und ganz sich ausspricht, und das alles Wollen und Wünschen, Ahnen und Hoffen, Widerstreben und Beginnen in dem Menschen, wie er ewig ist und bleiben wird, hier in den bestimmtesten Bildern redet. Gerade in diesem Ion erscheint der wunderbare Mythos in seiner lieblichsten Gestalt. Ion, eine Frucht der Liebe Apolls zu Creusen wird von seiner Mutter ausgesetzt, und wunderbar errettet am Tempel zu Delphi gefunden, wo er im heiligen Dienst seines Gottes bis zu seinem sechzehnten Jahre aufwächst. Creusa war indeß mit dem Xuthus vermählt, aber die rächende Gottheit bestraft ihre unmütterliche That an dem erstgebohrnen Sohn mit einer kinderlosen Ehe. Beide gehen das Delphische Orakel über ihr Schicksal zu befragen. Xuthus, den Sohn wünschend, deutet den Spruch des Orakels zu rasch und glaubt in Ion den wirklichen Sohn, die Frucht einer ehemaligen heimlichen Umarmung zu finden. Creusa, jetzt zwiefach gefoltert, da ihr Gemahl einen Sohn besitzt, der nicht der ihrige, nicht aus dem Stamm der Erechtiden ist, wird von dem alten eisernen Freunde des Erechtheus Phorbas beredet, den Knaben durch Gift aus dem Wege zu räumen. Aber der Gott rettet durch ein Wunder den Sohn und in dem frommen harmlosen Ion erwacht jetzt auf einmal der Zorn über diesen Frevel, und mit rächendem Pfeil verfolgt er die von allen Furien des Gewissens geplagte Creusa. Doch eben der Gott, der ihm das Leben rettete, bewahrt ihn durch die Stimme seiner Priesterin vor dem Verbrechen des Muttermordes, und in dem Augenblick, da ihm die Priesterin das Behältniß, worin sie das ausgesetzte Kind fand, zurückgiebt, und er die ihm mitgegebene Kostbarkeiten mit tiefer Empfindung betrachtet, erkennt Creusa an diesen Zeichen den eigenen Sohn. Der edle Xuthus liebt ihn darum zwar nicht minder, aber dort ein Orakelspruch, hier diese Zeichen und immer noch die Ungewißheit des Schicksals, um dessentwillen beide das Orakel zu fragen kamen, – nur die göttliche Erscheinung selbst kann hier Aufschluß und Befriedigung geben. Ion, von der frommen Ueberzeugung begeistert, daß Apoll, wenn er sein Vater sey, es ihm durch ein untrügliches Zeichen kund thun werde, sendet sein Gebet zu ihm hinauf, und der Gott erscheint in seiner Glorie, erkennt den Ion als seinen Sohn, verheißt dem Xuthus mit Creusen den Achäus und ewigen Ruhm seines Stammes.
*** Eingesandt

Rezension:
Zeitung:
Annalen 1802
Aufführungsdatum:
1802-05-29
Nummer:
XXII
Seite:
337-343
Autor:
ungez.

Spricht nicht ächte Poesie aus dieser Fabel und dieser Composition, wovon ich Ihnen nur eine ganz oberflächliche Skizze gegeben habe; unendlich viel schönes Einzelnes und die zarte innige Verbindung alles dieses Einzelnen mag Ihnen die vollständige Kritik eines geistvollern Beschauers darlegen. Aber welche Simplicität herrscht in diesem Schauspiel, welche Enthaltsamkeit von allen, selbst schönen Auswüchsen, und doch welche Mannigfaltigkeit und Fülle in der gesetzmäßigen Einheit; wie frei ist es von jenem gewaltsamen Streben nach Effekt und wie groß und erschütternd sind die einzelnen Momente! Ich hebe nur einige heraus, die Flucht der von der Furie des Gewissens gejagten Creusa, wo schon der veränderte Mechanismus des Silbermaßes [!] die Situation so sprechend ausdrückt; die rasche Verfolgung des Ion und dann die Erkennungsscene zwischen beiden. Kampf und Ruhe, Menschheit und Schicksal herrschen im schönen Wechsel und in der freiesten Verbindung durch die ganze Handlung. Die Sprache ist überall dem Stoff und der Würde des Gegenstandes angemessen, ihr rythmischer Bau ist nie willkührlich, sie hat den Zauber des Wohllautes ohne überladenen Schmuck, Gedankenfülle ohne den Auswuchs schimmernder Sentenzen. Ueberall hört man den Dichter, den die griechische Muse gepflegt und gebildet hat, der heimischer in Athen als in seinem Vaterlande ist, und das möchte wohl auch der hauptsächlichste Vorwurf seyn, den das minder-kultivirte Publikum seinem Ion bis jetzt gemacht hat. Es versteht sich, daß von allen denen, die nur in leerer Passivität Zerstörung und Unterhaltung suchen, gar nicht die Rede seyn kann. Und dieses Schauspiel wurde nun mit einem Ensemble und einer Vollkommenheit dargestellt, wie sie in dieser Gattung auf unsrer Bühne und gewiß auf keiner Bühne jemals gesehen worden ist. Das Kostüm der auftretenden Personen war treu und geschmackvoll, und, wo es hingehörte, prächtig. Die Verzierung der Bühne angemessen und gewählt; der grünende Lorbeer, in den Daphne verwandelt worden, verrieth noch die ehemalige Gestalt, und der erhabene Tempel Apolls gewährte einen imposanten Anblick. Alles führte uns in eine neue Welt und verkündete uns die Bekanntschaft mit edleren Gestalten, unter denen Ion vor allen hervorleuchtete und gleich bei seiner ersten Erscheinung durch seine liebliche Anmuth mit ihm befreundete. Nie hat Madame Unzelmann ihr Genie und ihre Künstlergröße so untrüglich documentirt als durch diese Darstellung, ein Fest für die Phantasie und das Herz, ein Ideal, vor dem die Bewunderung anbetet und die Liebe huldigt. Ihre gracieuse Gestalt, der bekannte Zauber ihrer Accente, die Anmuth ihrer Bewegungen mußte schon hinreichen, uns ein schönes und treues Bild von Ion zu geben, und jedermann würde in dieser Vereinigung auf dem ersten Blick den Götterknaben erkannt haben. Aber eine geistvolle Künstlerin wie Madame Unzelmann, begnügt sich nicht damit, die Worte des Dichters, wie sie daliegen, mit Wohllaut und Präzision auszusprechen und mit anständigen, glänzenden Gesten zu begleiten; auch was der Dichter nicht so handgreiflich ausdrückte, kaum andeuten kann, entsiegelt sich ihrem Geist und erscheint in himmlischer Harmonie vor unsern Augen. Die zarte Verschmelzung aller Empfindungen, die Einheit in der höchsten Mannigfaltigkeit, das kindliche Gemüth des frommen Knaben und der Stolz des Göttersohnes, die rasche menschliche Leidenschaft und die ruhige Würde der höhern Macht, alles gab sie uns in idealischer Vollendung. Man ist es von dieser Künstlerin schon gewohnt, daß sie uns in jeder neuen Rolle mit neuen Zügen ihres Genies überrascht, aber bei ihrer Darstellung des Ion wurde auch die kühnste Erwartung übertroffen. Ich kann Ihnen nicht alle diese Züge herausheben, aber auch von dem einen, wo Ion im zweiten Akt von dem Tempel Apolls Abschied nimmt, und in dieser wehmüthigen Stimmung dem Xuthus seine innersten Bitten und Wünsche anvertraut, sollte ich Ihnen lieber kein Wort sagen, denn wie sollte ich Ihnen das Zarte und Kindliche des Ausdrucks in diesen Bitten, diese Welt von Tönen in diesem Abschied diese himmlische Musik ihrer Accente beschreiben. Dem Dichter sey es überlassen, die Künstlerin, die seinem Ion das schöne Leben gab, würdiger zu preisen. Madame Meyer war Creusa. Sie kennen Ihre Talente für dieses Fach, den Reichthum ihrer dem Antiken nachgebildeten Stellungen und ihre dazu so geeignete schöne Gestalt; Sie wissen, wie gern sie sich auf dem hohen Kothurn bewegt und ihre Kräfte übt. Bei solchem Talent und solcher Liebe mußte Creusa trefflich dargestellt werden, und ich gestehe Ihnen, daß ich sie für ihre vorzüglichste Rolle in diesem Fache halte. Meisterhaft war der Ausdruck der Angst und des Schreckens in ihre Geberde und Bewegungen, wie sie von ihrem Gewissen gejagt und vom Ion verfolgt über die Bühne flieht, und mit tiefer Empfindung trug sie den langen Monolog im vierten Akt vor, der, um ihn von Anfang bis zu Ende mit aller Wahrheit des Ausdrucks und doch mit Anmuth des Tons durchzuführen, wohl eine zu schwere Aufgabe seyn dürfte. – Was Iffland in der Darstellung des edlen, männlichen Xuthus leistet, wie gehalten und kunstreich sein geistvolles Spiel, wie sicher und kraftvoll seine Deklamation, wie königlich sein Anstand und wie vollendet, mit einem Wort, das Ganze war, was er gab, das darf ich Ihnen, der Sie so vertraut mit seiner großen Kunst sind, nicht sagen. Aber jedem, der noch an seinem Beruf zum Priester Melpomenens hartnäckig zweifelt, möchte ich zurufen, den Xuthus von ihm zu sehen, und wenn er dann noch in seinem Zweifel beharren will, meinethalben an die ganze Kunst zu zweifeln. Von Böheim, der den Phorbas, der Madame Böheim, die die Pythia, und Mattausch, der den Apoll darstellt, sage ich Ihnen nicht darum wenig, weil sich nur wenig von ihnen sagen ließe, sondern weil ich, da ich doch in ein näheres Detail des Spiels nicht gehen kann und will, ihr würdigstes Lob schon dadurch hinlänglich ausgesprochen habe, daß ich die Darstellung des Stücks im allgemeinen für die vollkommenste halte, die jemals auf unsrer Bühne gesehen worden ist, und überall, wo ich ein Urtheil über diesen Gegenstand gehört, habe ich meine Meinung bestätigt gefunden. Nur eins noch; hätten wir ein Publikum voll Kunstsinn, voll rascher, lebendiger Empfänglichkeit für das wahre Schöne, so hätte auch die Menge schöner Formen und Gruppen, die durch das vollkommene Ensemble in der Darstellung des Ion hervorgebracht wurden, von allen Seiten den lautesten Zuruf des Beifalls erhalten müssen; indeß, lassen Sie uns vor der Hand zufrieden mit dem seyn, was wir wirklich, zu unsrer Ueberraschung erfahren haben, mit diesem Antheil, den die gemischte Menge fortdauernd an dem Gang des Stücks nahm, und lassen Sie uns bald mehr schöne Schauspiele dieser Art und so gelungene Darstellungen hoffen; der Zustand unserer Bühne, die großen Talente und die Bildung mehrerer ihrer Mitglieder, und die Weisheit ihres Vorstehers berechtigt uns zu den schönsten Erwartungen.

Rezension:
Zeitung:
Zeitung für die elegante Welt
Aufführungsdatum:
1802-07-08
Nummer:
81
Seite:
645-650
Autor:
gez.: *** [Hans Christian Genelli]

Ueber die Darstellung des Ion auf dem Berliner Theater*. (Berlin im Juny) Das neue Schauspiel Ion, das man schon zu Anfang des Jahres in Weimar mit so vielem Beifall sah, ist, nun am 15ten und 16ten May auch auf unsrer Bühne gegeben worden, und sicher mit nicht geringerem Erfolg als dort. Wahrhaft erfreulich war es, einmal alle Mitspielenden mit solcher Uebereinstimmung vom Geiste des Ganzen ergriffen zu sehn. Der gute Wille, der Ernst um die Sache und emsiges Studium waren überall unverkennbar: die Verse wurden richtig deklamirt und nach ihren Arten deutlich unterschieden, meistentheils war der Vortrag sogar vortreflich und kunstgemäß; die Gebehrden waren im Ganzen gut gehalten, dem Sinn der Handlung angemessen und dem Charakter der Verse getreu; und mit lobenswürdiger Sorgfalt hatte die Direkzion dahin gestrebt, daß auch das Außenwerk, Kostum und Dekorazion, nicht nur der Sache nicht schadete, wie das gemeiniglich der Fall ist, sondern soviel ihr für den Moment zu erreichen möglich war, den Gang der Handlung herauszuheben diente. Die beiden Hauptrollen des Ion und der Kreusa waren, jene durch Madame Unzelmann, diese durch Mad. Meyer so glücklich besetzt, wie der zärtlichste Geschmack es sich nur wünschen mochte; aber auch die andern Rollen wurden mit ungewöhnlichem Glück durchgeführt, und selbst Hrn. Iffland schienen die goldnen Worte seines Textes so ergriffen zu haben, daß er besonders bei der zweiten Aufführung mit einem Meistersinn spielte, den man, wenigstens nach seinem Pygmalion zu urtheilen, im antiken Kostum ihm nicht zugetraut hätte. Kurz, der Geist des Gedichtes wurde durch das gesammte Spiel so verkörpert, und machte eine so überraschende und mächtige Erscheinung, daß wenn dieses Stück so glücklich gewesen wäre, Nachfolger hervorzurufen, wir ohne Zweifel von ihm eine neue Epoche für unsre Bühne datiren dürften. Schon die Annäherung an die antike Strenge im Versbau mußte einen vortheilhaften Einfluß auf die theatralische Darstellung gewinnen, da sie alle die kleinlichen Individualitäten des Humors aus dem Spiele verscheucht, welche der Inhalt hier gänzlich verschmäht. Dann wurde durch die, wenn ich so sagen darf, plastische Gediegenheit in der Behandlung, und die noch bis in die Aeußerlichkeiten behauptete Einheit, (die auf unsrer Bühne so unverkennbar ist, da Göthe’s Iphigenia hier noch nicht aufgeführt worden,) die Aufmerksamkeit der Zuhörer zugleich erleichtert und festgehalten. Diese Ruhe der Bewegung, welche der antike Geist in der Form (denn ganz konnte die alte Gestaltung der Tragödie bei der jetzigen Verfassung der Bühne wohl noch nicht behauptet werden) gewährte, lies das durchgreifende Motiv des Gedichtes, dieses beiderseitige Jagen der Sehnsucht ohne sich zu finden, bis in der letzten Entwickelung sie sich gleichsam in einander niedertauchet und so ihr Spiel endet, deutlicher hervortreten und tiefer ins Gemüth dringen.
Was die Anordnung der Szenen und die Fabel betrift, so kann ich mich auf den Aufsatz darüber in Num. 41. dieser Zeitung beziehen: denn freilich gehört die letzte nicht zu den bekanntesten. Auch gab es wohl unter den Zuschauern einige, obgleich nur wenige, aus den Klassen, die sich vorzugsweise die Gebildeten nennen, welche keinen Anstand nahmen dem Stück vorzuwerfen, daß sie die Handlung nicht verständen. Damit konnten sie doch nichts Andres meinen, als: entweder daß ihnen die Fabel selbst unbekannt sei, (was jedoch auch nicht wohl dies Nichtverstehn bewirken konnte, indem sie so ausführlich im Stück erzählt wird, daß man sagen kann, das Gedicht bescheide sich ordentlich nach dem Bedürfnis der Unkundigen); oder daß die bei solchem Stoffe unvermeidliche Anspielung auf Mythologie sie störe. Allein wenn Bildung nicht blos in Erlernung irgend eines Geschäftes oder in der müßigen Fertigkeit zu leerem Raisonniren bestehn soll, sondern vielmehr in Entwickelung der Phantasie, des Gefühls und der Leidenschaft, und überhaupt eines lebendigen Sinnes für Natur und Welt: so darf man von dem, der Anspruch auf solche macht, gewiß vor allem erwarten, daß er in der Mythologie, diesem unvergänglichen Kodex der Phantasie und dem Urquell aller Menschenbildung, wenigstens nicht ganz unbewandert sei. Und wenn es doch solche Leute giebt, so werden sie sich bescheiden müssen, daß, so lange ihnen ein solcher Maaßstab fehlt, kein Kunstwerk eben nöthig hat, für sie berechnet zu seyn. Aus dem oben angegebnen Standpunkt des Gedichts: »der Hinneigung zum Romantischen im Inhalt bei durchgehender Festhaltung des Antiken in der Behandlung« ergiebt sich für die Akzion die Forderung, daß sie eben so das Mittel halte zwischen der modernen kleinlichen Individualisirung des Ausdrucks und der antiken Großartigkeit in den Gebehrden; und man muß bekennen, daß unsre Schauspieler im Ganzen dies Mittel in ihrem Spiel sehr glücklich getroffen haben. Wenn auch die leidenschaftlicheren Auftritte immer noch ein wenig zu unklar und unruhig ausfielen, und überhaupt des Hin- und Hergehens noch zu viel war, so lag die Schuld meist in der mangelhaften Figur unsrer Bühne, die gegen die Tiefe, die sie (ursprünglich, um der anmaßenden Ignoranz der Theatermahler zu fröhnen,) bietet, niemals die hinlängliche Breite zu der ächten Entwickelung einer Szene im Profil gewährt. Wäre diese nöthige Breite des Raums da gewesen, so hätte z. B. die orgische Flucht Kreusens sich mehr, wenn ich so sagen darf, aus einem Stück entfaltet und das vortrefliche Spiel der Mad. Meyer wäre von viel größerer und klarerer Wirkung ausgefallen, indem sie dann nicht genöthigt gewesen wäre, es durch so viele Rückwendungen zu zerstückeln: da hingegen ihr jetzt auf alle Weise Lob gebührt für die große Geschicklichkeit, womit sie sich aus dieser Verlegenheit zog. Eben so hätte bei größerer Breite der Bühne die Szene überhaupt nicht so großer Tiefe bedurft, und so wäre das Getrippele vom Tempel nach dem Proszenium und zurück ziemlich vermindert worden. Daß übrigens die Gewohnheit auf einem schmalen und tiefen Raum zu agiren, die Schauspieler überhaupt zu einem unruhigen Spiel verwöhnt hat, ist ein Umstand, den man noch lange auch bei den ersten Schauspielern wird in Anschlag bringen müssen. So hat im vierten Akt, da Ion vom Parnassus zurückkommt und die Kreusa am Altar findet, Mad. Unzelmann sich zu viel Bewegungen erlaubt. Mit wenigen Intervallen, nur um Zeit für ihre Rede zu gewinnen, hätte sie sollen in derselbigen Richtung von dem Ort ihrer Erscheinung nach dem Lorbeerbaum hinschreiten, dort ohne weitere Veränderung verharren, bei den Worten:
»Ich reiße dich mit stärkerm Arm herab.«
nur Eine unentschiedne Bewegung vorwärts machen, und diese sogleich bei den Worten:
»Nun wohl: auch dort ereilet dich mein Pfeil.«
durch einen entschloßnen Rückschritt mit dem rechten Fuß, um sich in die Stellung zum Abschießen zu versetzen, wieder zurücknehmen. Uebrigens aber konnte man nichts Vortrefflicheres verlangen, als das Spiel dieser beiden Frauen war. Der göttliche Ursprung, die heilige Reinheit und das jugendliche Selbstgefühl im Ion; der Stolz der Königin; die unbefriedigte Gattin und das heimlich gedrängte Weib in der Kreusa, dann der mächtige Zug der Natur zu einander in beiden, wurde von jeder gleich glücklich, gleich bescheiden und ohne Affektazion dargestellt und durchweg festgehalten. Doch die schönsten Siege in diesem Spiel, und wie die Kränze des Festes waren, für Mad. Meyer jener so schwierige Monolog am Altar, den sie mit ungemeiner Kunst und Sinnigkeit durchführte, so wie die letzte Aussöhnung mit dem Gemahl, worin sie die zweifelnde Scheu mit ungemeiner Schönheit und Würde ausdrückte; für Mad. Unzelmann hingegen Ions erste Erklärung mit dem Xuthus, der Empfang der Wiege, sein Gebet an Apoll, und die schöne zuversichtliche Gebehrde bei den Worten des Gottes:
»Drum schau ins Antlitz kühn mir, wie des Adlers Sohn
Den jungen Fittig gleich der Sonn’ entgegen schwingt.« und für Beide jene ungemein schöne Gruppe über der Wiege. Es war so einleuchtend, daß die Wiedergefundnen des freudigen Liebkosens so wenig satt werden konnten, daß selbst während der ernsten Rede der Pythia sie sich enthielten, sich zärtlich kosend an einander schmiegen, indem die Mutter sich über den knieenden Jüngling hinneigte. So wie durch das ganze Stück, so war besonders bei dieser Stelle die so seltne Erscheinung des einstimmigen Wetteifers zweier Schauspielerinnen für das Gelingen, dem beobachtenden Künstler recht erfreulich. Gegen dieses meisterhafte Spiel stach das etwas zu gebehrdenreiche und gewaltsame des Phorbas ein wenig ab. Hr. Böheim benahm sich durchweg, auf der einen Seite wie ein Sklav, von dem keine Erziehung zu fodern ist, und nicht als ein freier Diener und Vertrauter in einem Königshause; und andrerseits vergaß er wieder den Abstand zwischen seiner Gebieterin und ihm, und betrieb die Sache wie seine eigne. In jener Szene des zweiten Akts, wo er Kreusen zu feindseligen Mitteln beredet, sollte er, statt dieser unruhigen Heftigkeit und Ungebehrdigkeit, womit er Theilnahme auszudrücken und zu erregen strebt, und oft nur das Spiel des Mitpartes stört, vielmehr durch ein stilles ehrerbietiges Verhalten auf einer Stelle in Mitten der Szene die halb unterdrückte Gemüthsruhe seiner Gebieterin herausheben helfen. Freilich hebt er mit seiner Beweglichkeit jetzt gegentheils die Würde, die in der stolzen Sparsamkeit der Gebehrden Kreusens liegt: allein das, glaube ich, ist hier gerade nicht seine Aufgabe. Doch darf man Hrn. Böheims guten Willen nicht verkennen; er hatte seine Rolle mit merklichem Fleiß studirt und gut memorirt. Von den übrigen Schauspielern, Hrn. Iffland als Xuthus, Hrn. Mattausch als Apollo, Mad. Böheim als Pythia, kann man versichern, daß sie ihre Stelle recht gut ausfüllten; ja, bei der zweiten Aufführung deklamirte Hr. Iffland, bis auf einige Mahlerei in den Adjektiven, sogar vortreflich und seine Gebehrden hatten durchaus viel Würde. Das einzige ganz lyrische Stück in dem ganzen Schauspiele, der Hymnus in chorischen Strophen zu Anfange des zweiten Aktes, welchen Ion, vor dem Tempel an den heiligen Lorbeerbaum gelehnt, dem Apoll zur Leyer singt, da die Geschichte Kreusens, als die eine Deutung auf seine Lage darbietet, sein Gemüth zu tiefer Wehmuth bewegt hat, welche mit der Unschuld seiner Jugend und der gewohnten Frömmigkeit in liebliche Harmonie verschmilzt: dieser Hymnus war von einer Tonsetzung begleitet, die etwas über den Styl des Ganzen hinaus ins Ueppige zu gehen schien. Es ist mir nicht gegeben zu entscheiden, ob es am Vortrage oder in der Komposizion selber lag; allein die Melodie schien eine zu große Tonleiter zu umfassen und in ihren Modulazionen zu sehr vom Tone der übrigen Rede ab und in den eines zu entschiednen Gesanges zu fallen; kurz sie drückte nach meinem Gefühl eine etwas zu zärtliche Rührung aus, und entbehrte den gehaltnen antiken Ernst, den ich z. B. in Mercelli’s Canto greco
mehr zu finden glaube.
* Die Zeitung f. d. e. W. rechnet es sich zur Ehre, daß man über dieses merkwürdige Schauspiel so manches gehaltvolle Wort hier niederlegt; wie denn schon einige Mal (in Num. 7. u. 41. d. J.), auch zu des Hrn. v. Göthe Zufriedenheit davon gesprochen worden ist. Man wird wohl thun, insonderheit den Aufsatz in N. 41., der zunächst über den Inhalt des Stücks sich verbreitet, mit dem gegenwärtigen in Verbindung zu setzen, gegen dessen Ausdehnung wohl schwerlich ein gebildeter Leser etwas einzuwenden haben wird, der zu bemerken im Stande ist, wie viel Lichtvolles, Motivirtes und Gründliches es über eine Kunst enthält, die der Tempel und Priester wie der Verehrer unzähliche hat, – doch noch unter uns erst gesucht wird.

Rezension:
Zeitung:
Zeitung für die elegante Welt
Aufführungsdatum:
1802-07-10
Nummer:
82
Seite:
653-556
Autor:
gez.: *** [Hans Christian Genelli]

Das Kostum war – zum Theil wohl aus Unkunde des Garderobiers – nicht genau nach dem Weimarschen befolgt. Madame Meyer hatte ein Kleid, das, weit entfernt antik zu seyn, vielmehr so aussah, wie man auf Berlins Straßen oft die verfehlte Mode des Tags erblickt; ihr Schleier war zu schwer, zu dunkel und zu groß. Hrn. Ifflands Mantel war auch im Zuschnitt verfehlt, und hatte überdem gewisse Schlitzen und Broderien, wodurch er einer Pferdekappe nicht unähnlich wurde. Der Mantel des Phorbas hieng gar auf der unrechten Schulter und zwar so verkehrt, daß er beide Arme über denselben heraus hatte, was ihn vielleicht mit zu jenem rüstigen Gebrauch derselben verleitet haben mochte. Auch hatte er noch eine Art von grauem Leibrock, der eher in eine opera buffa gehört hätte: und das Gewand der Pythia war, statt faltenreich,vielmehr etwas aufgedunsen und mager; und statt des Einen großen Schleiers, der Kopf, Kinn und Schultern zugleich umhüllen sollte, trug sie diesen nur auf den Schultern, und hatte dagegen noch ein besondres Läppchen um den Kopf, das in zwei befransten Zipfeln auf den Schultern herabgelegt war: ungefähr so wie sonst die Schauspielerinnen nach dem gewöhnlichen Schlendrian ihre Vermummungen als Nonnen vorzurichten pflegen. Ion hatte einen zwei Mal gegürteten Leibrock, dessen Mantel war wiederum so verschnitten und so angeheftet, daß er bei der Vorneigung des Leibes ein wenig eng um die Hüften fiel. Jene doppelte Gürtung wurde in Weimar wahrscheinlich gewählt, um an der Gestalt der Schauspielerin den Ausdruck der Weiblichkeit besser zu verbergen. Allein an sich ist sie unrichtig, und Mad. Unzelmann, die dieses Hülfsmittels nicht bedarf, würde durch Unterlassung desselben das gewinnen, daß ihr der Leibrock etwas tiefer auf die Knie fiele, welches allerdings graziöser wäre.
Bei Vorstellungen, die so sehr wie diese auf plastische Ausbildung und auf eine gewisse Erudizion in der Ausführung Anspruch machen, hat man das Recht, bis auf das kleinste Detail herab nach demselben Maaßstab zu urtheilen. Daher erlaube ich mir noch einige Bemerkungen, ohne den Vorwurf der Kleinfügigkeit zu befürchten.
Ausnehmend gut war Kreusens erster Eintritt auf die Bühne, da die bloße Umhüllung des Schleiers, dessen einer Saum über das Haupt geworfen war, sie so bestimmt als Reisende bezeichnete, und wo das Entschleiern allein schon hinreichend andeutete, daß sie nun ans Ziel gelangt war. Dieses Kostum des Reisenden hätte man billig auch an Xuthus erwarten dürfen, der hier vielmehr wie ein Einwohner von Delphi auftrat. Ich will eben keinen Akzent drauf legen, daß er als Fremdling wohl Stiefeln hätte tragen können; allein da er nun einmal den Reisehut, der sonst in den Darstellungen dieser Mythenzeit üblich ist, hier schon wegen der untragischen Aehnlichkeit mit denen im Parterre vermeiden mußte, so wäre es sicher zu loben gewesen, wenn er sich dies Mal das Beispiel der Gemahlin hätte gefallen lassen; um so mehr, da es sonst nicht ohne Einwirkung auf ihn geblieben ist. Beide nehmlich dürfte man wohl zuweilen daran erinnern, daß die Kleider zum Bekleiden des Leibes bestimmt sind, und nicht zum Zeitvertreib für die Hände. Sie wollen nach angenommener Sitte getragen seyn, und eine tragische Person auf der Bühne darf sich nicht mit Faltenwerfen abgeben. Doch ist dies keineswegs als ein durchgehender Vorwurf für beide Rollen anzunehmen: er hatte nur selten Statt, und besonders Mad. Meyer vergütigte ihn durch viele ungemein schöne und verstandne Attitüden, wie z. B., als im zweiten Akt während der Insinuazionen des Phorbas sie in sich versunken mit ächt mahlerischer Bedeutung in Einem Wurf sich ganz in den Schleier einwickelte, so daß nur das Antlitz sichtbar blieb, so eine Weile unbeweglich blieb, dann in wenig großen Schritten auf und ab gieng. Allein, so selten es auch vorfiel, hatte es doch außer der eigenen Unschicklichkeit bei Hrn. Iffland noch die Folge, daß dadurch zuletzt der Mantel den starken Unterleib zu tief entblößte, der dann, im Profil gesehn, für den Thessalischen Krieger eine zu mönchische Physiognomie gewann. So viel Gefangene man auch in antiken Darstellungen solcher Mythen findet, siehet man sie alle mit den Händen auf den Rücken geknebelt, und zwar mit Tauen und nicht mit eisernen Fesseln. Hierdurch hätte man außer der Richtigkeit des Kostums und einer bedeutenderen Stellung hier noch das gewonnen, daß dem Phorbas manche unnütze Bewegung erspart worden wäre. Aber außer diesem möchte ich für eine künftige Aufführung noch vorschlagen, daß man demselben den Mantel abnähme, ehe man ihn gebunden vorführte. In der Erzählung des Vorfalls, der ihm die Fesselung zuzog, wird beschrieben, wie er sich beim Mahl geschäftig bewies:
»– geschürzt und rüstig,
Als hätt’ er sich vor Freude ganz verjüngt.« und da ist ohnehin nicht anzunehmen, daß er den Mantel umbehalten haben werde.
Es war anständig genug für das Gefolge der fürstlichen Personen gesorgt – es waren für jede acht dienende bestellt, und noch acht folgten dem Phorbas mit den Tempelgeschenken –; aber diese, in ihren kothfarbenen possierlichen Kleidern, sahn zu sehr aus wie aus der Iphigenia geborgt. Auch wogen für einen solchen Gott die Geschenke zu leicht in der Hand, und die Gefäße waren nicht geziemend. Es waren schlecht gerathene Urnen, und nicht Krater, Trink- und Opferschalen, wie man sie in den Tempeln weihte. So sehr aber auch bei solchen Gelegenheiten die Menge des Personals den Anstand vermehren mag; so mußten doch zwei Männer mit einer Trage auf den Schultern, wie man es in Weimar soll angeordnet haben, den Geschenken selbst mehr Gewicht beilegen, welches hierbei auch nicht zu verachten war. Ion bekränzt hier die Thüre mit Lorbeer, die Säulen aber mit Blumen, da doch im Text nur vom Lorbeer die Rede ist. Dies Bekränzen hält zu lange auf; und man war daher in der zweiten Aufführung genöthiget, die Eckweiten des Tempels unbekränzt zu lassen. Allein man thäte besser, künftig die Abkürzung noch weiter zu treiben, und nur die Mittelweite und die Thüre zu behängen. Es ist oft gut sich mit solchen, an sich leeren Zeremonien nicht weiter aufzuhalten, als grade zu ihrer Andeutung nöthig ist. Und warum sind Köcher und Bogen des Ion nicht auf derselben Stelle – zur Linken der Thüre – hingelehnt oder gehenkt, so daß er sie mit Einem Griff fassen und sich dadurch das viele Herumtrippeln abkürzen könnte?
Im Anfang des vierten Akts sitzt Pythia in der Tempelhalle auf einem Stuhl, so daß die wenigsten Zuschauer sie bemerken. Sie soll aber nur für Kreusa, keineswegs aber für jene unsichtbar seyn; und die Nothwendigkeit, einen Stuhl zu haben überall wo man sich setzen will, ist ein etwas zu moderner Anstand. Eigentlich sollte sie auf der Schwelle der Tempelthüre sitzen, so daß eine der Säulen sie vor Kreusens Blick verdeckt.
Bei der Erscheinung des Gottes läßt man eine kleine Wolke vor dem Tempel nieder, um die Art, wie dieselbe hervorkommt, zu verbergen, und ist dabei etwas freigebig mit Donner und Blitz. Wenn dies Gewölk recht schnell herabfallend und verschwindend, wie ein leichter Dunst wäre, der die Augen der Zuschauer auf einen Augenblick gleichsam blendete, so könnte das als ein recht gutes Prestigium gelten; jedoch müßte man sich dabei mit Einem Blitz und Donnerschlag begnügen. Allein so wie es jetzt geschieht, sieht es aus wie ein Bündel Wäsche, das man mit Mühe herabläßt, um etwas zu verschirmen was zu verschirmen nicht Noth thut, da das schnelle Aufgehn der Thürgardine, hinter welcher Apollo schon steht, für sich viel graziöser wäre.

Rezension:
Zeitung:
Zeitung für die elegante Welt
Aufführungsdatum:
1802-07-13
Nummer:
83
Seite:
661-664
Autor:
gez.: *** [Hans Christian Genelli]

Was endlich die Dekorazion anlangt, so hatte mit lobenswerther Bereitwilligkeit die Direkzion sich einen Entwurf zu derselben von fremder Hand gefallen lassen. Die Ausführung danach war nun freilich unter aller Kritik schlecht gerathen; und gewiß nicht aus bösem Willen, sondern lediglich aus gänzlicher Unfähigkeit der Exekutoren. Wenn man auch den absoluten Mangel an Färbung und richtiger Haltung übersehen will; so kann man doch nicht ungerügt lassen, daß auch nicht Ein Strich auf dem rechten Flecke stand. Im Entwurf war ein alt-dorischer Peripteros angegeben: in der Ausführung war nicht nur die ganze Tiefe des Pronars verlohren gegangen, und mithin die Absicht, durch die vermehrte perspektivische Entfernung der Thüre die Gestalt Apollos in der Erscheinung zu vergrössern; sondern auch die Säulenstellung war völlig modernisirt, mit Pilastern hinter jeglicher Säule und Architraven von diesen nach der Wand hin. Und im heiligen Hain standen nichts als Zypressen, die hier nichts zu schaffen hatten, und wie bepuderte Kegel aussahen. Im Entwurf waren Pappeln angegeben, als die eine Beziehung auf Apoll haben; und nur um die Stelle des Altars auszuzeichnen, war hinter demselben ein Paar von jenen Bäumen angebracht. Aber aller solcher grober Fehler unerachtet that diese Dekorazion dennoch, blos durch die klare und zweckmäßige Anordnung, keine geringe Wirkung: und ihr größter Vorzug war dies, daß der größere Theil unter den Zuschauern, welcher von solchen Sachen nichts versteht, dies Mal auch gar nicht auf dieselbe Rücksicht nahm, indem ihre Theile, so wie sie in die Handlung eingriffen, ihm gleichsam wie mitspielende Parten vorkamen, und mehr im Text als in der Umgebung zu liegen schienen. In der Bühnenverzierung sind wir noch gar weit von jener klaren Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Griechen entfernt, und ahnen meist nicht einmal, welchen heilsamen Einfluß sie auf die Entwickelung einer theatralischen Handlung haben kann. Auch werden wir wohl in langer Zeit nicht dahin kommen, indem die heillose Verwirrung, welche die arrogante Sucht zu glänzen von Seiten der Theatermahler, die in der Regel die aller ignorantesten dieser Zunft sind, eingeführt hat, selbst in den Köpfen der Dichter fortspukt; und dieselbe Verkehrtheit, welche das falsche Verlangen zu mahlen in der Gartenkunst hervorgebracht hat, wird auch in der Szenerie noch wohl eben so lange zu erdulden bleiben. Doch sollte man billig keine Gelegenheit vorbeigehn lassen, die sich zu einem Versuch, wieder zur Ordnung zurück zu kommen, darbietet; und dies scheint der Angeber jenes Entwurfs hier beabsichtigt zu haben, wo die Stätigkeit der Szene ihm keine Schwierigkeit von Seiten des schon bestehenden mechanischen Apparats in den Weg legte, und wo eben die Einfachheit der Handlung wie von selbst auf eine gewisse Regelmäßigkeit im Ein- und Ausgehn der Personen hindeutete. Demnach machte er die Szene so wenig tief als möglich, legte den Tempelgiebel im Mittel der Hinterbühne in einen umgebenden Peribolus, und vor demselben den heiligen Hain. Das Prostylium des Tempels machte er freistehend, und über dem Peribolus lies er rechter Hand in die Stadt Delphi, linker Hand aber auf den Parnassus hinblicken. Im Hain stand, auf der Seite des Parnassus der Altar, auf der andern Seite ganz voran der Lorbeerbaum. So sah der Zuschauer das Ganze wie vom Meeresufer her: die Kommenden von Athen traten vorne hinter dem Lorbeerbaum auf, die von Delphi von derselben Seite zwar, jedoch tiefer hinein neben der Vormauer des Peribolus vorbei, und der Weg des Parnassus gieng auf der entgegengesetzten Seite; die Diener des Tempels aber hatten den Eingang zu ihren Wohnungen in den Peribolus hinein. Es war auffallend, wie viel diese reine Anordnung der Szene die Einsicht der Entwickelung den Zuschauern erleichterte; und wäre dieselbe in der Ausführung nur etwas besser gelungen, so hätte sie in ihrer Art als eine glückliche Annäherung zur Vollkommenheit angesehen werden können. Aber so giengen alle näheren Bestimmungen gänzlich verlohren. Von den klimatischen Bäumen, mit welchen der Fuß des Parnassus umgeben seyn sollte, Pignen, Platanen, Kastanien u.s.w. waren keine, weder der Farbung noch der Gestaltung nach zu unterscheiden, und überdem waren sie noch sehr ärmlich ausgezählt. Manche Fehler hatten auch einen tieferen Grund, als die bloße Unfähigkeit des Mahlers. So konnte der Tempel nicht genug erhöht werden, blos weil der Machinist die Soffitten nicht höher lüften wollte oder konnte: und dafür, daß der Mahler die langen Schlagschatten alle unterdrückt hatte, die so bestimmt den Stand der Morgensonne andeuteten, gab er zum Grunde an, daß wohl die Sonne manchmal auf einer andern Stelle postulirt werden möchte, und verwies mit dieser Antwort den Frager von seiner eigenen Ignoranz auf die Parsimonie in der Theaterverwaltung, die darauf bedacht ist, dieselbe Dekorazion in gar manchen Gelegenheiten wieder gebrauchen zu können. Uebrigens trug die gute Vertheilung des Lichtes, bei solcher Anordnung der Szene, auch viel dazu bei, daß das Auge alles soviel deutlicher unterschied als sonst. Aber hauptsächlich war dies der wohlverstandenen Enthaltung von dem sonst so mißbrauchten Gruppenmachen zu verdanken, welche mißverstandener Weise aus dem stätigen Gemählde hinübergetragen wird in die theatralische Szene, die ihrer Natur nach fortlaufende Beweglichkeit heischt. Hier kamen nur ein Paar Mal ungesuchte Gruppen heraus, die jedoch niemals das ganze Personale umfaßten; sonst aber standen die Interlokutoren immer gehörig aus einander. Dieses gewährte große Deutlichkeit im Anblick, und nur dem Hintergrunde blieb es anheim gestellt, immer den Totaleffekt des Gemähldes zusammenzuhalten. Noch einen besonders guten Eindruck machte es, daß Ion in den entscheidenden Momenten jedes Mal seinen Stand bei dem Lorbeerbaum erhielt, gleichsam den näheren Schutz des Gottes andeutend. ***

Rezension:
Zeitung:
Eunomia
Aufführungsdatum:
1802-06-01
Nummer:
2. Jg., 1. Bd.
Seite:
564-571
Autor:
Ignaz Aurelius Feßler

Königliches Nationaltheater. / 1) Ion, ein Schauspiel in vier Akten, (von A. W. Schlegel.) / (Den 15ten und 16ten Mai.) Die Schauspiele der Alten, waren sowohl im Ganzen, als in allen ihren Theilen poetisch; die unsern sind größtentheils prosaische Exempel zu Regeln, die aus der Poesie abstrahirt sind. Jene wurden mit Religiosität angeschaut, als Götterfeste gefeiert und als Nationalopfer begangen; diese dienen fast allgemein noch zu einem anständigen Zeitvertreib, und selten noch zu einer Scene der Kunst und des Kunstsinns, der sich, ohne Poesie und Religion, nur mit Mühe über die Sphäre des Amüsements zu erheben vermag. Eines der besten Mittel, das Publikum zu dem reinen Geschmack der Kunst zu erheben, ist, Vorführung solcher Dichtungen, die den Dichtungen der Alten nachgebildet sind. Uebersetzungen vermögen es nicht; denn die Stücke der Alten selbst tragen doch neben dem, was allen Geistern und allen Herzen in jedem Zeitalter verständlich ist, so viel Graecität oder Latinität in der Zusammensetzung an sich, daß das innere poetische Leben für den ungelehrten Zuschauer verschlossen bleibt; daher wohl der in Weimar gemachte Versuch mit Aufführungen Terenzischer Stücke ohne Nachahmung bleiben möchte. Nur Darstellungen im Geiste der Alten, oder ihnen nachgedichtet, in welchen die Poesie der Handlung und der Charaktere für jegliches Gefühl über die Individualität der Sitten und der Zeitalters waltet, können den Kunstzweck fördern, und das Theater allmählich zu seiner ihm gebührenden Würde erheben. Zu ihnen gehören unter andern, Schillers Wallenstein, (der, obgleich in modernem Kostüm, doch im Geiste der Alten gedichtet ist); dazu würde, bei mehr innrer Poesie, Regulus gehören, dazu gehört entschieden, Ion. Auch hier sind alle einzelnen Theile, wie das Ganze, poetisch. Die Charaktere haben jene idealische Individualität, die sie so wahr und zugleich erhaben macht, (vorzüglich der Charaktere des Ion und der Kreusa); die Region, in welcher die Handlung vorgeht, ist so rein menschlich und doch über jedes Gemeine erhaben, so, daß die Theophanie am Ende einem jeden Sinne natürlich erscheint; die Sprache ist durchaus dichterisch, so, daß fast keine Stelle, durch Versetzung der Worte in Prosa aufgelöst werden könnte. – Trotz dem, daß diese Namen nie auf einem modernen Theater gehört wurden, daß die alt-griechischen Sitten den meisten Zuhörern unbekannt waren, verfehlte die Darstellung  ihre große Wirkung nicht. Dies ist die trockne Fabel des Stücks: Ion lebt als Tempelknabe zu Delphi (wie einst Samuel im Tempel des Jehovah) ein heilig stilles Leben. Xuthos und Kreusa, die Beherrscher Athens, kommen mit Weihgeschenken, um das Orakel über ihre Kinderlosigkeit zu befragen. Apoll zeigt jedem den Ion als Sohn an; diese, einst die Geliebte des Gottes selbst, wird durch diese Zurücksetzung und Ungerechtigkeit empört und beschließt, aufgereitzt durch den alten Diener ihres Hauses, den Jüngling beim Opfermahl ermorden zu lassen. Der Anschlag wird entdeckt, Kreusa bekennt sich wüthend als Anstifterin; sie flieht; Ion verfolgt sie mit Pfeil und Bogen. Erschöpft kehrt sie zum Altar des Apollo als Fliehende (??????) zurück. Eben als selbst dort Ions Pfeil sie treffen soll, bringt Pythia den Korb, in welchem sie den Knaben einst an der Tempelschwelle fand, und worin noch alles liegt, was seine Mutter, als sie ihn aussetzte, ihm mitgegeben hatte. Kreusa ist diese Mutter, Apollo – er bestätigt es selbst – sein Vater. Ein zweiter Sohn wird Xuthos und Kreusa verheißen. Diese Fabel erinnert augenblicklich an den Ion des Euripides, und es ist nicht zu läugnen, daß Schlegels Ion dem des Euripides nachgedichtet ist. Aber statt, daß er eine bloße Uebersetzung oder Nachahmung seyn sollte, ist er vielmehr poetischer, als jener. Es war dies auch eine unerlaßliche Forderung an den neueren Bearbeiter der Fabel; denn wodurch hätte er sonst das hohe Interesse ersetzen wollen, das der Athener an dem Schicksal seines alten Königshauses und an dem Stifter des herrlichen Ionischen Stammes nahm, als durch Erhöhung des Nationalinteresse zum rein menschlichen? – Es war die Aufgabe zu lösen: den griechischen Ion zu einer Dichtung des 19ten Jahrhunderts und aller Zeiten zu erheben, und diese Aufgabe ist befriedigend gelöst. Im Ganzen ist bei beiden Dichtern der Gang der Handlung derselbe, so auch die Charaktere, die nur bei dem neueren schärfer ausgezeichnet sind. Auch im Einzelnen sind viel Aehnlichkeiten, z. E. Kreusa erzählt dem Ion ihre Geschichte, als die einer Freundin; Xuthos hat eine ähnliche Begebenheit mit einer Bacchantin, ihm zeigt Apoll räthselhaft den Ion als Sohn an; das Opfermahl, die Vergiftung, das verbum male omniatum des Sklaven, der Tod der Tauben etc. wird auf gleiche Art erzählt. Vorzüglich schöne Verse sind wörtlich aus Euripides beibehalten, z. E. der Doppelsinn in den Worten der Kreusa: Phoibos Apollon weiß, wie kinderlos ich bin! Doch sind der Verschiedenheiten in der Handlung und im Einzelnen bei weitem mehrere, und darunter solche, die das neuere Gedicht zu einem Original machen. Andere fließen aus der veränderten Anlage der Handlung und der Charaktere, mache scheinen indeß den Euripideischen nicht vorzuziehen zu seyn. Des Orakels des Trophonuis wird z. B. im Euripides nur beiläufig erwähnt, da im neuern Ion die Orakelbilder poetisch ausgemahlt werden; statt der Anrede des Ion an den Chor: Ist zurück vom heiligen Trivus und Apolls Ausspruch gekehrt Xuthos, oder harrt er drinnen noch, der Kinderlos’ und forscht?[*] singt der Knabe eine Hymne zur Leyer, die ganz im Geiste des Alterthums gedichtet ist; beim Euripides giebt der Vater ihm erst nach der Erkennung seinen Namen: Ion (???) heiß aber nun; so will es das Geschick, Das deinen Fuß mir, da ich vom Tempel kam Zuerst entgegenführte. Durch den Chor erfährt Kreusa, daß der Knabe ihrem Gemahl gegeben ist. Das Gorgonische Gift vom Erichthonius verwahrt nicht der Greis, sondern (und zwar wahrscheinlicher) Kreusa selbst, auch macht sie den Anschlag gegen Ions Leben; die Geschichte des großen Opfermahls und der Vergiftung erzählt ein Sklave, nach der Vergiftung giebt sich Kreusa nicht selbst, sondern der Greis, sie als Anstifterin an; Pythia hört nicht von der Königin das Geheimniß, sondern sie bringt das Kästchen des Ion ohne alle nähere Veranlassung; Kreusa flieht nicht vor Ion, sondern rettet sich sogleich zum Altare (daher die drei herrlichen Monologen ganz neu sind); Xuthos erscheint, nachdem er den angewiesenen Sohn gefunden hat, gar nicht mehr auf dem Theater u. s. w. Ueber jede dieser Verschiedenheiten ließen sich fruchtbare Vergleichungen anstellen, die den originalen Plan des neueren Dichters vielleicht am besten ins Licht setzen würden. Allein sie werden besser und verständlicher angestellt werden können, wenn das Gedicht dem Publikum durch den Druck geschenkt seyn wird. Jetzt erwähnen wir nur zweier bedeutenden Veränderungen, zu welchen wir die Gründe nicht ganz finden können. Kreusa sitzt am Altar, Pythia bringt den Ion, der seine Mutter eben mit dem Pfeil durchbohren will, seine Korbwiege; er untersucht ihren Inhalt, und nimmt ein Stück nach dem andern hervor; als Kreusa die goldnen Schlagen erblickt, springt sie lebhaft herab und ruft: Mein Sohn! und ohne weiteres erkennt Ion, der sich gegen Xuthos so mißtrauisch gezeigt hat und gegen Kreusen so aufgebracht ist, daß er selbst den Altar seines Gottes nicht achtet, - erkennt sie sogleich als Mutter. So in der Schlegelschen Dichtung. – Beim Euripides bringt ihm Pythia das Kästchen, damit er seine Mutter suche; nach einem herrlichen Monolog, worin er zweifelt, ob er dies thun oder das Kästchen dem Apoll opfern solle, und wobei er das Aeußere desselben betrachtet, spricht Kreusa: Welch Bild erstorbner Hoffnung schwebt um meinen Sinn? und springt herab, Ion befiehlt, sie zu ergreifen. Kreusa. – An dir, Sohn, halt’ ich mich, An diesem Kästchen und an dem, was es verbirgt. Ion. Ist das nicht unerhört? Mich selber reißt sie fort. Kreusa. Nicht so! – Die Liebende hält den Liebenden nur im Arm. Ion. Ich lieb’ dir? und doch hast du mir den Tod gebräut? Kr[eusa]. Mein Kind bist Du! Nichts Lieberes hat die Mutter ja. Er zeiht sie des Trugs, und sie sagt ihm in einem Dialog, das Kästchen enthalte seine von ihr gewebten Kleider, die Schlangen und den Oelzweig – und nun erst ruft Ion: O Mutter, liebend schau ich Dich, Die Liebende, und fall’ an Deine Wange. So scheint die Erkennungsscene mehr motivirt zu seyn, ob gleich in der neueren Bearbeitung die Erkennung  durch die sanftre Stimmung, in welcher Ion, durch die Betrachtung jener Stücke aus dem Korbe versetzt wird, und das Zeugniß der Pythia auch Wahrscheinlichkeit erhält. Die zweite Veränderung ist die, welche der Dichter mit der Theophanie vorgenommen hat. – Xuthos hat Kreusen verziehen, Ion ist als ihr und Apolls Sohn anerkannt, man wünscht nur noch ein Bestätigungszeichen vom Gotte selbst. Da erscheint Apoll, auf das kühne Gebet Ions, in der Tempelhalle, erklärt sich als den Vater des Knaben, und spricht über Xuthos und Kreusens Nachkommenschaft Vaticinien aus. – Im Euripides zweifelt Ion an der Erklärung seiner Mutter: Apoll habe ihn dem Xuthos nur zugeführt, um ihm Theil an der Regierung Athens zu geben, und spricht: So leicht wird’ ich, o Mutter, nicht beruhiget; Nein, in den Tempel geh’ ich und befrag’ Apoll, Ob mich ein Sterblicher oder Loxias erzeugt. Doch sieh! Vom weihrauchvollen Tempel aufgeschwebt, Wer zeigt dies sonnengleiche Götterangesicht? – Athene erscheint, gefolgt von ihrem Bruder: „Denn euren Anblick scheute noch der Göttliche, Daß ihr ihn des Vergangnen nicht erinnertet – “ und verkündigt: Apollo sei der Vater Ions, er habe ihn Xuthos gegeben, um ihn ins Haus der Erechthiden einzuführen. Darauf spricht sie die Prophetien aus, und schließt: Verschweig’ es denn, Kreusa, daß dein Sohn er ist, Daß holder Wahn Xuthos Gemüth bethör’ und du Auch wieder deines Glückes dich erfreuen vermagst. – Die Erscheinung Apolls selbst ist kräftiger und kühner; aber in der Sendung Athenens, weil der Gott sich in seiner seeligen Ruhe durch Erinnerungen nicht stören will, und in der gebotenen Verhehlung von Xuthos, liegt eine gewisse – wir möchten sagen – Delikatesse (pudor), die von schöner Wirkung ist, und von dem alten Dichter wirklich überraschen würde, wenn sie nicht im Geiste des Alterthums wäre. Nur noch wenige Worte von der vortrefflichen Darstellung auf dem hiesigen Theater. Die Dekoration war vom Dichter selbst angegeben und vom Herrn Genelli gezeichnet. Im Hintergrunde der treu nachgebildete Tempel des pythischen Apollo zu Delphi auf einer Estrade; auf der Scena der Lorbeerbaum und der Altar. Ion erschien in der Darstellung fast wie ein antiker Mignon, nicht von einem irrdischen Manne erzeugt, ein Wunderkind, das aus dem Aether herabgestiegen ist, und über dessen Geschlecht die Natur kaum entschieden hat. Mad. Unzelmann war Ion. – Mad. Meyer führte die Wirkung des tragischen Kothurns auf unser Theater; in der Kreusa stellte sie die ganze Kraft und Würde einer  altgriechischen Matrone, der Enkelin und Geliebten eines Gottes dar, und lieferte in Wort-, Mienen- und Gebehrdenausdruck Studien für die Kunst. Der lange Monolog am Altar ist des Dichters und ihr Meisterstück. – Hr. Iffland gab den Xuthos, und rundete dadurch das Ganze zu einer vollkommnen Darstellung. F.
[*] Nach Hrn. Bothe’s Uebersetzung.

Aufführungsdatum: 16.05.1802
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Ion
Quelle:
Annalen 1802, S. 351
Aufführungsdatum: 30.01.1811
Zettel
Uhrzeit:
18:00
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Jon. Ein Schauspiel in Fünf Akten, von A. W. Schlegel
Quelle:
THZ SBBPK
weitere Informationen:
Bekanntmachung: Beym Kastellan Herrn Leist ist zu haben: "Kostüme auf dem Königl. National-Theater, 1stes bis 21stes Heft." Jedes Heft 2 Rthlr. 12 Gr.
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Nationaltheater: Ion (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/142.

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