Sechszehntes Stück [1798][1]
Donnerstag, den
17. May 1798 wurde aufgeführt: Der Barbier von Sevilla oder Die unnütze
Vorsicht. Hr. von Beaumarchais hat in diesem Stücke und in seinem Tarar, bis
jetzt den Mustern einer komischen und einer ernsthaften Oper gezeigt, daß es
möglich sey, im Singspiele Geist, Witz und Gefühl zu zeigen. Der Barbier von
Sevilla wird auf dem hiesigen Theater so gut dargestellt, als man es von
deutschen Schauspielern für deutsche Zuschauer erwarten kann. Figaro ist
durchaus ein französischer Charakter, der durch die deutsche Uebersetzung so
viel gewinnt oder leidet, als eine Zeichnung von Daniel Chodowiecky durch einen
Rosmäslerschen Stich. Diese rasche Beweglichkeit, diese Verschmitztheit, dies
savoir faire, diese leichtsprudelnde Laune, dieser feine und schnelle Witz,
diese Leichtfertigkeit mit Anstand, dieser sentenzenlose und bonmotreiche
Dialog — sie ersticken in der Wohlbeleibtheit, in der komischen Plumpheit und
in dem Ausdrucke des national-dumm-lustig-stieren Blicks eines deutschen
Hausmeisters. Der verdienstvolle Hr. Unzelmann kann diese Rolle, (ohne seinem
Fleiße in dieser Rolle, und ohne seinen niedrigkomischen Talenten zu nahe zu
treten,) nie zur Zufriedenheit des Kenners geben, indem ihn seine Figur, sein
Gesicht und seine Sprache durchaus nicht dabey unterstützen. Der einzige
Schauspieler, welcher mit Glück diese Rolle in Berlin spielen würde, und durch
seine Beweglichkeit, Feinheit und Delikatesse dem französischen Figaro nähern
könnte, ist Hr. Beschort, ein Schauspieler, der durch seine Naturgaben, seinen
vortrefflichen Anstand, seine Stimme und seinen unermüdlichen Fleiß uns zur
Hoffnung berechtigte, in ihm einen vollkommenen, regelmäßigen Künstler zu
erhalten.
Madame Unzelmann
zeigt als Rosine, daß Anmuth, Feinheit und Grazie, auch bisweilen auf deutschem
Boden gedeihen und bestätigt auch durch diese Darstellung den Ihr mit Recht
gebührenden Titel: der ersten jetzt lebenden Schauspielerin Deutschlands.
Bartholo, der
italienische Doktor, wird von dem Hrn. Kaselitz, bis auf die nationale
Heftigkeit des Italiäners gut dargestellt.
Der Schauspieler,
welcher den Basil vorstellt, hat sich einen Ton und eine Modulation der Stimme
angewöhnt, die vor 30 Jahren erträglich seyn mochte, und die man noch jetzt in
dem geistlichen Vorgesange eines Dorfküsters, aber schwerlich auf einem
deutschen Nationaltheater ertragen kann, wenn man Mad. Schick und Mad. Eunike
die jüngere neben einem solchen Sänger hört. Basil hat einen Meister im
Vortrage, den Hrn. Ambrosch neben sich, dessen vortreffliche und von
Künsteleyen reine Manier, er nur treu kopiren darf, um uns die Wahrheit glauben
zu machen, daß ein spanischer Organist besser und geschmackvoller als ein
deutscher Dorfküster zu singen pflegt.
Die Scene mit
Pietro und Bernardo muß weit schneller gesungen und gespielt werden. Ueberhaupt
habe ich bey der Aufführung verdeutschter französischer Operetten bemerkt, daß
aus einem allegro ein lahmes moderato, aus einem andante ein adagio, aus einer
Anglaise eine Menuet gemacht wird. Liegt dies an der Unfähigkeit der Sänger, an
der Zähigkeit deutscher Soprane, oder an dem gravitätischen Pflegma eines
kleinen deutschen Orchesters, welches mit dem simplen Niederschlag auf dem
Flügel, ohne die dem Italiänischen maestro di capella abgeborgte Spielerey mit
dem Notenblatte, sehr leicht dirigirt werden kann? Wenn der Akkord des
Instruments nicht den Weg zum Ohr des Sängers findet, wird sein Auge noch weniger
den Takt aus der Bewegung der Notenrolle dem Ohre schnell genug mittheilen.
[1] Da der bisherige Hr. Verfasser der letzten Stücke der
Dramaturgie anderweitige Abhaltungen gehabt, so hat auf des Verlegers Bitte ein
andrer Mitarbeiter dieses Stück geschrieben, weshalb man die etwanige
Ungleichheit des Styls entschuldigen wird. Das Ende derselben wird zugleich in
diesem Stücke, zur Freude des gründlichen Kunstrichters im Archive der Zeit,
welcher Prätension auf Witz, Kenntnisse, Gelehrsamkeit und Annehmlichkeit
macht, erfolgen; nicht aus Kränklichkeit, wie der Hr. Kunstrichter glaubt,
sondern weil der Dramaturgist nichts mehr untersuchen kann, worüber der
geistvolle und kenntnißreiche Hr. Peter Lebrecht, der den Ritter Roland eine
Nachahmung der Zauberflöte seyn läßt, und der schief- und tiefsinnige,
philosophisch zermalmende Ernst Winter, mit ihrer bekannten nur nicht erkannten
Prätension, nicht längst entscheidend abgesprochen hätten.
Nationaltheater: Barbier von Sevilla, Der (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/149.
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