Den 5ten April erschien (als Benefiz der Demoiselle Eigensatz) zum erstenmale auf unserer Bühne Turandot, Prinzessin von China, ein tragikomisches Mährchen in fünf Akten, aus dem Italienischen des Gozzi von Schiller. Von allen neuern Stücken, welche wir durch die Bühne kennen gelernt haben, möchte, nebst dem musikalischen Drama, fast wohl kein einziges übler wegkommen als das, von welchem gegenwärtig die Rede ist. Alle Theorien müssen wir bei Seite legen, um den richtigen Gesichtspunkt zu fassen, und allein auf die individuelle Lage des Italienischen Theaters, von welchem Turandot ausging, und des Dichters, welcher sie dorthin brachte, zurücksehen. Gozzi trat zum erstenmale mit einem Lustspiele: die Liebe zu den drei Pomeranzen, nach einem bekannten Kindermährchen bearbeitet, zu Venedig im Anfange des Jahrs 1761 als dramatischer Dichter auf. Er urtheilt von diesem Stücke selbst: es sey nichts, als eine übertriebene komische Parodie der Werke des Chiari und Goldini, welche damals fast in dem alleinigen Besitze der Bühne waren. Namentlich suchte er die Dramen des letztern, den Campiello, die Massere und die Baruffe Chiozzotte lächerlich zu machen. Der allgemeine Beifall, welchen sein Stück erhielt, war der beste Beweis, wie sehr er seinen Zweck erreicht hatte. Bald darauf erschien sein tragikomisches Märchen, der Rabe. In demselben bildete er die vier Masken, welche nachher durch alle seine Stücke fortspielen, aus. Er kannte den Geschmack der Menge zu gut, um nicht fest überzeugt zu seyn, daß theils aus dem Wunderbaren und Aechtromantischen, theils aus dem Kontraste des ernsthaften Stoffes und der Bravour der komischen Masken, welche in das Ganze auf das engste verwebt sind, ein lebhaftes Interesse erwachsen müßte. Nun ließ Gozzi die Turandot folgen, aus welchem Stück er das Wunderbare verbannte, aber das Romantische beibehielt. Der Stoff war ernsthaft, nur die Masken verwebten ihn mit dem Komischen. Nach seinem eigenen Urtheile sollte sie eine Perspektive von scheinbaren Unmöglichkeiten seyn, welcher die Verwickelung ohne Zaubereien entwickelt wurde. Er verließ, wie bei allen seinen Dramen, den einmal betretenen Weg, seine Gegner in den Masken lächerlich zu machen, nicht. Diese letztern waren auf die italienische Bühne von der alten römischen herüber genommen. Die alten Mimen sollten hierdurch verbessert werden. Verschiedene neuere Dichter hatten mit Glück den Versuch gemacht, nach ihrer individuellen Ansicht der Dinge, auf verschiedene Weise das Aechtkomische in den Masken darzustellen. Flaminio Scala, Francesco Andreini, Ruzante u. m. a. legten ihnen die verschiedenen italienischen National-Dialekte in den Mund, um dadurch Lachen zu erregen. Ja, der letzte brachte sogar die Neugriechen auf das Theater, und erhöhte durch die hieraus entstehenden Mißverständnisse und Wortspiele, wie Plautus schon lange vorher durch seinen Poenulus gethan hatte, seine komische Kraft. Die glückliche Benutzung des Moments, die genaue Kenntniß der dramatischen Darstellung und ihrer Wirkung, die freie Kühnheit, womit er seinem Zwecke entgegen eilte, verschafften dem Gozzi den lauten Beifall, der seine Werke noch bis jetzt auf dem venetianischen und römischen Theater erhalten hat. Die Engländer, sonst so eifersüchtig auf den Ruhm ihres Shakespear, nannten ihn den italienischen Shakespear, und bemühten sich, seine Stücke auf ihren Boden zu verpflanzen. Schon in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erschien in der Schweitz eine deutsche Uebersetzung der Gozzischen dramatischen Arbeiten, und mehrere deutsche Schriftsteller, als Rambach, Dyck u. m. a. bearbeiteten einzelne Stücke für unsre Bühne, aber ohne daß eines derselben einen ausgezeichneten Beifall hätte erlangen können. Schillers Namen sollte man fast für hinreichend halten, einen für das Publikum noch unbekanntern Dichter auf der deutschen Bühne zu fixiren. Wir wollen nicht die Frage aufwerfen: was den letztern bestimmen konnte, von allen jenen Stücken gerade die Turandot zu wählen? sondern sogleich zu dem, was er gab und geben konnte, übergehn. Schiller hat äußerst wenig in dem Stücke selbst, und im wesentlichen gar nichts geändert. Er liefert eine gute versificirte Uebersetzung, bei welcher er die Maskenscenen wie natürlich ausfüllt, da im Originale mehrere derselben nur dem allgemeinsten Inhalte nach angegeben sind, und bei der Aufführung improvisirt wurden. Von den vorkommenden drei Räthseln hat er nur eines ganz beibehalten, das zweite aber verändert, und an die Stelle des dritten hat er ein neues gesetzt. Es läßt sich aus einigen Stellen dieser Bearbeitung vermuthen, daß Schiller die Rambachsche (v. in dem dritten Theile seiner Schauspiele: Die drei Räthsel) kannte. Wenn man beide Bearbeitungen mit einander vergleicht, so wird man finden, daß R. die Wirkung der Masken, wenn sie mit einer gewissen Freiheit gehalten werden, sehr gut zu benutzen versuchte. Es zeigt sehr deutlich, wie viel jetzt Schillers Nahme auf der Bühne vermag, denn jene frühere Uebertragung der Turandot ist nirgends auf die Bühne gekommen; obgleich der wesentliche Unterschied bei der neuern nur in dem Nahmen des Verfassers zu liegen scheint, welcher die Ausführung des Komischen ganz vernachlässigte. Die hiesige Darstellung fiel im Ganzen genommen ziemlich glücklich aus, obgleich der größte Theil der Zuschauer, der weder den Geist der italienischen, noch der speciellen Gozzischen Bühne kannte, getäuscht das Theater verließ; denn man hatte ein Schillersches Stück erwartet. Herr Unzelmann, dessen komisches Talent unser Publikum mit Recht so sehr beklatscht, hob in der auffallendsten Kleidung das Stück sehr durch die Rolle des Altoum. Wir hätten ihn, ob wir es gleich nicht verkennen, wie glücklich gedacht er diese Rolle spielte, noch lieber in einer Maskenrolle erblickt, für welche ihn seine Stärke im Niedrigkomischen so ganz bestimmt hätte. Nach Gozzi’s Willen war jene Rolle ganz ernsthaft, wie alle dieses Stücks, die Masken ausgenommen. Einige Stimmen hatten zwar die Meinung, ein Kaiser, der einen Tartaglia zum Großkanzler, einen Pantalon zum Sekretair habe, müsse nothwendig eine komische Karrikatur seyn. Aber unser Dichter, der mehr die Einheit des Ganzen, die theatralische Wirkung in den Augen hatte, als die Einheit der Personen unter einander, gebrauchte auch hier die Masken des auffallenden Kontrastes wegen. Mamsell Eigensatz, als Turandot, würde noch mehr gefallen haben, wenn sie ihrem Spiele mehr Leben und Interesse zu geben verstände, und nicht in der Adelma die vollendete Künstlerin, Madame Unzelmann, zur Seite gehabt hätte. Die am Schlusse vorkommende Scene, die Ergebung an Kalaf, war durch die vorhergegangene anscheinende Kälte viel zu wenig, oder vielmehr gar nicht motivirt. Die Masken, welche durch die Ausfüllung ihrer Rollen viel verloren haben, waren wohl etwas zu sehr vernachlässigt, als daß ihre Erscheinung eine bedeutende Epoche auf dem Theater hätte machen sollen. Da die Direktion wahrscheinlich über die Kleidung derselben in nicht geringer Verlegenheit gewesen ist, so wollen wir für die, welche dieser Gegenstand interessiren könnte, hier noch ein Buch anführen, in welchem man eine rechte gute Abbildung von den vorzüglichsten auf dem italienischen Theater erscheinenden Masken findet, es ist die Histoire du Théàtre Italien, par Louis Ricoboni.
Turandot, Prinzessin von
China, tragikomisches Märchen in fünf Akten, nach Gozzi, von Schiller. Die
Ouverture und zur Handlung gehörige Musik von Herrn Seidel.
Seit Jahren war
dieser genialische Scherz Gozzi’s, den Schiller mit sichtlichem Wohlgefallen
behandelte, nicht gegeben worden; auch heute war das Haus zwar nicht leer, aber
doch auch lange nicht so gedrängt voll, als wirklich der Werth des Stückes zu
hoffen berechtigte. Woher das? – Eine Bühne, die so viel große Dichtungen
trefflich ausführt, auf welcher selbst manche dramatische Armseligkeit durch
vollendet schöne Darstellung auf eine Zeitlang zum Liebling des
geschmackvollsten Theiles des Publikums wird, – eine solche Bühne wird dadurch
nicht herabgesetzt, wenn man offenherzig gesteht, daß sie dem Charakter Eines,
noch dazu fremdartigen Stückes, – nicht sein volles Recht thut. Das ist bei der
Turandot der Fall.
Das Charakteristische, das
Pikante der Gozzischen Mährchen ist eigentlich der Muthwille, mit welchem darin
das Pathetische unaufhörlich durch das Komische parodirt und persiflirt wird.
Wenn das wirksam ausgeführt werden soll, so muß man es überall auf die
schreiendsten Contraste anlegen: in Dekorationen und Masken muß der höchste
Prunk neben gemeiner Lächerlichkeit stehn; in Spiel und Sprache muß das
Leidenschaftliche bis zur Uebertreibung hochfliegend, alles Ruhige hingegen so
karikirt-komisch als möglich gegeben werden. Auf unsrer Bühne ist in diesem
Stücke der Prunk sehr gering und veraltet; die Masken, selbst Pantalons und
Tartaglia’s haben kaum Andeutungen des Komischen; die Leidenschaften werden zu
vernünftig ausgedrückt und die Parodie ist nicht muthig genug, scheint den
Vorwurf, »sie werde niedrig komisch« zu fürchten, – und sie soll es doch seyn.
Das ganze Stück kommt mir vor wie ein schönes Gemälde, dessen Farben so
verschossen sind, daß man kaum noch die Umrisse seiner Gestalten erkennt. Um
sie wieder wenigstens auf Minuten sichtbar werden zu lassen, pflegt man solche
Malereien mit Wasser anzugießen. Nun, ich will mich gern dabei beruhigen, meine
Rüge Wasser nennen zu hören, wenn sie nur Gozzi’s Gemälde den beabsichtigten
Dienst leistet.
Herr Unzelmann spielt den
Kaiser Altoum, – und das ist beinahe die einzige Rolle, welche mir dieser Künstler,
voll der glänzendsten Talente für das Komische, in hohem Grade zu verfehlen
scheint, vielleicht bloß dadurch, daß er sich nicht entschieden hat, ob er sie
komisch oder ernsthaft nehmen soll. Sein karikirter Prunk, die Haltung mit
welcher er einhertritt oder dasitzt, erregt Lachen; das ist gut, aber noch
nicht genug. Altoum hat vernünftige und gefühlvolle Sachen zu sprechen, und
Herr Unzelmann sagt sie wirklich mit einem vernünftigen und gefühlvollen Tone.
Sie wirken nicht Achtung und Theilnahme, weil es eine so komische Gestalt ist,
die sie hervorbringt, und diese Gestalt macht nicht mehr lachen, so bald man
sie so achtungswerth sprechen hört. Wie müssen jene Aeußerungen dann gesprochen
werden? Ich glaube – so komisch-herzlich, als sich’s nur thun läßt; ja, ich
wollte, Altoum hätte am Rande seines Thurmhutes sogar Glöckchen, die er bei den
gefühlvollsten Tiraden könnte ertönen lassen.
Dlle. Maaß spielt die
Prinzessin Turandot. Wenn diese Rolle nicht widerlich wirken, oder gar ganz
unbedeutend werden soll, muß sie imponiren, durchaus imponiren; also: ein
hoher, junonischer Wuchs, wenigstens ein majestätischer Anstand, hohe Würde in
Gang und Haltung, niederdrückender Stolz in Ton, Blick und Gebärde; – in den
leidenschaftlichen Scenen der höchste Pathos; – im Aufzuge blendende Pracht. –
Ich will die interessante Künstlerin, die so manche Rolle, vorzüglich in
Conversationsstücken, so brav giebt, nicht kränken, und daher den Zuschauern
und ihr selbst die Prüfung überlassen, ob sie diese Forderungen erfüllte.
Hr. Bethmann giebt den Kalaf.
Diese Rolle, die seines Freundes und seines Vaters, sind die einzigen
männlichen, die ohne Zusatz vom Komischen, rein gefühlvoll und edel gehalten
werden müssen. Herr Bethmann, – ich sage, Herr Bethmann – erfüllte diese Forderung,
spielte wahr und schön, nur die Scene, wo er das Bild aufheben, stufenweise in
Erstaunen, Leidenschaft, hinreißende Glut gerathen soll, mislang ihm, aber
nicht durch seine Schuld: es trat eine Störung auf der Bühne ein, welche die
ganze Scene verdarb. – Mdme. Bethmann als Adelma, war sein noch trefflicheres
Gegenbild. Dieser Charakter ist eine echt tragische, eine edle Kunstaufgabe,
und wie die große Künstlerin dergleichen lößt, – das zu sagen, sind längst alle
lobende Wendungen und Phrasen erschöpft.
Ueber die übrigen Rollen, – künftig.
Nationaltheater: Turandot (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/151.
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