Die Handlung ist einfach,
aber von tragischer Gewalt. Hie und da ist das Warum nicht deutlich, aber man
wird so erschüttert von der eigenthümlichen Kraft des großen Mannes, von der Kühnheit
der Gedanken; die Tiefe und Fülle der Empfindung reißt so zum Ziele fort, der
Versbau schmeichelt über so manches Hinderniß hinüber, daß die Zweifel und
Fragen, die während der Vorstellung aufsteigen, von Rührung und Bewunderung überwellet
werden. Selbst nach der Vorstellung schlagen die hohen Schönheiten des Gedichts
noch so mächtig an in Nachempfindung, daß man mit Cajetan fühlt:
»Die Welt ist vollkommen überall
Wo der Mensch nicht hinkommt
mit seiner Quaal.« Und eben deshalb mag man die schöne Flamme mit dem
Kritikhader nicht gleich einengen und ersticken.
Eins stört indeß schon während
der Vorstellung die Empfindung auf eine widrige Art. Die öftere
Zusammenstellung des Heidenthums und des christlichen Lehrbegriffs. Die
Eumeniden und der Gottesfrieden, das Haus von Loretto und das Delphische
Heiligthum – will man annehmen, daß auf Sicilianischem Boden nach dem
Uebergange zur katholischen Religion die Erinnerung an die frühere Lehre noch
lange geblieben, und in feierlichen Augenblicken leicht habe wieder zur Sprache
kommen können, so mag das sein; aber daß die Wirkung auf der Bühne die
Empfindung hemme, das bleibt gewiß. Die gesprochenen Chöre machten zum Theil
eine herrliche Wirkung, nämlich da, wo sie das Schicksal aussprachen, oder eine
allgemeine Empfindung. Wird der schöne Gedanke des Einzelnen vom Chor ergriffen
und nachgesprochen, so heißt das die Wirkung durch Häufung verfehlen.
Die Vorstellung ward mit
Geist und Leben mit Anstrengung, Würde und Verwendung der Kräfte gegeben, die
vorhanden sind. Alle gaben sich in erhöhten Styl, welches sehr gute Wirkung
machte. Mad. Meyer, als Isabelle, hat hinreißend, vortrefflich gespielt, und
viele Stellen wahrhaft groß geleistet. Die Gewalt der wahren Empfindung riß in
den letzten Scenen sie hin, daß ihr Schmerz zu weichlich ward. Die Mutter überwältigte
die Künstlerin, aber die Künstlerin hatte vorher schon so zur innigen
Bewunderung des großen Talents angezogen, daß man im Mitgefühl der guten Mutter
von der Hoheit des Ideals für den letzten Moment gern etwas schwinden ließ.
Mad. Fleck, als Beatrice, war das Wesen der Liebe selbst; Sprache, Gestalt,
Bewegung, Blick – alles sprach Liebe! die fromme, heilige, erste Liebe! – Nur
einigemale verlor sich die Haltung, aus den schönen Mitteltönen, welche dieser
Künstlerin so eigen sind, auf eine Höhe, die etwas an Schärfe gränzte.
Die beiden Brüder wurden von Hrn. Beschort und Bethmann
vortreflich gegeben. Hr. Beschort sprach mit Ueberredung ohne Weichlichkeit,
mit der edelsten Menschenwürde ohne Aufblähung, mit aller Schwärmerei der Liebe
ohne Tändelei, und über dem Ganzen seiner schönen Darstellung waltete ein Geist
der Güte und Milde, der der Empfindung wohlthätige Thränen schenkte. Heftiger
und heroischer liebt der Cäsar. Herr Bethmann hat das mit Feuer, Kraft und Würde
ausgedrückt. Vielleicht gränzten einige Stellen des zweiten Akts fast an
Deklamation. Dagegen hat Hr. Bethmann den ganzen schweren vierten Akt mit der
Stärke und Innigkeit der wahrhaft tragischen tiefen Empfindung gegeben, und mit
einer Bedeutung und Gewißheit, welche ihn für dieses Fach rühmlich auszeichnet,
das auf der Deutschen Bühne so selten gut besetzt ist. Herr Bethmann hat die
Aufmunterung des Publikums so benutzt, daß er nun dessen Belohnung verdient.
Hr. Herdt als Kajetan leistete im ersten Akt das, was in der neueren
Kunstsprache eine verständige Darstellung genannt wird. Sehr schön gab er und
mit einer Rundung und Wärme die Gefühle, welche den ersten Akten zu fehlen
schien, den Schluß des dritten und den vierten Akt.
Man kann allen, welche die Ritter vorzustellen hatten, das Zeugniß besondern Fleißes und der Anstrengung geben. Sehr vortheilhaft zeichnete sich aber Herr Bessel der Jüngere aus, welcher die Verse mit Haltung, Wohlklang und Gefühl sprach. Die Chöre in Masse wurden gleicher geleistet, als die, welche zwei oder drei nur zu reden hatten. Vorzüglich schön wurde der allgemeine Chor nach Manuels Tode gesagt. Er begann stark, nahm eine sanfte Biegung in der Mitte, und endete in feierlicher Tiefe. Die Stimmung des Publikums war feierlich; man sah viele Beweise der tiefen Rührung, und konnte sie vernehmen. Als der Vorhang bei der genialischen Musik unsers Webers langsam herabsank, folgte vollstimmiger, anhaltender Beifall, womit der Eindruck sich bewährte, den das Ganze auf die Mehrheit gemacht hat. – Die zweite Vorstellung, welche am 16ten gegeben ward, ist an Bestimmtheit der Ersten vorzuziehen. Die Chöre der einzelnen Schauspieler wurden heute gleicher, reiner und voller gegeben. Die Darstellung des Kajetan näherte sich mehr einer Genialität, die hier nicht vermißt werden kann, und hatte eine innige Herzlichkeit. Die zahlreiche Versammlung bewies den Antheil an der hohen tragischen Dichtung am Schlusse noch anhaltender als das Erstemal. Daß dieses Schauspiel von einigen Mängeln entstellt werde, darüber sind Alle einig. Daß eine unwiderstehlich anziehende Macht darin waltet, welche die schöne Kindlichkeit zurückzaubert, die Gegenwart erhöht, die Zukunft näher rückt, und alle Kräfte der Seele wunderbar auf- und niederwogen läßt, – das haben Viele empfunden, und das laute Schluchzen huldigte dem tragischen Genius! – Seit der Erscheinung von Schillers Wallenstein und aller dramatischen Werke desselben Verfassers, die diesem folgten, sind einige sehr brave in Versen erschienen, und sehr viele wasserreiche Arbeiten. Es heftet nun fast Niemand mehr ein paar Scenen an einander, wo Herren und Knechte nicht in Versen reden, und die Scene liegt stets in Rom oder Griechenland. Wie manche werden nun nach dieser Braut von Messina auf ihren Kinderstühlen zappeln und schreien: »auch machen, auch machen!« Da werden dann gesprochene Chöre und Gräuel, die nicht zufällig blutig enden, sondern schmutzig blutreich sind, zu Tage kommen. Da ist dann zu wünschen, daß wenn die Gewaltigen den hohen Flug begonnen haben, es uns vorgebildet werden möge, so gut es seyn kann. Wirft aber die liebe Jugend die ordinären Schwärmer hinüber und herüber: so treibe sie das für sich allein, und man lasse das Wesen erlöschen, ohne es wieder vorzubilden. Die guten prosaischen Stücke mangeln sehr, sie sind nicht so leicht geschrieben und gegeben, als man hat glauben machen wollen. Den mittelmäßigen Gedanken putzt der Vers heraus. Die Prosa thut nichts für die Ausschmückung. Handlung und Einkleidung können sich nicht an Klang und Schimmer lehnen. Für die höhere Dichtung ist nun seit geraumer Zeit Vieles geschehen. Zu wünschen ist, daß nun auch zum Besten der Einfältigen etwas Wesentliches gethan werden möge.
Vgl. die Aufführung vom 14. Juni , Besprechung vom 18. Juli
1803.
Am 11ten Julius gab man, / Die Braut von Messina, Trauerspiel in 4 Akten, von Schiller. / Es war ein glücklicher Gedanke, den Aufführungen des Tell dieses Stück, in welchem Schiller seine poetische Rhethorik und seine Nachahmung der Griechen aufs Höchste getrieben hat, einzuschalten: es macht einen sonderbaren Contrast mit jenem. Das Publikum mag denn nun entscheiden, was seinem Geschmacke mehr behagt, lebendige Wahrheit der Charaktere, rasche, kräftige Handlung, reizend verschönerte Wirklichkeit , und wahrer Dialog, - oder Ueberspannung, unwahrscheinliche Abentheuer, ein Gemische von Antiken und Modernen zu einer Welt, die nie existiren konnte, und rhetorischer Pomp in Scenen voll der höchsten Leidenschaft: das heißt, ein Werk in welchem Natur und Wahrheit durch die einsichtsvollste Kunst veredelt wurden, - oder ein Produkt des auf falsche Pfade verirrten Genies, eine wilde Schöpfung der entflammten Phantasie nach mißverstandenen Regeln: Tell oder die Braut. – Die Ausführung hatte auch heute alle die großen Schönheiten und die kleinen Fehler, die derselben in diesem Blatte schon oft nachgesagt wurden. Die Versammlung der Zuschauer war nur klein.
Nationaltheater: Braut von Messina, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/178.
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