Nichts ist leichter und kürzer
angegeben, als der Inhalt des Stücks. Jacob Molay, Großmeister des
Tempel-Ordens, wird vom Papste und dem Könige von Frankreich, mit seinen
vornehmsten Rittern, nach Paris beschieden. Ihm droht Gefahr; er geht ihr
muthvoll entgegen. Am Tage vor seiner Abreise entläßt er, eines Vergehens
wegen, seinen Liebling, Robert von Heredon, aus dem Orden, und nimmt dagegen
zwei Neophyten auf, Franz von Brienne (den Sohn seines Freundes) und Adelbert
von Anjou (den Sohn des verbannten Herzogs Philipp, der sich, unbekannt, als Gärtner
bei dem Orden befindet). Moley [!] hält Ordenskapitel, vernichtet oder vergräbt
die wichtigsten Papiere und Kleinodien, und besteigt, von den Segenswünschen
des Volks von Cypern begleitet, das Schiff. Außer dem Interesse, welches die
natürliche Verkettung dieser Folge von Begebenheiten giebt, hat der Dichter
noch ein zweites Interesse zu erregen gestrebt, das poetisch-mystische. Er hat
zwei allegorische Personen in das Stück hineingewebt; den Troubadour Eudo,
Molay’s verstorbenen Oheim, und Astralis, eine christliche Egyptische Einsiedlerin
oder Clausnerin, welche beim Volke für wahnsinnig gilt, u. vom Eudo, auf Befehl
der Obern vom Thale, berufen wird, für die Vervollkommnung des Tempelordens zu
arbeiten, und die Besten, Robert und Molay, von den Uebrigen abzusondern. Die
Erscheinungen dieser Astralis bringen nur schwach die versprochene Wirkung
herbei. Eudo’s Erscheinungen sind mit Gesang begleitet, sind dabei weit
kraftvoller, ergreifen zugleich die Sinne und das Herz. Sein Zusammentreffen
mit Molay im 5ten Akt ist ein schöner Moment. Natürlich-schöne Scenen sind
Adalberts und Philipps Wiedererkennen, (wobei Herr Lemm besonders gut spielte,
weil er stark und tief fühlte) Roberts Streit mit dem Comthur, des Comthurs
Besuch in Roberts Kerker; und imposant durch einfache Würde ist die Haltung des
Kapitels. Die von Herrn Weber schön komponirten Gesänge und Chöre machten ganz
besondern Eindruck. Bei dem von Herrn Gern, wie Alles, so schön, so
ausdrucksvoll gegebenem Gesange: Wenn die Todtenglocke tönet etc.; bei den
zuletzt schwach verhallenden Tönen: In den Himmel aufgenommen etc., ging die
feierliche Stille in gerührten Beifall über; und bei dem schönen Choral: Die
Reine, der wir unterthan etc., schien es, als wenn die Herzen sanft mit einklängen.
Es waren köstliche Momente. Auch die gesprochene Litanei des Friedens über den
Tempelbund, war erhaben.
Die Söhne des Thals sind gedruckt und folglich bekannt.
Der Verfasser hat viel Verkürzungen und einige Zusätze gemacht, wodurch das
Gedicht vorzüglich gewinnt. Es macht keinen lebhaften, eher einen sanften,
ruhigen Eindruck, wozu Molays ehrwürdiger, menschenfreundlicher Charakter, und
Herrn Ifflands sich selbst übertreffendes Spiel viel beiträgt. Kunstlos und
einfach, wie sein Gewand, voll Hoffnung und Liebe, Gelassenheit und Muth steht
er da, spricht, handelt, und geht seinem geahnten Tode entgegen. Die Rolle des
Groß-Comthurs ist sehr gerathen; die des Gärtners gut gezeichnet. Die drei
jungen Ritter fließen nicht in einander; jeder führt sein eigenes Gepräge. Ein
Ganzes ist dieses dramatische Gedicht nicht zu nennen. Die Theilnahme gleitet
von dem Einen zum Andern über. Einzelne Theile sind schön; und wenn die
Aufnahme in den Orden, die Erscheinungen der Astralis, und so manches Schwärmerische
wegfiele, wenn die Natur an die Stelle der Isis träte, u.s.w., so würde das
Gedicht sehr an Ernst, an Würde, an Verständlichkeit, und folglich für den
Mehrtheil, sehr an Gehalt und Interesse gewinnen.
Nationaltheater: Söhne des Thals, Die, [1. Teil] (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/205.
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