So lange das Publikum an der Darstellung dieses genialischen Ungeheuers lebhafte Theilnahme beweiset, wird diese Heimsuchung nicht vermieden werden können. Verdienst haben alle Künstler, welche sich bestreben, durch edle Darstellung dem Ungeheuern das Groteske zu nehmen. Für gebildete Zuschauer ist das Groteske Karrikatur und gränzt an das Komische. Die ungezügelte Verwendung achtungswerther Kräfte gewährt nicht angenehmen Genuß. Was darüber alles zu sagen wäre, verbietet der Raum dieser Blätter. Der Kunstliebhaber konnte bei mehreren einzelnen Stellen die Vorstellung achten, das Ganze konnte die Ansprüche nicht befriedigen, welche auf Überlieferung reiner Ideale zu machen sind.
Die Räuber, Trspl. von Schiller. Man hat sich oft gewundert, wie es doch kommen möge, daß dieses Stück noch immer gefällt, da es doch den Regeln der dramatischen Kunst so gänzlich widerspricht: allein man hat dabei vergessen, daß eine vollständige Regellosigkeit ein in seiner Art fast eben so anziehendes Schauspiel gewähren könne, als eine gänzliche Regelmäßigkeit, besonders wenn die erstere, wie es hier der Fall ist, durch die ganze Kraft der reichsten jugendlichen Phantasie unterstützt wird. In dieser Hinsicht könnte man dies Drama, dessen Eindruck, gleich bei seiner ersten Erscheinung noch sehr viel mächtiger gewesen sein soll, als der, den die späteren vollendeteren Werke des Dichters hervorbrachten, allerdings fast einzig nennen: auch sind alle Nachahmungen desselben gemisglückt. Hr. Mattausch, als Karl schien sein ganzes Feuer für den vierten und fünften Akt aufzusparen, wofür ihn der reichlichste Beifall belohnte. Mad. Fleck milderte durch ein sanftes Spiel und die Weichheit ihrer angenehmen Stimme, manche zu grelle Scene. Hr. Unzelmann muß sich in der gräßlichen Rolle des Franz zu sehr aus seiner Sphäre gerissen fühlen, um con amore spielen zu können.
Den 5. Dez. gab man: Die Räuber, Trauerspiel in fünf Akten von Schiller. Wohl mag es mancher jetzt nicht mehr begreifen, wie ihn doch dies dramatische Ungeheuer vor zwanzig Jahren so hinzureißen vermogte, doch die Verirrung ließ sich immer verzeihen; die aufblühende Genialität hatte das Ungeheuer geschaffen, ihr ächtes Gepräge stand sichtbar da, und der Zauber der Neuheit wirkte wie immer mit. Der letzte läßt ja oft Auswüchse verehren, die nichts weniger als aus der Hand des Genies hervorgingen. Freilich währt jedes Ding seine Weile, und die Weile der Räuber ist längst vorüber. Als psychologische Notiz über den jugendlichen Zustand des Dichters, sind sie nur noch merkwürdig, und da wäre zu wünschen, man gäbe sie uns nach dem Original, nicht nach der Verkrüppelung. Blos was den Anstand verletzte, müßte wegbleiben. Hat man doch Shakespear in seiner ganzen Gestalt erblicken wollen, an dem frühere Bearbeiter nur die Schlacken wegsonderten; was hingegen den Räubern genommen ward, gehörte gerade zu dem Genialsten darin. Z. B. Pastor Müllers Unterredung mit Franz, und der Römergesang den Karl anstimmt. Welche kühne Idee Cäsar und Brutus am Styx zusammen zu führen, wo jener den spätern Ankömmling anredet: Tybersohn von wannen deine Reise? Steht sie noch die stolze Siebenhügelstadt? Oft geweinet hab ich um die Waise, Daß sie nimmer einen Cäsar hat. Und Brutus antwortet: Ha du, mit der dreiundzwanzigfachen Wunde, Wer rief Todter dich ans Licht? Schaudre rückwärts zu des Orkus Schlunde, Stolzer Weiner, triumphire nicht! Auf Philippis schrecklichem Altare, Raucht der Freiheit letztes Opferblut! Rom verröchelt über Brutus Bahre, Brutus geht zum Minos – kreuch in deine Fluth! Eben so Hektors Abschied und so weiter – Herr Mattausch mit seiner kräftigen Gestalt, dem volltönenden Sprachorgan, und dem energischen Feuer, spielt den Karl allerdings vortrefflich; ihn mit seinem Vorgänger zu vergleichen kann zu nichts führen; denn dem ist, ohne in Besitz seiner künstlerischen Natur zu seyn, einmal nicht nachzustreben. Wer Herrn Unzelmann blos in seinem komischen Fach sah, sollte es gewiß nicht vermuthen, daß ihm mehrere Stellen als Franz gelingen könnten. Und doch ist das der Fall, besonders da, wo er den Diener ausforschen will, und bei dem Bericht des Traums. – Madame Fleck, sagen einige, giebt die Amalie mit zu vieler Sentimentalität. Doch der Dichter schrieb ja höchst sentimental. Wie fehlerhaft würden Ruhe und Mäßigung der Schwärmerei hier seyn. – Herr Schwadke spielt als Hermann lobenswerth. – Herr Bessel ist ein braver Schweitzer. Es war ein guter Einfall, daß er das Gesicht so gefärbt hatte, als ob der Bart lange stände, das giebt ein wildräuberisches Ansehn, wogegen die glatt rasirten Gesichter der übrigen Banditen unwahrscheinlich abstechen. Sie sind überhaupt im Aeußerlichen vernachlässigt, und müßten furchtbarer seyn. – Herr Lemm als Kosinski, sucht in seine Rede Affekt und Kraft zu legen, und das gelingt ihm auch dieweilen, aber seine Action entspricht der Rede nicht und es mangelt ihm an Feuer. - n -
Herr Iffland war vielfältig darum ersucht worden, den Franz einmal wieder zu geben, und gieng nach seiner gewöhnlich gefaßten Nachgiebigkeit, den Wunsch ein. Was ist über die Ausführung zu sagen? Das reifeste psychologische Studium ist hier dem Genie der Darstellung vorangegangen, und es mußte daher wohl ein großes Kunstwerk hervorgehen. Zwar natürlich kein schönes, - ein schauderhaftes Nachtstück, ein Schreckbild der Verderbtheit, wobei jemand der den Künstler zum erstenmal sieht, der hier die tiefe Verworfenheit des Lasters, die qualvolle Gewissensangst des moralischen Ungehuers so meisterhaft darstellt, wohl immer ahnen sollte, er wisse uns auch als Wallenstein hinzureißen. – Einer Ankündigung zufolge wollte Iffland nur dies eine Mal den Franz Moor spielen. Das geht nicht an, das wäre unfreundlich gegen das Publikum. Nachdem wir diese Rolle einmal mit der höchsten Vollendung geben sahen, würde sie uns in jeder andern Gestalt unertäglich seyn, - müssen wir sie immer von Iffland, oder gar nicht mehr sehen. – Merkwürdig bleibts indesssen immer, daß noch im Jahre 1805 die Räuber überhaupt ein Gegenstand des Begehrens seyn können, und es beweist wie echt die Genialität darin seyn müsse. Mann kann sich immer nicht entschließen, sie aus der dramatischen Literatur zu verbannen. Ich sah einmal das Singspiel: Lisaura, oder der Kopf ohne Mann, wozu Wölfl eine recht artige Musik gesetzt hat. Hier spielt ein abgehauner Kopf die Hauptrolle, singt seine Cavatinen und Bravourarien, bis ein Deus ex machina ihm wieder zu seinem Rumpf hilft. Nur im südlichen Deutschland könnte es übrigens ein Publikum finden, im nördlichen hielt man es sicher nicht dabei aus. Hingegen ist mir oft eingefallen: daß wenn Schilller das Stück hätte bearbeiten wollen, er es gewiß so poetisirt und idealisirt hätte, daß man danach wie zur Jungfrau von Orleans geströmt wäre.
Nationaltheater: Räuber, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/218.
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