Zauberschloß, Das

Sparte/Genre:
natürliche Zauberoper
Personen:
Autor:
August Friedrich Ferdinand Kotzebue
Komponist:
Johann Friedrich Reichardt

Liste der Aufführungen

Aufführungsdatum: 02.01.1802
Rezensionen
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Das Zauberschloß, eine natürliche Zauberoper in 3 Akten vom K. R. v. Kotzebue. Musik von K. M. Reichardt
Quelle:
Annalen 1802, S. 48
Rezension:
Zeitung:
Annalen des Nationaltheaters
Aufführungsdatum:
1802-01-23
Nummer:
4
Seite:
49-58
Autor:
gez.: Lz

Die Oper hat sich seit kurzem fast ganz die Zauberey und alle ihr nur von fern ähnlichen Sujets zugeeignet, sie hat es damit so bunt als möglich getrieben, und gleichwohl dem Publiko noch nicht bunt genug. Wo von einer Oper die Rede war, da durfte man – wenn sie nicht aus den französischen herüberstammte – zugleich Zauberey ahnen, ohne daß der Titel es durch dieses Zauberwort schon ankündigte.
Die gegenwärtige Oper heißt nicht allein das Zauberschloß, sondern sie kündigt sich auch als eine Zauberoper gleichsam als eine besondere Gattung an. Seltsam genug aber führt sie das Beywort natürliche Zauberoper.
»Sollte man fürchten,« sagte mein Nachbar im Parterre zu mir, »daß wir die Zauberey für Zauberey halten werden? Ich dächte wir wären aufgeklärt genug, um uns dergleichen nicht aufbinden zu lassen, wir galten ja schon lange für aufgeklärt.«
»Mögten wir doch,« – erwiederte ich – »hier auf diesem Platze nie aufgeklärt geworden seyn, mögte der fromme Schleyer der Täuschung uns noch umfloren, und wir den leichten Scherz für ernste Wahrheit halten. Die Kritik, welche uns die Augen aufreißt, entzieht uns unendlich mehr als sie giebt, sie nimmt uns die ergötzende Täuschung, und giebt uns eine Wahrheit, welche das Herz kalt läßt, ihm jede Freude verschließt, und für dieses Entbehren bey weitem nicht entschädigt.«
»Sie mögen Recht haben,« fuhr mein Nachbar fort, – »ich selbst mögte einmal wieder mit den Augen und dem Gemüthe ein Schauspiel sehen, womit ich das erste sah. Zu dieser Stimmung gelange ich nie wieder. – Aber was soll das Wort natürliche Zauberoper?«
»Ich weiß es nicht.«
»Vielleicht will man uns im Voraus warnen, jenes Zauberspiel nicht für wirkliche Zauberey zu halten?«
»Möglich; dies würden Sie aber, wie es scheint, übel nehmen, weil es den Vorwurf der Unaufgeklärtheit in sich schließt.«
»Sie werden mir zutrauen, daß ich damit scherzte, aber es giebt noch andere Rücksichten, warum ein Wort wie dieses an der Schwelle des Heiligthums der Täuschung im hohen Gerade beleidigt, denn – « Die Ouverture begann mit Kraft und Genialität; bald hob sich der Vorhang, der erste einleitende Akt war vollendet. Herr Gern, dessen sonore Baßstimme von einem seltenen Umfange, und einer noch seltnern Lieblichkeit und Anmuth begleitet ist, dergleichen uns noch nie begegnete, leuchtete, der Absicht des Dichters gemäß, in diesem Akte vorzüglich hervor. Das Spiel seiner Rolle muß den Dichter – er war Zuschauer – entzückt haben, so streng, so behutsam hielt er sich in den Gränzen eines gefälligen Scherzes, der von dem Anschein nicht einer Art von Plumpheit, sondern mehr der Treuherzigkeit, die den Knappen eignet, begleitet war. Ich habe nie eine Rolle mit dieser Schonung und Zartheit und gleichwohl in einigen Momenten mit dieser Kraft dargestellt gesehen. – Herr Gern ist als Sänger bewundert, und – was noch mehr gilt, bey einem Baßsänger, der leicht in Verwundrung setzen kann – beliebt; aber dies alles umfaßt sein Verdienst nicht; ein zarter Sinn für den Geist seiner Rolle, eine Buffonerie, die den Charakter ehrt, und sich in bescheidnen, durch eignes Zartgefühl gesteckte Schranken hält, die nirgend überladet, und – der Gallerie zu gefallen sich selbst nicht mißfallen mögte, weil der innere Beyfall ihm mehr gilt, als das leere Getös von der Höhe, sind die auszeichnenden Charakterzüge seines Spiels, und kündigen den Mann an, der eben so wenig auf Kosten der Achtung seiner selbst als seiner Kunst einen zweideutigen Beifall ärndten will. – Was das Spiel betrifft, hat Herr Gern alles geleistet, und sein Gesang bedarf meines Lobes nicht.
Als der Vorhang gefallen war, sagte mein Nachbar: »Natürlich genug wäre diese Zauberoper, wir wollen hoffen, daß sie auch zauberisch sey, denn des natürlichen habe ich genug.«
»Und warum?« fuhr ich fort.
»Weil mir entweder zu viel oder zu wenig natürliches angekündigt ist. Es ist überall so eine Sache mit dem Ankündigen und Versprechen; wer nicht doppelt Wort halten kann – und wer kann das neben dem Donauweibchen? – sollte gar nichts ankündigen oder versprechen. – Hätte ich eine Oper ohne natürlichen oder magischen Apparat erwarten dürfen, ich würde in Ruhe erwarten; nun nehmen mich aber diese beiden Beiwörter in die Klemme, und ich weiß nicht, mit welchem ich es halten soll. Das natürliche ist mir widerwärtig, weil ich das zauberische erwarten muß, und das zauberische, weil ich es nicht dafür halten soll. – Die Musik wird das ihre thun müssen.«
»Haben Sie Geduld« – erwiederte ich – »Sie werden ja sehen. Man thut überhaupt einem Schauspiel sehr leicht Unrecht, wenn man es nach einzelnen Akten oder Scenen beurtheilt. Es mag ein Ganzes bilden oder nicht, so muß der Beurtheiler es doch als ein solches betrachten. Mag es dem Verfasser zu gute kommen, oder ihm den Stab brechen, das gilt gleich. Wer giebt uns ein Recht die Gruppen einer malerischen Composition auseinander zu reißen? daß die einzelnen Figuren eines raphaelischen Gemäldes noch große Meisterwerke bleiben, daß eine shakespearsche Scene mehr Werth hat, als manches ganze Schauspiel, rechtfertigt eine Operation nicht, welche nicht ohne Gewaltsamkeit vorgenommen werden kann.«
»Der Vorhang geht auf, wir wollen unsere Geduld üben,« sagte mein Nachbar, und das Stück fuhr fort.
Ich suchte meinen Nachbar zu vermeiden, denn ungern lasse ich mir den augenblicklichen Genuß durch eine zudringliche Kritik stören. Schlimm genug wenn das eigne kritische Gefühl zuweilen unangenehm rege gemacht wird. Aber es giebt eine Art von Leuten, deren Stolz das Besserwissen ist, die mit kritischen Brocken um sich her werfen müssen, wenn ihnen wohl seyn soll. Sie gehn nicht in das Schauspiel um mit unbefangenem Gemüth sich den Einwirkungen der Darstellung hinzugeben, sondern um mit ihrer Ostentation den Umstehenden zur Last zu fallen.
Mag doch ein Stück heißen wie es will, wenn es nur ist, was es seyn soll. So mögte die natürliche Zauberoper auch Gnade finden – wenn es bloß ein Name wäre.
Aber, wozu soll die Zerstörung des Werkes durch sich selbst? Warum sollen wir – mit Mühe emporgehoben zu einem leisen Glauben an Zauberey, durch das Stück selbst schon in die Wirklichkeit unangenehm zurückgeschleudert werden? Sie ist uns sicher genug, sobald wir die geweihte Schwelle verlassen.
In einem prächtigen transparent funkelnden Saale schließt das Schauspiel, die Feerey hat ihren Gipfel erreicht, da kömmt der alte Onkle, und sagt uns, daß dies alles sein Werk sey, daß er sich die Maschinen aus Welschland verschrieben, daß es ihm viel Geld gekostet, und was dergleichen mehr ist. Die Onkles sind überall gewöhnlich lästige Personagen, aber dieser ist es im höchsten Grade. Welche eine Grille, den Ehemann seiner Nichte, denn es ist nicht der Liebhaber, in Gefahren zu verwickeln, von der Gattin zu trennen, und unter Drohungen und Beängstigungen zu martern, bloß um ihn zu prüfen, ob er der männliche Ritter sey, dessen Ruhm das Gerücht auf breiten Flügeln überall umherträgt. Wenn die alten Onkles, die gewöhnlich selbst Tendre für die schönen Nichten haben, die Liebhaber derselben ein wenig quälen, so ist das in der Tagesordnung, aber für die Ehe pflegen sie sonst doch etwas mehr Respekt zu zeigen. – Mögte indeß das Sujet immer darauf beruhen, wenn es nur nicht eben dadurch wieder so gewaltsam zerstört würde. Es fehlt aber auch sonst noch irgendwo diesem Stücke. Die Zauberey ist eben dadurch Zauberey, daß sie jedes Verhältniß und jedes Gesetz der gewöhnlichen Ordnung umstürzt, sich ihre eigne Natur und Welt schafft. Je kühner ihre Dichtungen sind, je widersprechender dem gewöhnlichen Laufe der Dinge; um so mehr Wahrheit haben sie, um so verwegener stehen sie da, um so trozziger setzt sich diese kühne Welt selbst, und erhält um so mehr Existenz, je mehr sie im Wunderbaren mit sich selbst harmonirt, und von der wirklichen sich unterscheidet.
Es ist nicht zu leugnen, daß diesen Charakter gerade die tollkühnen Compositionen der Zauberflöte, der Donaunymphe, der neuen Arkadier und anderer Ausgeburten der Donaugegenden, haben, und daß sie eben dadurch gewaltsam die Menge anziehen, die deshalb gerade nicht zu behohnlächeln wäre, daß sie sich davon anziehen läßt, wenn sie sich dieses Grundes bewußt wäre. Sie handelt indeß nach einem Instinkt, wie die Schikaneder nach dem Instinkt ihrer Caße. Mit Einsicht, Kunst und Genie hat Gozzi Gegenstände dieser Art dargestellt, und auch er wußte, daß die grelle Zeichnung und Farbe der komischen Parthie solcher Dichtungen, um so mehr das Wunderbare hervorhebt, je verwegner sie zwischen diese Erhabenheit tritt, daß eben auch dadurch die Fremdartigkeit dieser Welt gehoben wird.
Dem Dichter wird es um so schwerer, sich in die Regellosigkeit und die Widersprüche der Compositionen in diesem Geschmack zu finden, je mehr er gewohnt ist, dem regelrechten Gang des Dramas zu folgen, je mehr jene Gattung selbst durch die Stümper, die sich dreist darin als Meister brüsten, in eine Art von Verdacht gekommen ist. Allein – man sage was man will – sie sind in der That Meister darin; obschon von ihnen mit vollem Rechte gilt: »sie wissen nicht was sie thun.«
Daß Herr von Kotzebue, dessen Dichtungen Mannigfaltigkeit, Reichthum und Kühnheit mehr als irgend eines andern dramatischen Schriftstellers Werke auszeichnen, gerade der Mann für diese Gattung des Zauberspiels wäre, daß er der deutsche Gozzi werden könnte, darüber ist bey Unpartheiischen kein Zweifel. Warum er es bey diesem Stücke nicht seyn wollte? darüber wagen wir keine Entscheidung. Vielleicht hielt er sich zu streng an das – uns unbekannte – französische Original. Dies scheint uns vorzüglich die komische Parthie zu verrathen, die mit zu vieler Scheu und Mäßigung behandelt ist, welche, wie oben schon gesagt ward, der Schauspieler so vortrefflich ausdrückte. Es ist mehr das Urtheil des ganzen Publikums, als eines Einzelnen, wenn wir in Hinsicht der Composition sagen, daß die Zuhörer ihren genialischen und bewunderten Reichard, dessen orphischen Tönen sie so froh entgegen kommen, in dieser Musik weder so charakteristisch noch so reich als sonst wiederfanden. Das Schwanken des Stückes selbst, dem ein festbestimmter Charakter fehlt, mogte das seine thun. Zuweilen nähern sich die Melodien der Sanftheit und Natur, wie sie das Liederspiel verlangt. Es bedarf indeß unserer Versicherung nicht, daß große hervorleuchtende Stellen in dem Werke sind, und daß ein minder glücklich ausgeführtes Werk dem Ruhm eines Mannes nicht Eintrag thun kann, dessen Brennus jetzt alle ergötzt, erschüttert und begeistert.
Madame Schick zeigte sich wie immer als die hohe Meisterin; ihrer Kunst und Kraft, so wie der rühmlichen und glücklichen Anstrengung des Hr. Eunike hat das Stück sehr viel zu danken. Das Publikum ist Herrn Eunike für seine Bemühung sehr verpflichtet.
Die Dekorationen, von der Hand des Hr. Verona machten Effekt, und die Verwandlungen im letzten Akt hatten die Plötzlichkeit, welche allein Täuschungen hervorbringen kann. Aber warum in einem alten gothischen Schlosse ein griechisches Gewölbe? Ueberhaupt hat diese Dekoration nicht das Schauderhafte, welches wir von einem Grabmaale erwarten. Die letzte transparente Dekoration könnte, so sehr sie dem Auge schmeichelt, doch geschmackvoller und bedeutender seyn. Lz.

Aufführungsdatum: 04.01.1802
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Das Zauberschloß, eine natürliche Zauberoper in 3 Akten vom K. R. v. Kotzebue. Musik von K. M. Reichardt
Quelle:
Annalen 1802, S. 48
Aufführungsdatum: 06.01.1802
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Das Zauberschloß, eine natürliche Zauberoper in 3 Akten vom K. R. v. Kotzebue. Musik von K. M. Reichardt
Quelle:
Annalen, S. 48
Aufführungsdatum: 08.01.1802
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Das Zauberschloß, eine natürliche Zauberoper in 3 Akten vom K. R. v. Kotzebue. Musik von K. M. Reichardt
Quelle:
Annalen 1802, S. 48

Nationaltheater: Zauberschloß, Das (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/23.

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