Die Oper hat sich seit kurzem
fast ganz die Zauberey und alle ihr nur von fern ähnlichen Sujets zugeeignet,
sie hat es damit so bunt als möglich getrieben, und gleichwohl dem Publiko noch
nicht bunt genug. Wo von einer Oper die Rede war, da durfte man – wenn sie
nicht aus den französischen herüberstammte – zugleich Zauberey ahnen, ohne daß
der Titel es durch dieses Zauberwort schon ankündigte.
Die gegenwärtige Oper heißt
nicht allein das Zauberschloß, sondern sie kündigt sich auch als eine
Zauberoper gleichsam als eine besondere Gattung an. Seltsam genug aber führt
sie das Beywort natürliche Zauberoper.
»Sollte man fürchten,« sagte
mein Nachbar im Parterre zu mir, »daß wir die Zauberey für Zauberey halten
werden? Ich dächte wir wären aufgeklärt genug, um uns dergleichen nicht
aufbinden zu lassen, wir galten ja schon lange für aufgeklärt.«
»Mögten wir doch,« –
erwiederte ich – »hier auf diesem Platze nie aufgeklärt geworden seyn, mögte
der fromme Schleyer der Täuschung uns noch umfloren, und wir den leichten
Scherz für ernste Wahrheit halten. Die Kritik, welche uns die Augen aufreißt,
entzieht uns unendlich mehr als sie giebt, sie nimmt uns die ergötzende
Täuschung, und giebt uns eine Wahrheit, welche das Herz kalt läßt, ihm jede
Freude verschließt, und für dieses Entbehren bey weitem nicht entschädigt.«
»Sie mögen Recht haben,« fuhr
mein Nachbar fort, – »ich selbst mögte einmal wieder mit den Augen und dem
Gemüthe ein Schauspiel sehen, womit ich das erste sah. Zu dieser Stimmung
gelange ich nie wieder. – Aber was soll das Wort natürliche Zauberoper?«
»Ich weiß es nicht.«
»Vielleicht will man uns im
Voraus warnen, jenes Zauberspiel nicht für wirkliche Zauberey zu halten?«
»Möglich; dies würden Sie
aber, wie es scheint, übel nehmen, weil es den Vorwurf der Unaufgeklärtheit in
sich schließt.«
»Sie werden mir zutrauen, daß
ich damit scherzte, aber es giebt noch andere Rücksichten, warum ein Wort wie
dieses an der Schwelle des Heiligthums der Täuschung im hohen Gerade beleidigt,
denn – «
Die Ouverture begann mit
Kraft und Genialität; bald hob sich der Vorhang, der erste einleitende Akt war
vollendet. Herr Gern, dessen sonore Baßstimme von einem seltenen Umfange, und
einer noch seltnern Lieblichkeit und Anmuth begleitet ist, dergleichen uns noch
nie begegnete, leuchtete, der Absicht des Dichters gemäß, in diesem Akte
vorzüglich hervor. Das Spiel seiner Rolle muß den Dichter – er war Zuschauer –
entzückt haben, so streng, so behutsam hielt er sich in den Gränzen eines
gefälligen Scherzes, der von dem Anschein nicht einer Art von Plumpheit,
sondern mehr der Treuherzigkeit, die den Knappen eignet, begleitet war. Ich
habe nie eine Rolle mit dieser Schonung und Zartheit und gleichwohl in einigen
Momenten mit dieser Kraft dargestellt gesehen. – Herr Gern ist als Sänger
bewundert, und – was noch mehr gilt, bey einem Baßsänger, der leicht in
Verwundrung setzen kann – beliebt; aber dies alles umfaßt sein Verdienst nicht;
ein zarter Sinn für den Geist seiner Rolle, eine Buffonerie, die den Charakter
ehrt, und sich in bescheidnen, durch eignes Zartgefühl gesteckte Schranken
hält, die nirgend überladet, und – der Gallerie zu gefallen sich selbst nicht
mißfallen mögte, weil der innere Beyfall ihm mehr gilt, als das leere Getös von
der Höhe, sind die auszeichnenden Charakterzüge seines Spiels, und kündigen den
Mann an, der eben so wenig auf Kosten der Achtung seiner selbst als seiner
Kunst einen zweideutigen Beifall ärndten will. – Was das Spiel betrifft, hat
Herr Gern alles geleistet, und sein Gesang bedarf meines Lobes nicht.
Als der Vorhang gefallen war,
sagte mein Nachbar: »Natürlich genug wäre diese Zauberoper, wir wollen hoffen,
daß sie auch zauberisch sey, denn des natürlichen habe ich genug.«
»Und warum?« fuhr ich fort.
»Weil mir entweder zu viel
oder zu wenig natürliches angekündigt ist. Es ist überall so eine Sache mit dem
Ankündigen und Versprechen; wer nicht doppelt Wort halten kann – und wer kann
das neben dem Donauweibchen? – sollte gar nichts ankündigen oder versprechen. –
Hätte ich eine Oper ohne natürlichen oder magischen Apparat erwarten dürfen,
ich würde in Ruhe erwarten; nun nehmen mich aber diese beiden Beiwörter in die
Klemme, und ich weiß nicht, mit welchem ich es halten soll. Das natürliche ist
mir widerwärtig, weil ich das zauberische erwarten muß, und das zauberische,
weil ich es nicht dafür halten soll. – Die Musik wird das ihre thun müssen.«
»Haben Sie Geduld« –
erwiederte ich – »Sie werden ja sehen. Man thut überhaupt einem Schauspiel sehr
leicht Unrecht, wenn man es nach einzelnen Akten oder Scenen beurtheilt. Es mag
ein Ganzes bilden oder nicht, so muß der Beurtheiler es doch als ein solches
betrachten. Mag es dem Verfasser zu gute kommen, oder ihm den Stab brechen, das
gilt gleich. Wer giebt uns ein Recht die Gruppen einer malerischen Composition
auseinander zu reißen? daß die einzelnen Figuren eines raphaelischen Gemäldes
noch große Meisterwerke bleiben, daß eine shakespearsche Scene mehr Werth hat,
als manches ganze Schauspiel, rechtfertigt eine Operation nicht, welche nicht
ohne Gewaltsamkeit vorgenommen werden kann.«
»Der Vorhang geht auf, wir
wollen unsere Geduld üben,« sagte mein Nachbar, und das Stück fuhr fort.
Ich suchte meinen Nachbar zu
vermeiden, denn ungern lasse ich mir den augenblicklichen Genuß durch eine
zudringliche Kritik stören. Schlimm genug wenn das eigne kritische Gefühl
zuweilen unangenehm rege gemacht wird. Aber es giebt eine Art von Leuten, deren
Stolz das Besserwissen ist, die mit kritischen Brocken um sich her werfen
müssen, wenn ihnen wohl seyn soll. Sie gehn nicht in das Schauspiel um mit
unbefangenem Gemüth sich den Einwirkungen der Darstellung hinzugeben, sondern
um mit ihrer Ostentation den Umstehenden zur Last zu fallen.
Mag doch ein Stück heißen wie
es will, wenn es nur ist, was es seyn soll. So mögte die natürliche Zauberoper
auch Gnade finden – wenn es bloß ein Name wäre.
Aber, wozu soll die
Zerstörung des Werkes durch sich selbst? Warum sollen wir – mit Mühe
emporgehoben zu einem leisen Glauben an Zauberey, durch das Stück selbst schon
in die Wirklichkeit unangenehm zurückgeschleudert werden? Sie ist uns sicher
genug, sobald wir die geweihte Schwelle verlassen.
In einem prächtigen
transparent funkelnden Saale schließt das Schauspiel, die Feerey hat ihren
Gipfel erreicht, da kömmt der alte Onkle, und sagt uns, daß dies alles sein
Werk sey, daß er sich die Maschinen aus Welschland verschrieben, daß es ihm
viel Geld gekostet, und was dergleichen mehr ist. Die Onkles sind überall
gewöhnlich lästige Personagen, aber dieser ist es im höchsten Grade. Welche
eine Grille, den Ehemann seiner Nichte, denn es ist nicht der Liebhaber, in
Gefahren zu verwickeln, von der Gattin zu trennen, und unter Drohungen und
Beängstigungen zu martern, bloß um ihn zu prüfen, ob er der männliche Ritter
sey, dessen Ruhm das Gerücht auf breiten Flügeln überall umherträgt. Wenn die
alten Onkles, die gewöhnlich selbst Tendre für die schönen Nichten haben, die
Liebhaber derselben ein wenig quälen, so ist das in der Tagesordnung, aber für
die Ehe pflegen sie sonst doch etwas mehr Respekt zu zeigen. – Mögte indeß das
Sujet immer darauf beruhen, wenn es nur nicht eben dadurch wieder so gewaltsam
zerstört würde.
Es fehlt aber auch sonst noch
irgendwo diesem Stücke. Die Zauberey ist eben dadurch Zauberey, daß sie jedes
Verhältniß und jedes Gesetz der gewöhnlichen Ordnung umstürzt, sich ihre eigne
Natur und Welt schafft. Je kühner ihre Dichtungen sind, je widersprechender dem
gewöhnlichen Laufe der Dinge; um so mehr Wahrheit haben sie, um so verwegener
stehen sie da, um so trozziger setzt sich diese kühne Welt selbst, und erhält
um so mehr Existenz, je mehr sie im Wunderbaren mit sich selbst harmonirt, und
von der wirklichen sich unterscheidet.
Es ist nicht zu leugnen, daß
diesen Charakter gerade die tollkühnen Compositionen der Zauberflöte, der
Donaunymphe, der neuen Arkadier und anderer Ausgeburten der Donaugegenden,
haben, und daß sie eben dadurch gewaltsam die Menge anziehen, die deshalb
gerade nicht zu behohnlächeln wäre, daß sie sich davon anziehen läßt, wenn sie
sich dieses Grundes bewußt wäre. Sie handelt indeß nach einem Instinkt, wie die
Schikaneder nach dem Instinkt ihrer Caße. Mit Einsicht, Kunst und Genie hat
Gozzi Gegenstände dieser Art dargestellt, und auch er wußte, daß die grelle
Zeichnung und Farbe der komischen Parthie solcher Dichtungen, um so mehr das
Wunderbare hervorhebt, je verwegner sie zwischen diese Erhabenheit tritt, daß
eben auch dadurch die Fremdartigkeit dieser Welt gehoben wird.
Dem Dichter wird es um so
schwerer, sich in die Regellosigkeit und die Widersprüche der Compositionen in
diesem Geschmack zu finden, je mehr er gewohnt ist, dem regelrechten Gang des
Dramas zu folgen, je mehr jene Gattung selbst durch die Stümper, die sich dreist
darin als Meister brüsten, in eine Art von Verdacht gekommen ist. Allein – man
sage was man will – sie sind in der That Meister darin; obschon von ihnen mit
vollem Rechte gilt: »sie wissen nicht was sie thun.«
Daß Herr von Kotzebue, dessen
Dichtungen Mannigfaltigkeit, Reichthum und Kühnheit mehr als irgend eines
andern dramatischen Schriftstellers Werke auszeichnen, gerade der Mann für
diese Gattung des Zauberspiels wäre, daß er der deutsche Gozzi werden könnte,
darüber ist bey Unpartheiischen kein Zweifel. Warum er es bey diesem Stücke
nicht seyn wollte? darüber wagen wir keine Entscheidung. Vielleicht hielt er
sich zu streng an das – uns unbekannte – französische Original. Dies scheint
uns vorzüglich die komische Parthie zu verrathen, die mit zu vieler Scheu und
Mäßigung behandelt ist, welche, wie oben schon gesagt ward, der Schauspieler so
vortrefflich ausdrückte.
Es ist mehr das Urtheil des
ganzen Publikums, als eines Einzelnen, wenn wir in Hinsicht der Composition
sagen, daß die Zuhörer ihren genialischen und bewunderten Reichard, dessen
orphischen Tönen sie so froh entgegen kommen, in dieser Musik weder so
charakteristisch noch so reich als sonst wiederfanden. Das Schwanken des
Stückes selbst, dem ein festbestimmter Charakter fehlt, mogte das seine thun.
Zuweilen nähern sich die Melodien der Sanftheit und Natur, wie sie das
Liederspiel verlangt. Es bedarf indeß unserer Versicherung nicht, daß große
hervorleuchtende Stellen in dem Werke sind, und daß ein minder glücklich
ausgeführtes Werk dem Ruhm eines Mannes nicht Eintrag thun kann, dessen Brennus
jetzt alle ergötzt, erschüttert und begeistert.
Madame Schick zeigte sich wie
immer als die hohe Meisterin; ihrer Kunst und Kraft, so wie der rühmlichen und
glücklichen Anstrengung des Hr. Eunike hat das Stück sehr viel zu danken. Das
Publikum ist Herrn Eunike für seine Bemühung sehr verpflichtet.
Die Dekorationen, von der
Hand des Hr. Verona machten Effekt, und die Verwandlungen im letzten Akt hatten
die Plötzlichkeit, welche allein Täuschungen hervorbringen kann. Aber warum in
einem alten gothischen Schlosse ein griechisches Gewölbe? Ueberhaupt hat diese
Dekoration nicht das Schauderhafte, welches wir von einem Grabmaale erwarten.
Die letzte transparente Dekoration könnte, so sehr sie dem Auge schmeichelt, doch
geschmackvoller und bedeutender seyn.
Lz.
Nationaltheater: Zauberschloß, Das (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/23.
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