Eines der guten Schauspiele des Herrn Iffland, der in
der Mitte seiner Kräfte mit einemmal aufgehört hat, zu schreiben, oder seine
Schauspiele hier zu geben. - Warum? - / Dieses Schauspiel hat eine gute
kontrastirende richtige Charakteristik, und es verkehrt darin eine lebendige
Stimme für Menschenwohl und Rechte. So viel scheint der Verfasser gewollt zu
haben; und da wir von der Schaubühne genießen wollen, und die feinere
Würdigung dem hohen kalten Tribunal überlassen, welches richtet, ohne
genießen zu wollen, so lassen wir uns recht gern an dem genügen, was wir
empfangen haben. Es ist nun die Frage davon, wie haben wir das Stück
empfangen? Im Allgemeinen - recht gut und lobenswerth. Dem Ganzen fehlt die
Feuerkraft, welche zum Punkte hinreißt und stürmt. Es spielten zu viele für
sich, und schlossen zu wenig sich an die andern an. So sehr oft dies Stück
gegeben worden ist, so oft wird es jetzt vorzüglich deshalb besucht, um
Herrn Iffland und Mad. Unzelmann als Amtmann und Sophie zu sehen und zu
hören. Nicht leicht wird man Scenen sehen, worin die höhere komische Gewalt
so still und anspruchlos und reizend wird. Auch heute ward dem Zuschauer
dieser Genuß, doch minder für den sorgfältigen Beobachter als sonst.
Anspruchlos, wahr und gegenwärtig, mit origineller Umgebung in Ton und
Gebehrde entwarf Herr Iffland durch vier Akte sein Gemählde; allein im
fünften schwand allmählig die reine treue Wahrheit. Die Farben wurden grell,
die Haltung des Benehmens verlor alle Milde, der Charakter verzeichnete sich
unter den Händen des Schöpfers. Madame Unzelmann feiert in der Rolle Sophie
den Triumpf weiblichen Frohsinns und stets gehaltener Mädchenhaftigkeit.
Heute spielte sie ungleich. Ihre ersten Akte hatten etwas Uebergränzendes.
Sie gab mehr die heitere junge Frau als das fröhliche Mädchen. Vom dritten
Akt an hatte sie sich wiedergefunden und wirkte nun fort in hinreißender
Liebenswürdigkeit, wie sie alles kann, was sie will. Aber die
Brillantohrringe? - Einmal konnte das arme Mädchen, die doch nur wegen der
Schuld des Vaters an den Amtmann verhandelt werden soll, sich gutentheils
damit loskaufen. Dann muß man sie auch warnen, daß sie vor dem Vater sie
nicht sehen lasse. Der arge Spieler könnte sie wahrscheinlich einmal
versetzen wollen. - Die große Künstlerin wird nicht zürnen, daß man sich an
ihre Toilette wagt. Herr Iffland und Mad. Unzelmann können es nicht ungern
sehen, daß man ihnen genau folgt, und anzeigt, wo sie vom Weg abgehen. Wer
als Muster aufgestellt und anerkannt ist, kann selbst nur das Vollendete
stempeln wollen, und wird den leisesten Makel an Farbe oder Form für
Ausschuß erklären. Die wahren Künstler sind nicht so engherzig, Bemerkungen
nicht ertragen zu können, die aus reinem Kunstgefühl gesagt werden; nur die
halben Künstler dulden nicht, daß man sie fest ansehe.
Rath Wallmann, Herr Böheim. In dem Vortrage war Sicherheit, Folge und
Richtigkeit. Mangelte dem Ganzen ein gewisser Schimmer, so ging ihm doch
nicht die Wahrheit ab und der Fleiß. Die Räthin, Mad. Böheim. Sie hat den
Charakter richtig aufgefaßt, und mit Empfindung wieder gegeben; doch glich
diese einer augenblicklich aufgeregten Empfindung. Langer, tiefer,
unheilbarer Kummer giebt einen Leidensblick eine Haltung der Gestalt, der
Bewegungen, des Schrittes, welche sogleich von allen Uebrigen aussondert,
und die hoch Unglückliche von den Gequälten unterscheidet. Diese Ergebung,
diese Milde der Seele spricht sich in unnennbaren Kleinigkeiten still und
gewaltig aus, doch ohne Weinerlichkeit. Wesen solcher Art verlangen,
erwarten, hoffen und thun nur für andere; sich selbst bringen sie nirgend
mehr in Anspruch. Mad. Böheim leistete als Schauspielerin alles, was der
Zuschauer fordern kann, und verdiente dankbare Anerkennung. Der
Menschenkenner macht höhere Ansprüche, und diese wurden nicht erfüllt.
Sollte wohl die Kummergeweihte, die Mutter des erwachsenen Sohnes, ihre
Kleidung mit Rosenfarbe unterlegen? So etwas widerspricht auf den ersten
Anblick, wie der Trauerrand nicht zum Hochzeitliede passen würd. / Herr
Unzelmann, als Oberkommissair, rund und kräftig. In Gestalt, Kleidung und
Benehmen getreu und originell. Der Ernst ließ ihm wohl, das Lächeln, was er
erregt, war verständig bemessen. Aber die Feuerköpfe dieser Art haben
Momente einer inspirirten Herzensheftigkeit; sie treiben die Menschen mit
gezücktem Flammenschwert zum Glück hinan. - Diese poetische Darstellung des
Charakters ward nur manchmal angedeutet. Herr Mattausch, als Benfeld,
wendete auf diese unbedeutende Rolle den Fleiß, das Bestreben und die
Pünktlichkeit, welche er stets ausübt. Herr Bethmann, als Wallmann Sohn, gab
diese Rolle mit Bescheidenheit und Herzlichkéit. Bei dem ersten Auftreten
kömmt dieser Wallman von einer nächtlichen Streiferei aus Berg und Thal. Er
hätte immer noch so gekleidet seyn mögen, wie er von dieser Ausflucht der
Schwermuth herkommen kann. Herr Schwadke, als Morfeld, hat eine Rolle
übernommen, für welche er zu jung ist. Um so verdienstlicher ist das
gelungene Bestreben, dieser Rolle zu genügen und überall einzugreifen. Herr
Herdt, als Kanzlei-Direktor, bezeichnet den eignen Sinn des Mannes recht
brav; nur die tiefe Empfindung desselben gab er nicht genug. Wo diese
wallten sollte, war mehr ein mürrisches Wesen, als lange verschlossenes
Gefühl. - Demoiselle Döbbelin, als Jakobe, war vortrefflich und so wahr,
getreu und eigen, daß sie hie und da minder deutlich hätte mahlen können,
ohne der Wirkung ihres anerkannten Verdienstes zu schaden. Die Vorstellung
war so vortrefflich, daß man erwarten darf, sie werde einst vollkommen
seyn.
Rath Wallmann | Hr. Boeheim |
Die Raethin, seine Frau | Mad. Boeheim |
Anton, Advokat, |
Hr. Bethmann |
Sophie, ihre Kinder | Mad. Bethmann |
Kommissair Wallmann, des Raths
Bruder |
Hr. Unzelmann |
Sekretair Benfeld |
Hr. Mattausch |
Jungfer Jacobe Schmalheim, Erzieherin
der Wallmanschen Kinder |
Mad. Sebastiani |
Amtmann Riemen |
Iffland |
Morfeld, ein Reisender |
Hr. Bessel d. jüng. |
Praesident Darner |
Hr. Herdt |
Dessen Gaertner |
Hr. Berger |
Bediente des Praesidenten |
Hr. Benda. Hr. Ruethling |
Ein Bedienter des Raths |
Hr. Lattig |
Nationaltheater: Aussteuer, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/24.
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