So wie Schlegel Shakespeare
den Deutschen gegeben, hat er sich dadurch ein unzerstörbares Denkmal
errichtet. Mit inniger Kraft hat er den Geist des unsterblichen Dichters sich
eigen gemacht, unserer Sprache eine neue Gewalt verliehen, den künstlichen
Versbau mit melodischem Reitz ausgestattet. Alle Gestalten treten nicht bloß
deutlich und lebendig hervor, sondern, indem sie kräftig und ganz sich verkünden,
sind die feinsten Schattirungen unter dem sanftesten Schmelz, ein frisches
Leben athmend, besonnen, zart, und doch mit kühnem Sinne aufgetragen. Ein
reiner hoher Geist waltet über der ganzen Dichtung, und gebietet Achtung für
den Meister, der diesen Geist von sich ausgehen ließ! Schlegel hat Shakespeare
ganz wiedergegeben; Dank ihm, daß er das gethan hat: Die Lesewelt würde an
jeder verlornen Zeile einen Raub leiden. Ob aber Shakespeare’s Stücke auf
unsern Bühnen ganz erscheinen können und sollen, darüber verstattet der enge
Raum nur einige Bemerkungen. Ueberhaupt aber ist das eben so schwer zu
entscheiden, als die Frage: ob Shakespeare, wenn er jetzt mit dem Zwecke, daß
seine Werke aufgeführt werden, schreiben wollte, seinen Schauspielen denselben
Zuschnitt lassen würde, den sie wirklich haben? Ausgemacht ist es, daß diese
immerwährenden Veränderungen des Orts, diese Sprünge in der Zeitrechnung, die Häufung
der Mittel und Personen, die Imagination des Zuschauers unangenehm
unterbrechen.
Soll aber Hamlet ganz so wie
Shakespeare ihn hinterlassen hat, auf der jetzigen Bühne gegeben werden: so würden
einer solchen Vorstellung besondere Veranstaltungen vorausgehn müssen. Die Schauspieler würden theils ihre Darstellung in
einem weit erhöhteren Sinne, mit poetischem Gefühl und erhabenem Style geben müssen.
Die sogenannten untergeordneten Rollen müßten über die Verschiedenheit der
Charaktere wohl und faßlich unterrichtet werden, damit sie diese wahr und geläufig
geben lernten. Die Höflinge müßten sich von den ritterlichen Kriegern, diese
von den Trabanten und die Schauspieler wieder von allen Uebrigen genau und
merklich auszeichnen. Hamlets Getreue müßten überall in schwärmerischer Anhänglichkeit
an ihn und seine Sache mit der Förmlichkeit des alten Hofes abstechen. Wo
Hamlet erscheint, müßte der Zwiespalt am Hofe sichtbar werden, indem seine
Worte, seine Accente, Bewegung und Schritte – überall Beobachtung, hier Sorge,
dort Schadenfreude, anderwärts Flüstern und Deuten hervorbringen. Jedermann
sieht die lastende Gewitterwolke über dem Hofe, fühlt in dumpfer Schwüle die
nahe Entladung, und ist angstvoll gespannt, wo sie einschlagen werde.
Fremdheit, Feierlichkeit und Beklommenheit wachsen mit dem Fortgange der
Handlung, und drängen auf abentheuerliche Weise der Entwickelung zu. Die
Dekorationen, die Kleidung, das Benehmen müßte aus jener Zeit seyn, und nicht
leichthin genommen werden. Kein gepudertes Haar, kein Anzug, der zwischen dem
des Mittelalters und einem Ballhabit in der Mitte ist; keine Verneigungen und Gesten,
wie sie in unsern leichten Cirkeln üblich sind, kein verschliffener
Konversationsdialog. Gehalt in der Sprache, Mark im Tone, Welt in den Accenten,
Gedanken im Blick, tiefer Sinn auf der Stirn, gesparte Bedeutung in den
Bewegungen, Herrschaft im Schritt, Wahrheit und Anmuthigkeit in der Woge hoher
Ahnungen – dieser Geist muß über der Vorstellung eines solchen Werkes walten.
Jedermann, der kommt und geht, muß die Bedeutung seines Kommens und Gehens mit
sich bringen, und mit sich hinwegnehmen. Niemand muß bloß hersagen und erzählen;
er muß das sein und darstellen, was der Mensch ist, den er lebendig hinstellen
soll. Gewisse große Momente verbieten sogar die Accentuation, welche durch
diese nur kleinlich werden. Es giebt eine tragische Melodie von hoher Einfachheit.
Wenige aber verwandte Haupttöne, in feierlicher Bebung, wie Glockengeläut über
das Land tönt, und in jeder Brust allgemein empfunden wird, wirken und schaffen
in allen eine Gewalt. Dies alles ist nicht zu berechnen oder zu gebieten; wohl
aber kann sorgfältige Vorbereitung das hinwegräumen, was aus Mangel an
Veranstaltung während der Darstellung das Genie abtödtet und seine Blitze entkräftet.
Eine Vorstellung dieser Art fordert lange Vorübung, und mehrere Ruhetage vor
und nach der Aufführung. Sie würde daher ungewöhnlich große Kosten durch
Aufwand und Entsagung veranlassen, bis halb zwölf Uhr dauern, und es ist die
Frage: wie die Bühne für diese Verwendung, wie für den baaren Verlust entschädigt,
und wie das Publikum das Ganze aufnehmen würde. Wahrscheinlich müßte das große
Publikum eben so sorgfältig bereitet werden, zu empfangen, als die Schauspieler
tüchtig gemacht werden müßten, zu geben. – Die bestehende Einrichtung und ihr
Fortgang hat allerdings wohl diese sämmtlichen Vorbereitungen nicht zugelassen,
da sie vermißt wurden. Die Vorstellung des Hamlet hat kein Ideal erfüllt, hat
es nicht erfüllen können. Deshalb ist auch von der Vorstellung, wie sie nun
war, weiter nichts zu sagen. – Nur soviel, als von jeder Vorstellung in der Kürze
zu sagen ist. Herr Beschort hatte mehrere verdienstliche Momente, um so
verdienstlicher, da er zum Theil gräßlich umgeben ist. Mad. Unzelmann versagte
den frühern Scenen ihren Antheil, leistete die Scenen des Wahnsinns wie eine
große Künstlerin, und wenn sie Wahnsinn der Heroin statt des Wahnsinns des
liebekranken Mädchens, der durch den Mord des Vaters mit gebrochenem Herzen
verwaisten Tochter gewählt hat: so kann die Künstlerin, welche zugleich Nina
ist, vollwichtige Gründe haben, weshalb sie diese Scheidewand bestimmt. Die
Herren Schwadke, Kaselitz und Bethmann bewiesen Ernst. Herr Unzelmann gute
Laune; Herr Herdt Pünktlichkeit. Die Uebrigen thaten das ihrige als
wohlgesinnte Dienstmänner, ohne Vernachlässigungen aber außer aller Verbindung.
Herr Berger wollte das Zusammengeflickte seines Hader-Königs ausbessern. Man
sehnt sich dennoch nach einem andern Herrscher; indeß muß man bemerken, daß er
verbessern wollte. Der Dichter und das Parterre haben diesen Monarchen zu sehr
Preis gegeben, und jeder, der das Unglück hat, mit der Krone im Schnappsack so
oft vor dem Auge der Versammlung herumspatziren zu müssen, wird dessen üble
Laune erregen, wenn er auch besser regiert als Herr Berger. Dieser hat nun
wirklich die lauten Ermahnungen des Publikums dazu benutzt, diese Rolle gut zu
lernen. – Der plötzliche Tod beider Majestäten erregte eine mäßige Bewegung der
anwesenden Leibwache, Hamlets Dahinsinken aber vollends kein Lebenszeichen, es
müßte denn religiöses Nachdenken über die Nichtigkeit der Dinge obgewaltet
haben. – Die Erscheinung des neuen Regenten Fortinbras ward ohne weiteres
Umsichsehen angenommen. Dies kann man den Schauspielern so wenig als dem Herrn
Grafen in der Komödie aus dem Stegereife übel nehmen, denn sie wissen, wie
jener: »daß alles nur Spaß ist.« Auch ward es spät, und sie mochten wohl die
Leute nicht länger aufhalten. Der junge Oßrick, als ihm aufgetragen wurde, die
Trauermusik erschallen zu lassen, ging, um ehrlich zu bestellen, dahin, von wo
ab man nachher die Musik nicht hört; – es war der Weg nach Hause! – Nur Herr
Kaselitz, als Gustav, sprach nach Hamlets Tode herzlich und Herr Bethmann mit
Antheil, obgleich bei weitem nicht genug ergriffen von dem Schauermahle, was
der Tod sich unter diesen Königen bereitet hatte. – Er sagt: »vier Hauptleute
sollen ihn auf das Trauergerüste tragen.« – Was geschieht? – Die Hauptleute
bleiben unbeweglich; keiner reicht seine Hand dem geehrten Todten. – Vier
Lakaien packen ihn auf, und alle übrige treten den Marsch kalt und gefaßt an. –
Jedermann ist von Bedeutung, der im Hamlet erscheint. Die Bühne – wie jedes
Verhältniß – hat der Personen von Bedeutung wenig. Daher eine Bearbeitung
Shakespeare’s auf die Bühne, nicht den ganzen Shakespeare. – Möchte Schlegel
dieses Werk unternehmen!!
Es ist schwer, irgend einen
nur halb scheinbaren Grund aufzufinden, warum man dem Publikum das treffliche
Stück dadurch verleidet, daß man es in seiner längst veralteten Gestalt giebt,
mit allen seinen Auswüchsen und Plattheiten. Selbst auf dem Englischen Theater
werden diese schon weggelassen: wie kann man es einem Deutschen Publikum
zumuthen, sich damit zu unterhalten? Wollte man recht einleuchtend machen, wie
lächerlich jene Manie ist, die selbst wo Shakespear gähnt, einen witzigen
Einfall darin sieht, selbst seine oft so flachen Wortspielereien für göttlich hält:
so hätte man es mit ein Paar Vorstellungen sollen genug sein lassen, und dann
zu der alten Schröderschen Bearbeitung zurückkehren, allenfalls mit
Beibehaltung der Worte einer neuern Uebersetzung: aber das Publikum nun beständig
mit der altfränkischen, unausstehlichen From zu behelligen, ist unrecht.
Die Darstellung war
meistentheils unausstehlich. Madame Unzelmann allein that, als Ophelia, ihrer
Rolle Genüge; sie war, besonders in der Scene des Wahnsinnes, bewundernswürdig.
Der Charakter des Hamlet dagegen wurde durchaus verfehlt. Der sonst sehr
verdienstvolle Künstler, der ihn spielte, ließ nicht eine Spur von dem Tiefsinn
sehn, den Hamlets ganzes Aeußere verrathen und der seinem Erscheinen in den
meisten Scenen etwas Feierliches, – nichts von der wilden Heftigkeit, die ihm
in den leidenschaftlichen Momenten, das Ansehen eines Begeisterten geben muß.
Der Schauspieler kam fast nicht aus dem Conversationstone und sprach nur
zuweilen etwas hitzig. Ihm scheint die Energie, die diese Rolle fordert, zu
fehlen. Von den übrigen Personen ist es am besten gar nicht zu sprechen: alle
schienen gleichsam zu Boden gedrückt, von der Abentheuerlichkeit der Aufgabe,
die ihnen gemacht war. Das verdient indeß mit Dank bemerkt zu werden, daß
Madame Böheim diesmal die Königin mit größerer Natürlichkeit spielte, als sie
sonst Rollen der Art zu machen pflegte.
Was die Uebersetzung des Shakespeare
betrift, nach welcher hier Hamlet gespielt wird: sie hat das zweideutige
Verdienst mit einer précision flamande alles das beibehalten zu haben, was frühere
Uebersetzer von feinerem und richtigerm Geschmack zu übertragen verschmähten.
Wieland und Eschenburg gaben sich nicht die Mühe, an müßigen Wortspielen und
frostigen Anspielungen auf längst vergeßne Dinge, durch die der Genuß der
erhabenen, genialischen Züge in den Shakespearschen Werken so oft gestört wird,
künsteln zu wollen: sie schnitten sie weg. Der neuere Uebersetzer fühlte sich
gerade von diesen Sächelchen am meisten angezogen, fand für seine Talente in
ihnen den angemessensten Uebungsplatz, schnitzelte con amore an ihrer
Nachbildung, und – und erwarb sich eine Art von Uebersetzerruhm dadurch. Er ist
gewohnt, wohlfeil einzukaufen. Nennt man ihn doch wohl gar wegen der poetischen
Bouquets, die er sich aus Dichtern zusammenlas, selbst hier und dort einen
Dichter, obgleich er schwerlich mehr Verdienste dabei hat, als das eines
literarischen Sträußermädchens.
R.
Nationaltheater: Hamlet (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/257.
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