Seit seinem ersten litterarischen Auftreten, hatte
dieser Dichter das Schicksal aller ausgezeichneten Köpfe, von einer Menge
witziger, unwitziger und aberwitziger Feide verfolgt, geschmäht, verlästert zu
werden. Bald grif man seine Talente und Werke an; bald sogar seinen moralischen
Charakter an. Er hat sich durch das Erste nicht abschrecken lassen, seine
Laufbahn muthig fortzusetzen und auf ihr immer glänzendere Erfolge errungen; er
hat das Letzte oft sehr schmerzhaft bestraft. Jetzt endlich scheint die Zeit
seines vollendeten Sieges gekommen zu seyn. Seine heimtückischen Lästerer sind
auf eine Weise widerlegt, die keine Antwort erlaubt; sein Genie hat sich in
einem Werke ganz entfaltet, das ihm den ersten Platz unter Deutschlands
wirklich dramatischen Dichtern,
wenigstens bei der Nachwelt ohne Widerspruch, zusichert. Nun endlich wird doch
– Er kann den Erfolg ruhig erwarten.
Unsere Bühne hat kein Stück das seiner ganzen
Beschaffenheit nach, den dramatischen Meisterwerken der Alten so nahe verwandt
wäre, als dieses, ohne daß es eine Nachahmung derselben ist. Sein Stoff wurde,
wie der ihrige, mit genialischem Geiste aus der Geschichte, seine Behandlung
aus der Natur aufgefaßt. Es hat wie sie, keine verwickelte Handlung, sondern
zeigt uns eine ganz einfache Begebenheit, die durch eine Reihe bloß fürs
verständige Gefühl berechneter Vorgänge, ergreifet, rührt, veredelnd erhebt.
Wie in ihnen, sind nicht die Schilderung irgend eines Zeitalters, oder die
psychologische Entwickelung eines Charakters, oder rhetorisch-poetische
Gemälde, die Hauptsache, sondern alles ist der großen, rührenden Begebenheit
selbst, untergeordnet. Selbst in der Form steht es ihnen sehr nahe, indem es in
den erschüttendsten Momenten, das lyrische Gespräch in Gesang übergehen läßt: –
nicht der erste Versuch die Chöre der Alten nachzubilden, aber unstreitig der gelungenste.
–
Mitten im Schooße des Friedensgenusses wurde Naumburg
im Jahre 1432 von einem Hussiten-Heere umringt, das der Stadt Vertilgung
ankündigte. Da alle Versuche, auch nur eine Unterhandlung anzuknüpfen,
fehlschlugen, schickten die Einwohner ihre Kinder in Leichenkitteln zu den
Feinden hinaus, und sie erflehten der Stadt Verschonung. Das ist der ganze
Inhalt des Stückes. Wie fing der Dichter es an, aus ihm ein dramatisches
Kunstwerk zu machen? Ein Vater von 8 Kindern war der Urheber jenes Versuches;
Sein Kampf mit sich selbst, noch mehr mit der zärtlichen Mutter, um den Versuch
nur wagen zu dürfen; mit der Wildheit der Feinde, um ihn gelingen zu lassen:
das ist die Haupthandlung des Stückes. Die einzelnen Scenen, und die
meisterhaften Züge aufzählen zu wollen, durch welche diese so kräftiges Leben,
so erschütternde Wahrheit gewannen, – wäre für diejenigen, die der Darstellung
beiwohnten, überflüssig, für andere – todtes Geschwätz.
Man hat in jenem Vater einen zweiten Regulus finden
wollen. Regulus erstickt alles Gefühl, um dem Anspruche seines Verstandes zu
folgen. Jener wird bloß durch sein hohes lebhaftes Gefühl begeistert, alles zu
wagen, um alles zu retten. Regulus opfert mit erhabener Resignation; jener will
nichts, gar nichts verlohren wissen, darum wagt
er. Freilich retten beide, jener die Vaterstadt, dieser das Vaterland, aber sie
deswegen auch nur für ähnlich zu halten, heißt mit der lustigen Person eines
französischen Romans, alle Menschen die eine große Nase haben, für Brüder ansehn.
Nicht uninteressant muß dem vaterländisch-gesinnten
Publikum die Nachricht sein, daß der hochherzige Viertelsmeister Wolf und seine
acht Kinder, die er nur mit seinem Leben verlieren mag und doch mit diesem, für
das Ganze so erhaben wagt, nicht Fiktion des Dichters ist. Dieser schlichte,
große Mann, der eine lange Reihe von Jahren hindurch anspruchslos und
unbeachtet zubrachte, ohne selbst seine Kraft zu ahnen, und plötzlich, im
Augenblicke der dringenden Gefahr, sich in der ganzen Hoheit seiner Seele
erhob, und die Vaterstadt vor dem Untergang schirmte: er hat wirklich gelebt,
wirklich so gehandelt. Die Geschichte der Reichsstädte, vorzüglich die von
Frankfurt, Lübeck und Hamburg, ist reich an ähnlichen Charakteren und Vorgängen.
Warum haben unsere wahren Dichter sie noch so wenig benutzt? – Der Dialog
dieses Stücks ist in Versen geschrieben. Unter allen deutschen Schauspielen,
bei denen dieses der Fall ist, läßt es sich in diesem am meisten entschuldigen, da es durchaus nur für das
sinnvolle Gefühl berechnet ist, da diese Verse leicht und fließend sind, und da
auch die Musik zur Erhöhung seiner Wirkung angewandt wird. Der Dichter hat
übrigens mit der strengsten Sorgfalt über sich gewacht, keine müßige Gemälde
und rhetorische Floskeln zu geben, ein Fehler zu dem Verse so leicht verführen.
Die Reime aber, die zuweilen vorschallen, nicht unangenehm zu finden, dazu gehört
eine parteiische Vorliebe für sie.
Stellen aus dem Stücke mitzutheilen, enthält sich der
Verfasser dieses Aufsatzes, ob er gleich das Manuskript vor sich hat. Wer von
dem Werth eines Kunstwerkes, dessen Verdienst und Schönheit vorzüglich in der
künstlerischen Zusammenstimmung und Einheit des Ganzen liegt, durch einzelne
Reden einen Begrif geben will, ahmt, wie jemand sehr richtig sagte, jenem
Böotier nach, der sein Haus verkaufen wollte, und einen Stein davon, als Probe,
auf den Markt trug.
Iffland spielte den Viertelsmeister Wolf. Er zeigte
sich dem Publikum in einem Fache, in welchem es ihn noch nicht gesehen hatte,
so groß, als er in jedem andern ist, das er wählte, – vielleicht größer, als in irgend einem. Die hohe
Aufgabe, die ihm dieser vom Dichter meisterhaft durchgeführte Charakter machte,
war, erhabnen Heroismus mit der schlichtesten Einfalt und dem weichsten Gefühl
zu verbinden, selbst jenen aus diesem hervorgehen zu lassen. Wolf ist ein
rüstiger Mann, von offenem Sinn und hohem Lebensmuth, der auf gleiche Weise in
jedem Augenblick die kleinste und die höchste Pflicht zu erfüllen bereit ist,
ohne mit sich über die Beschaffenheit der That zu räsonniren, bloß weil sein
Gefühl ihm sagt: „hier ist dieses zu
thun, und du hast Kraft dazu.“ Bei
jedem Anlaße, in jeder Lage weiß er das Beste zu treffen und es kräftig
durchzuführen. Selbst vor Schmerz weinend, führt er seine Gattin durch
scheinbares Nachgeben dahin, in das zu willigen, was die Vernunft gebietet; – und im Augenblick der gespanntesten Kraft, da
er vor Procopius, für seine Vaterstadt und seine Kinder rechtend steht, verräth
sein Benehmen zugleich das zarteste Gefühl. Mit unaussprechlicher Wahrheit und
Schönheit stellte Iffland diese Mischung von Heldenmuth und reicher Empfindung,
dar. Der Ton, der bloße Ton mit dem er „Bertha!“ rief, als seine Gattin vor ihm
auf den Knien lag und darum flehte, nur eines ihrer acht Kinder zurückbehalten
zu dürfen, erschütterte tief und wunderbar schön war der mit Demuth, Vaterstolz
und inniger Vaterliebe vermischte Trotz, mit dem er, als seine Söhne aus dem
Haufen hervorstürzen, um ihn vor Procops Schwerdt zu schützen, diesem zuruft:
„Jetzt tödte mir die Knaben, wenn du kannst!“
Diesen
Ton lehrte nicht die Kunst: der Künstler war
in dem Augenblicke, was er darstellte.
Auch Madam Meyer als seine Gattin, spielte und sprach
unübertreflich, vorzüglich in der Scene, in welcher sie mit Wolf voll
mütterlicher Verzweiflung um ihre Kinder streitet. Sie hat in dieser eine lange
Stufenfolge von Gefühlen, durch Ton und Miene zu malen, und sie verfehlte
keines, stellte jedes mit der höchsten Treue dar. Hier und dort hätte ihr Spiel
vielleicht rascher seyn sollen, doch das ist eine Kleinigkeit.
Auch Herr Herdt als Burgemeister, H. Bethmann als erster
Rathsherr, H. Mattausch als Procopius, spielten ihre kurzen Rollen sehr brav. –
Selbst das verdient vom Publikum mit warmem Dank anerkannt zu werden, daß alle
Schauspielerinnen, von der ausgezeichnetesten, vollendetesten Künstlerin bis zu
der jüngsten Anfängerin, sich so willig dazu verstanden hatten, die
meistentheils ganz stummen Nebenrollen zu übernehmen und so in jeder Rücksicht
dem Publikum alles Reitzende und Schöne und Treffliche der hiesigen Bühne
beisammen zu zeigen.
Die Musik, die das Stück verschönt, ist von acht
verschiedenen Componisten. Vorzüglich hinreißend sind die Ouvertüre von Weber,
die Musik des ersten Chores von demselben und die des lezten von Vogler.
Das Stück wirkte so lebhaft, als es zu wirken
verdiente. In jeder wichtigern Scene wurde der Beifall und die Rührung des
Publikums laut. Indeß fanden sich etwa ein Dutzend Stimmen, die bei jedem
ausbrechenden Beifall durch ein lautest St! Stille geboten. Man behauptet, das
seien die Glieder einer nur zu bekannten Partei gewesen, und wundert sich über
die zu gutmüthige Bereitwilligkeit des Publikums, sich durch vorlaute
Unverschämtheit imponiren, und die Aeußerungen seines gerechten Gefühls
verbieten zu lassen.
R.
Hr. Brockmann spielte den
Viertelsmeister Wolf. Es ist dieses Stück mit vielem Witz travestirt und in
der Nähe oft gegeben worden; dem ohngeachtet war nirgend ein Lächeln zu
hören, noch wirkte irgend eine Scene oder nur eine Stelle minder als sonst.
Das heilige Naturgefühl ist mit Kraft und Würde geschildert; ihm flossen
heut, wie früher wohlthätige Thränen, und dankten dem Verfasser für sein
herrliches Werk! Hr. Brockmann stellt den Bürger, den Vater, den
freundlichen Nachbar, den herzlichen Mann aus dem geringern Stande, dem das
treue Gefühl für alle Weisheit gilt, sehr kräftig dar, und nie ist er auch
nur einen Augenblick von der Linie gewichen, die zu diesem Zweck führt. Eine
rührende Herzlichkeit und edle Einfachheit war über das Ganze verbreitet und
belebt in mannichfaltigen Zügen das schöne Gemälde. Herr Iffland nimmt diese
Rolle um etliche Jahre jünger, und es scheint bei ihm, als ob der
Viertelsmeister aus seinem Verkehr mit der Zunft der Meistersänger, eine
Gattung Liederlaune, eine gewisse fröhliche Keckheit in das Leben mit
herüber brächte, wovon auch in den herzlichen ernsten Augenblicken ein
Anstrich bleibt. Für die letztere Darstellungsweise läßt sich Manches
anführen, die erstere dürfte aber doch die richtigere Weise seyn. In jeder
von beiden erfreut der Künstler, man sieht beide mit regem Antheil. Die
allgemeine Stimme vereinigte sich fröhlich zu der Ehrenbezeugung, Hern.
Brockmann durch das Herausrufen für sein schönes seelenvolles Spiel zu
danken. Hr. Brockmann erwiderte diesen Antheil in der Sprache wahrer
Empfindung und mit der schönen Bescheidenheit, die den entschiedenen großen
Künstler bezeichnet. Heute hatte Mad. Meyer wieder die Rolle der Bertha
übernommen, und gab sie mit Frauenwürde und hinreißender Innigkeit.
Nationaltheater: Hussiten, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/269.
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