Den 30. November zum erstenmal, und am 5. Dezember wiederholt: Fridolin, Schauspiel in fünf Akten von Holbein. / Der Verfasser hat den Einfall gehabt, aus Schillers bekannter Ballade: der Gang nach dem Eisenhammer, deren größter Reiz aus dem schwärmerisch-frommen Hauch entspringt, der sich über das zarte Wechselverhältnis der Zuneigung eines guten schuldlosen Jünglings zu seiner dankbaren Gebieterin verbreitet, ein drastisches Drama zu verfertigen, und die günstigste Aufnahme die sein Versuch bei dem Publikum gefunden hat, entscheidet praktisch dafür, daß er ihm nicht ganz mißlungen ist. Wenn gleich dieser Beifall größtentheils der im Ganzen vortreflichen Darstellung gelten muß, so erregt doch das Stück selbst, trotz seiner Mängel, vortheilhafte Erwartungen für künftige dramatische Arbeiten des Verfassers, der dieses Fach erst seit Kurzem bearbeitet. / Daß der einfache Stoff einer rührenden Ballade, außer genauerer Entwicklung der Charaktere und Verhältnisse, nur durch Zusätze sich zu einer dramatischen Bearbeitung in fünf Akten eignete, liegt in der Natur der Sache, und den Gebrauch dieser Freiheit hat nicht bloße Willkühr geleitet. Natürlicherweise mußte, in einem Schauspiel, Fridolin eine Geliebte erhalten, und zweckmäßig genug ist hiezu eine junge Verwandte seines Gebieters gewählt, dessen Einwilligung Fridolin, in seinem Verhältniß als Knappe, nicht zu hoffen wagt. Daß dessen unerachtet die Gräfin Vertraute dieser Liebenden ist, kann zwar nur für verzeihliche weibliche Schwäche gelten, die Reinheit ihres Verhältnisses zu Fridolin aber wird dadurch dem Zuschauer außer Zweifel gesetzt, und giebt diesem freundschaftlichen Kleeblatt ein für sich bestehendes Interesse. Daß der Graf von Saverne von dieser Liebe keine Ahnung hat, ist unwahrscheinlich, obgleich zur Rechtfertigung der Eifersucht gegen seine Gemahlin und Fridolin nothwendig. Der Charakter des Grafen und die Motivirung seiner barbarischen Rachsucht ist aber von Schillern in zwei Worten bestimmter dargestellt, als es dem Verfasser des Schauspiels in all seinen Tiraden gelungen ist. Dort nemlich ist er ein Ungläubiger an weiblicher Tugend, dessen, durch schlaue Verläumdung gewecktes Mißtrauen aber durch Stolz überwältigt, und in Erbitterung gegen den Vermessenen verwandelt wird, dem er den Anschlag gegen seine Ehre zutraut. Die Beibehaltung dieser Grundzüge, und die Entwickelung des innern Kampfs von Argwohn und Stolz, würde sicher den Charakter des Grafen und sein Verhältniß mit dem boshaften Burgvogt achtungswürdiger erhalten haben, als die unbegreifliche Leichtgläubigkeit, mit welcher der Verfasser ihn sich den frechen Verläumdungen des Burgvogts preis geben, bis zu unmenschlicher Wuth verleiten, und nachher, mit gleicher Schwäche, augenblicklich, von der Unschuld seines Opfers überzeugen läßt. Robert, der Burgvogt, hätte dann freilich auch nicht der plumpe Bösewicht bleiben können, der er jetzt ist; durch feinere Behandlung als Heuchler, würde aber auch dieser Charakter an Wahrscheinlichkeit und Kunstwerth gewonnen haben. Der Verfasser hat sich, bei seiner Schilderung, offenbar im Gebrauch starker Farben gefallen, und ihre Nüancirung ist das Verdienst der darstellenden Künstler, die manche mangelhafte Züge seines Gemäldes ergänzten. Unter diesen ragt Herr Iffland, als Graf von Saverne, durch den wahrhaften Ausdruck des innern Kampfs eifersüchtiger Wuth, und der nachfolgenden eben so schmerzhaften Reue, so imponirend hervor, daß niemand in Versuchung geräth, nach hinreichenden Motiven der Leidenschaften zu forschen, deren Wirklichkeit man in Sprache, Blick und Geberde so überzeugend vor Augen sieht. Die fromme Seelenruhe der Gräfin, im Spiel der Madame Bethmann, ihre duldende Hingebung, ihre Theilnahme an Fridolin und seiner Geliebten, liefern zu jenem Sturm der Gefühle einen rührenden Contrast, der durch das interessante Verhältniß der beiden Liebenden und dessen sehr verdienstliche Darstellung durch Herrn Bethmann und Dlle. Maas vollendet wird. Herr Bessel der Sohn dürfte freilich, trotz seiner grell gezeichneten Rolle, den Bösewicht nicht so offen zur Schau tragen, wenn er auf Consequenz Rücksicht nehmen, und Rudolphs Charakter nicht blos gehässig machen wollte; das Letztere aber gelingt ihm in hohem Grad. Herr Kaselitz als Felseck stellt den rauhen biedern Ritter sehr charakteristisch dar, und von dem übrigen, minder wirksamen Personal, verdient Herr Gern d. S. als Stoffel, durch humoristische Darstellung eines Dümmlings, die seine Anlagen zum Comiker Ehre macht, vorzügliche Erwähnung. / Der ersten Vorstellung dieses Schauspiels folgte übrigens noch das Liederspiel: Kunst und Liebe, mit Melodien vom Herrn Capellmeister Reichardt, welches eine Kleinigkeit ist, die nicht auf besondern Beifall Anspruch machen, aber eben so wenig mißfallen kann, da man für den Mangel an Handlung durch eine Reihe sehr gefälliger Lieder und die reizende Decoration einer schweizerischen Gebürgs Gegend schadlos gehalten wird. / - x -
Der Beifall des Publikums am
heutigen Abend galt offenbar der Darstellung, nicht den Stücken. Herr Iffland,
Madam Bethmann wurden hervorgerufen, Herr Kaselitz bei der Ankündigung des
morgenden Schauspiels dankbar empfangen. Die Ouverture, selbst die Dekorationen
erhielten Beifall. Das Publikum war gerecht. Es pries, was zu preisen war, das
richtige, einstimmende Spiel der Künstler, die Anordnung des Ganzen, (die nur
einmal durch einen Mißgriff in der Dekoration gestört wurde) u.s.w. Es tadelte
aber auch, was zu tadeln war: die großen Fehler beider Stücke; die Schwäche des
ersten, die Kälte des zweiten. Bei allen angewandten Hebeln der zum Theil so
abgenutzten dramatischen Kraftmittel, erhebt sich Fridolin nicht über das
Mittelmäßige. Dabei ist er aus Reminiszenzen zusammengesetzt. Er erinnert bald
an Othello, bald an Lear, bald an Hamlet, bald an Beaumarchais, bald an
Faublas. Den schönsten Zug, der in Schillers Ballade liegt, den Ausdruck der Frömmigkeit
in Fridolins und der Gräfin Charakter, hat das Stück fast gar nicht. Herr und
Mad. Bethmann mußten ihn hineinlegen. Er allein hätte dem Ganzen Werth und
Originalität geben können. Die alten Sitten sind dargestellt, aber in ihrer
rauhen, ungefälligen Treue. Daß Fridolin den Burgvogt umstößt, daß des Grafen
Gast und Freund, daß Fridolins Freund, im Augenblick, wo er dessen grausamen
Tod erfährt, – trinken kann, ist empörend und unnatürlich. (Wie sehr dieser
Umstand die schönste Scene im ganzen Drama verunstaltet, bewies ein unwillkührliches
Gemurmel im Parterre.) Daß der Graf keinen Aufschluß bei seiner Gemahlin sucht;
daß Luitgard, statt des Feuertodes ihres Geliebten, den Wassertod wählt; daß
die Eisenschmelzer so ganz unbedeutend sind, so ganz außerhalb des Stückes
liegen und liegen bleiben, sind zwar große, aber in Vergleichung mit dem
Uebrigen, nur kleinere Fehler. Und nun? durch welche Shakespearesche Schönheiten
werden sie erkauft? Was ist Fridolin anders als ein dialogisierter Roman,
dessen Inhalt man immer voraus liest? Ist die Eifersucht des Grafen gehörig
abgestuft? Seine Reue im 4ten Akt, seine Angst, sein Verzweifeln an Rettung ist
schön: gehört aber Herrn Iffland mehr als dem Verfasser. Was ist aber der ganze
5te Akt? Der Zuschauer durfte freilich des Burgvogts Tod nicht von dem Grafen
erfahren; Fridolin mußte überraschen. Wie nüchtern fällt aber, aus diesem
Grunde, die Scene mit dem Huthe aus!
Wie verschwindet der Burgvogt, ohne daß Nemesis seine
Strafe auf der Bühne verbereite! Uebrigens hat Herr Bessel diese Rolle sehr gut
an Sprache und Gebehrde ausgeführt. Fridolin ist in Jamben, zwar rein und fließend,
aber oberflächlich geschrieben. Bei einer der folgenden Vorstellungen wollen
wir den (aus Schillers Gedichten I. Th. den meisten gewiß schon im Allgemeinen
bekannten) Inhalt nachholen.
Fridolin (Hr. Bethmann) hat dem Grafen Rudolph von Sabern (Hrn. Iffland) das
Leben gerettet, wird von ihm und der Gräfin Helene (Mad. Bethmann) als
Pflegesohn gehalten, liebt insgeheim Luitgard (Dlle. Maas), eine junge
Verwandte der Gräfin, und wird von ihr geliebt, wagt es aber nicht, bei
seinem geringen Stande, um sie anzuhalten. Robert, der Burgvogt (Hr. Bessel
der Jüngere), sein Nebenbuhler, will ihn von der Seite schaffen, und bringt
den Grafen auf den Verdacht, Fridolin liebe die Gräfin. Vergebens sucht
Felseck (Hr. Kaselitz), ein Ritter und Gastfreund des Grafen, ihn zu heilen,
und erhält es mit Mühe von ihm, daß er sich mit seiner Gattin erkläre. Wie
er zu ihr ins Zimmer treten will, lag eben Fridolin, dem die Gräfin
Luitgarden zur Frau zugestanden hatte, dankbar zu ihren Füßen. Der Graf hört
abgebrochene Worte, sieht, daß Helene dem Jüngling ihre Kette anbietet, und
zieht sich unbemerkt und wüthend zurück. Statt der Kette hat sich Fridolin
das Tuch der Gräfin ausgebeten, und trägt es auf seinem Herzen. Der Burgvogt
entdeckt es, will es ihm mit Gewalt abnehmen, u. wird von ihm gemißhandelt.
Er führt Klage bei dem Grafen, erwähnt des Tuches, und facht die Eifersucht
zu lichten Flammen an. Rudolph, seiner unbewußt, schwankt nach dem nahen
Eisenhammer. Hier, beim Pochen des Metalls, fällt ihm der grausame Gedanke
ein: Fridolin soll sterben. Er befiehlt seinen Leuten, den ersten, der sie
fragen wird, ob der Befehl des Herrn vollendet sey, in den glühenden Ofen zu
stürzen; kehrt zu seiner Gemahlin zurück, findet Fridolin und Felseck bei
ihr, das Tuch bei ihm, zerreißt es, giebt es ihm mit den Worten wieder:
Behalt es bis ins Grab! giebt ihm den bewußten Auftrag, und eilt davon.
Seiner Gewohnheit nach, frägt dieser nach den Befehlen der Gräfin. Es läutet
eben zur Vesper: sie giebt ihm auf, in der Kirche, wo er vorbei muß, für
sich und sie zu beten. Inzwischen hat Felseck vom Grafen alles erfahren,
seinen Verdacht, seine Rache: alles klärt sich auf. Der reuende Graf
verzweifelt, ihm scheint jede Hülfe zu spät. Alles eilt zum Eisenhammer. Der
Burgvogt fliegt voraus, um Eifer zu heucheln. Luitgard befrägt die Arbeiter,
erfährt die Vollführung der That (sie hatten den von ungefähr das vom Grafen
Vorgeschriebene Fragenden in die Flammen geworfen), findet (wie sie glaubt)
Fridolins Huth, und stürzt sich in den Bach. Felseck ihr nach, um sie zu
retten. Der Graf war mit dem Pferde gestürzt. Felseck läßt die leblose
Luitgard zurückbringen, hat über den zweiten Unfall den ersten vergessen,
und weiß von Fridolin nichts. Ein unbekannter Ritter erscheint, Fridolins
Vater, erfährt aus dem Munde des Grafen, was geschehen, zieht das Schwert
gegen Felseck, der seinen gelähmten Freund vertritt. In diesem Augenblick
fällt ihm Fridolin in die Arme, und löset den Knoten. Die wiederaufgelebte
Luitgard wird sein. So viel vom Inhalt des Stücks. Wer Schillers Ballade
nicht kennt, findet sich nicht aus dem Verschwinden des Burgvogts, lernt nur
spät und unvollständig aus Fridolins Bericht, den noch dazu das Geräusch der
Hin- und Hergehenden unterbricht, den Hergang der Sache, die Strafe des
Schuldigen und - die Geschichte mit dem Huthe. Doch dieser Fehler im
Schauspiel ist schon bemerkt worden. In der zweiten Vorstellung wurde die
Unnatürlichkeit beim Trinken sehr gemildert. Der dritte und vierte Akt
enthält treffende Situationen und wirkliche Schönheiten. Im ersten und
zweiten schleicht die Handlung zu langsam. Der fünfte wird durch den Mangel
an Nachrichten, durch das Abgehen der Gräfin, ja selbst durch die Ankunft
des Unbekanten schleppend, und rückt, bis auf die letzte Scene, so wenig,
als der gelähmte Graf, vom Flecke. Ganz außer dem Bezirke des Stücks liegt
Felsecks Vorsatz, den Grafen zu verlassen. Noch war ja Fridolins, noch war
Luitgards Schicksal nicht entschieden. Doch der Graf sollte ganz verlassen
da stehn. War bei der ersten Aufführung die Darstellung schön und geründet,
so ist sie in der zweiten vollendet zu nennen. Herr Iffland schuf seine
Rolle, mahlte sie mit den Farben der Wahrheit aus, nüancirte sie mit dem
Pinsel der Feinheit und Menschenkenntnis. Mad. Bethmann war nicht die
schweigende Dulderin, sie war die über alles erhabene Unschuld und Ruhe; im
ersten Ausrufe des Unwillens über ihres Gatten Verdacht edel, im zweiten
über Fridolins grausames Geschick menschlich-rein. Fridolin (Hr. Bethmann),
der devoteste Diener des Grafen, der Gräfin, giebt die Hingebung in ihren
Willen mit liebenswürdiger Sanftheit, den ersten Ausbruch des
selbstständigen Unwillens beim Zerreißen des Tuches, mit edler Kraft u.
männlichem Feuer. Man hört es ihm an, daß er gegen seinen Herrn zum
erstenmale so spricht. Hr. Kaselitz u. Hr. Bessel machen sich sehr um das
Stück verdient. Dlle. Maas spricht ihre Ahnung mit herzergreifendem Gefühl
aus; wie alles, wo tiefe und zarte Empfindung zum Grunde liegt. Die beiden
Arbeiter sollen Bosheit und Einfalt im Contrast darstellen. Beide Rollen
werden mit der gleichgültigen Kälte gegeben, die in ihrem Charakter liegt.
Hr. Gern der Sohn zeigt fortdauernd Anlagen; doch sollte er sich nicht auf
die niedrigste und leichteste Gattung einschränken. Da Fridolin mit so
vielem Kunstwerthe gegeben wird, und der Inhalt interessirt, so steht zu
erwarten, daß er sich auf der Bühne behaupten wird.
Noch etwas über Schillers und Webers Gang nach dem Eisenhammer. Auch der Schreiber dieser Zeilen gehört zu Schillers Verehrern; indeß sagt er ohne Bedenken, daß die in der Ueberschrift genannte Ballade ihm eins von dessen weniger guten Gedichten scheint, und daß man sie, wenn sie nicht mit so einem berühmten Namen bezeichnet wäre, mittelmäßig nennen würde, da sie, wie jeder Kenner auf den ersten Blick sieht, schlecht versificirt ist, so daß manche Zeilen bloß des Reimes wegen da stehen. Desto mehr Ehre für unsere beiden Künstler Iffland und Weber, daß sie, jener durch die meisterhafteste Deklamation, und dieser durch eine wahrhaft genialische Musik, am letzten Donnerstage dem Publikum einen so neuen und so schönen Genuß gewährten. Iffland, unser Stolz, wird – wenn die Wünsche eines Publikums, das seinen Werth anerkennt und ehrt, etwas über ihn vermögen – Schillers Gedicht noch öfter deklamiren; und dann vielleicht einige Worte über seine bewundernswerthe Kunst. Für heute beschränkt sch der Verfasser dieser Zeilen nur auf Webers Musik. Er, nicht ein bloßer Liebhaber der Musik, darf, wie er glaubt, seine Meinung von diesem Kunstwerke um so mehr unbedenklich sagen, da er so glücklich gewesen ist, den Proben desselben beizuwohnen, und da er es also besser kennt, als Zuhörer, die es nur Einmal gehört haben. Jede wahrhaft gute Musik – das ist ein Axiom – muß zwar schon bei dem ersten Hören Vergnügen machen; dies Vergnügen muß aber zunehmen, wenn man sie zum zweiten, dritten, vierten, zehnten und zwanzigsten Male hört. Eine Musik, welche diese Prüfung nicht aushält, ist gewiß mittelmäßig, so angenehm sie auch bei dem ersten Hören dem Ohre schmeicheln mag. Unser Weber gehört zu den denkenden Künstlern, die, wenn der Genius ihnen den ersten Anstoß gegeben hat, nicht sogleich an das Werk gehen, sondernnun auch denVerstand an der Arbeit Theil nehmen lassen. Der Verfasser dieser Zeilen glaubt, Weber habe beim Lesen des Schillerschen Gedichts gefühlt, daß die verschiedenen Charaktere, die darin auftreten, darzustellen wären, und daß hier der Eisenhammer um so mehr musikalisch gemahlt werden dürfe, ja müsse, da sein Lärmen sehr wohl mit der Leidenschaft des Grafen von Savern zusammentrifft. (Man siehe Engels vortreffliche Schrift über die musikalische Malerei.) Daher in der Ouverture Roberts heimlicher Groll, des Grafen innere Wuth, und gegen das Ende hin die Sanftheit der Gräfin, und Fridolins kindliche Naivetät (in der Musik ein völlig neuer, ausgezeichnet schöner Gedanke, den aber bei der Ausführung die Klarinetten nicht ganz so vortrugen, wie sie gesollt hätten.) Aus dem Stoffe nun, der in dieser Ouvertüre liegt, hat der Tondichter einen Theil der kurzen Sätze genommen, durch welche die Deklamation bald begleitet, bald unterbrochen wird. Es versteht sich indeß bei dem denkenden Tonkünstler von selbst, daß er am rechten Orte verstärkt, und, wo es nöthig war, neue Gedanken eingemischt hat. Bei der Erzählung von der Messe ist das Sanctus etc. durch entfernten Gesang versinnlicht. Allerdings läßt sich, wenn man fest an den Regeln der Aesthetik hängt, hiergegen etwas erinnern; aber – Herr Kapellmeister Weber kann antworten: »Ihr gesteht ja selbst, daß meine Musik zu dieser Stelle auf euch gewirkt hat; und so ist meine Absicht erreicht.« Auch dem Verfasser dieser Zeilen raunte die Aestheitk einen Tadel zu; aber – er dachte bald an Göthen’s: »So geht es dir, Zergliedrer deiner Freuden!« Und – sind denn unsre ästhetischen Regeln schon Ein- für allemal in sich abgeschlossen? Darf das Genie in keinem Falle über sie hinausgehen? Jene Frage beantwortet der denkende Kopf wohl ohne Zweifel mit Nein; und bei dieser wird er sagen müssen: Ja, das Genie wohl! Alle Regeln der Kunst sind natürlicher Weise von schon vorhandenen Kunstwerken abstrahirt. Der genialische Künstler, welcher, ohne sich an sie zu binden, die von ihm beabsichtigte Wirkung hervorgebracht hat, könnte also sagen: Anch’ io sono pitore, ändert eure Regel: sie taugt nichts, oder gilt wenigstens nicht allgemein.« – Der Raum gestattet es hier nicht, Webers Kunstwerk noch weiter zu zergliedern. Nur noch einige Worte. Im Schluß der vorletzten Stanze ruft der Graf: Gott selbst im Himmel hat gerichtet! Ein Alltags-Componist hätte schon in der Ouverture Pauken gebraucht, zumal da ihre beiden Töne zum Mahlen des Eisenhammers so gut zu benutzen waren. Nicht also unser Weber. Er läßt die G-Pauke (in B gestimmt, was ihre Wirkung noch vergrößert) nach den Worten: Gott selbst etc., zum ersten Male einfallen, und es ist über die Wirkung, welche diese weise Oekonomie gethan hat, bei allen Zuhörern gewiß nur Eine Stimme. – Zuletzt denn nun auch eine kleine Erinnerung, die Hr. Kapell Meister Weber nicht übel deuten möge. Das sehr angenehme Allegretto in C, welches bald nach dem Paukendonner folgt, schien dadurch, daß es ein wenig zu geschwind genommen wurde, an seinem Charakter zu verlieren. – Mögen Amtsgeschäfte dem vortrefflichen Künstler erlauben, uns öfters Musik seines Genies hören zu lassen! Darf man von Einem der jetzt lebenden Tondichter hoffen, daß er einst ein zweiter Gluck werden könne, so ist es Weber; denn er hat, wie jener unsterbliche Mann, Genie, tiefes Gefühl, Studium, Kritik und – was besonders mit in Anschlag kommen muß – Kenntniß des Theaters und der Instrumente. Er ist nicht viel über die Vierzig. Gluck war älter, als er seine Iphigenia in Aulis schrieb, und durch dieses große Meisterwerk Paris, daß bis dahin seinen Lulli und Rameau abgöttisch verehrt hatte, auf einmal bezauberte.
Hr. Bethmann
Mad. Bethmann
Mlle. Fleck
Hr. Rebenstein
Hr. Bessel S.
Hr. Lemm
Hr. Kaselitz
Hr. Wauer
Hr. Benda
Hr. Holzbecher
Hr. Berger
Hr. Rehfeldt
Nationaltheater: Fridolin (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/279.
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