natürliche Tochter, Die

Sparte/Genre:
Schauspiel
Personen:
Autor:
Johann Wolfgang von Goethe

Liste der Aufführungen

Aufführungsdatum: 12.07.1803
Rezensionen
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Die natürliche Tochter, Schauspiel in 5 Akten von Herrn von Göthe
Quelle:
VZ 1803, Nr. 83
weitere Informationen:
Morgen wird dieses Schauspiel wiederholt
Rezension:
Zeitung:
Vossische Zeitung
Aufführungsdatum:
1803-07-16
Nummer:
85
Autor:
ungez.

In diesem Werke redet der Geist den Erden-Pilger an, wie einst die Stimme aus dem feurigen Busche erschollen ist. Wer dieses Gedicht eigen besitzt, mag aus der Fülle der Kraft, aus dem Schatze der Menschenkunde und Lebenserfahrung, Begründung, Führung und Erhebung nehmen, wie aus einer Hausbibel. Die Geschichte unserer Tage ist in diesem Gedicht dramatisch behandelt, und wie das Regen und Treiben des Geistes der Zeit entfaltet ist, wie der tiefe Sinn das erst Vergangene in eine Summe ordnet, und auf das Nächstkommende deutet; so steht das Ganze wie eine Prophezeihung ernst und feierlich vor der Seele des Hörers! Wie viel man sich auch jetzt in allen Klassen mit Politik befaßt, so haben doch nur Wenige einen Überblick der Begebenheiten; die meisten sind bei einzelnen Thatsachen stehen geblieben, sind von diesen irregeführt, und durch kein Resultat ins Klare gekommen. Man darf annehmen, daß dieses Gedicht, und die Folgen, welche dasselbe nothwendig macht, aus dem Sturme der Meinungen und Selbstsucht zu einem festen, beruhigenden, wohltätigen Resultat führen sollen. Ob politische Schauspiele überhaupt wirken, ob ein deutsches Publikum leicht und gern in ein solches Interesse eingeht? daran ist fast zu zweifeln. Wir sind an deutliche Geschichte in einer Folge von Begebenheiten, welche vor unsern Augen vorgehen, gewöhnt; wir verlangen Zeitvertreib, Witz oder Rührung – Unterhaltung der Sinne. Wir sind verwöhnt an breite, prunkende, donnernde Helden; wo Spieße, Felsen, Glocken, Zugbrücken, Harfen, Leichen, Märsche, Mondschein, Federbüsche, lange Liebe, Humpen, Verzweifelung und vorgeschnittne Epigramme uns aufrütteln, wach erhalten, und die Empfindung so oft anschlägt und wieder anschlägt, bis endlich ein minder bedeckter Nerve getroffen wird, der dann die Zuckungen treibt, in welchen die Masse das Vergnügen findet. Der gediegene Verstand in seinem Schimmer der Empfindung ergreift die Einzelnen, erfüllt und befriedigt sie. Das Nachsinnen, die Vereinigung einzelner Züge in ein Ganzes erhebt sie zu Mitarbeitern des Dichters, und vermehrt den sanften Genuß der Imagination. Eben darin aber, daß die meisten ohne Mitarbeit empfangen wollen, darin liegt es, daß Schauspiele wie die natürliche Tochter, Egmont und Iphigenia nur auf einen ausgesuchten Zirkel wirken und nicht auf die Menge. Mag denn die Menge diesen vorübergehen und den Wenigen ihren stillen Genuß ruhig lassen, wenn jene die Billigkeit beobachten, das, was auf die Mehrheit wirkt, in Frieden dahin gehen zu lassen, ohne den Genuß einer achtbaren Klasse, die nicht so fein besaitet ist und sein darf, durch Witzeleien oder Spott zu verkümmern. Die Bitterkeit, womit ein Theil dem andern seine Langeweile in Rechnung bringt, erzeugt den Partheigeist, welcher heut das Volksvergnügen stört und morgen den feineren Sinn der gebildeteren Klasse trübt. Nimmt man nun noch an, daß das feine Gewebe der großen Welt einer sehr geringen Zahl nur faßlich ist, daß das Treiben der ungemessenen Ambition für Viele widerwärtig ist, wie der Anblick überwachter Menschen; so ist die Stimmung leicht erklärbar, welche während der Vorstellung der natürlichen Tochter hin und her schwankte. Dieses Schauspiel enthält eine lebendige Charakterschilderung, nicht aber einen lebendigen Gang der Begebenheiten. Es fordert bemessene, getragne Sprache, indem der ausgewählte Hörer dadurch befriedigt ist, wird der gewöhnliche Hörer dadurch aufgehalten, und nennt das Stück zu lang. Nach der großen Wahrheit »Durch Trauern wird die Trauer zum Genuß« wiederholt der tiefe Kummer Ideen, Bilder und Worte in mancherlei Gestalten. Diese treue starke Einheit, womit der Seelenmaler das Heiligthum der Empfindung ausstellt, ist keinesweges ein Einerlei, aber es wird begreiflich, wenn die Menge es dafür hält und ausruft: »zu lang!« – Die Eigenthümlichkeit des Versbaues erschwert dem Schauspieler den Vortrag, und was dem Hörer schwer zu fassen ist, verwechselt er leicht mit dem, was zu kostbar genannt wird. Der Drang der Verhältnisse, welche in den beiden letzten Akten die verfolgte Eugenia bestürmen, kann im Lesen, wo die Phantasie von all dem Drängen und Treiben der großen Hafenwelt umgeben ist, mehr und sehr bestimmt auf den Punkt hinwirken, als bei der Darstellung, wo das Bild dieser Unruhe nicht gegeben werden kann, ohne die feinere Handlung aufzulösen, und wo gleichwohl, eben weil es nicht gegeben werden kann, eine Lähmung, ein Stillstand über das Ganze ausgebreitet ist. Die Einzelnen, bei den Eugenia Hülfe sucht, werden wirksam und interessant, wenn man sie aus der Volksmasse herauswählt. Ist die Bühne leer, und sieht man Schiffe ohne Leben, einen großen Platz ohne Hafengewühl: so werden alle diese Einzelnen, die nach und nach auftreten, angeredet werden, antworten, gehen um wieder neuen Antwortern Platz zu machen, zu Spatziergängern herabgesetzt, beschäftigen als Einzelne die Aufmerksamkeit zu viel, und entfremden von der Hauptsache. Diese Zerstreuung der angespannten Masse, die von dem Genius so lange schon in Respekt gehalten worden ist, wirkt fast gewöhnlich nachtheilig. Ein einziges Lächeln, welches hörbar wird, theilt sich elektrisch mit, und wenn es niedergedrückt wird, artet es aus in üble Laune.

Rezension:
Zeitung:
Vossische Zeitung
Aufführungsdatum:
1803-07-19
Nummer:
86
Autor:
ungez.

Während ein Theil der Versammlung ganz im Genuß des Meisterwerks lebt, und durch jede Störung des stillen starken Mitgefühls empfindlich verletzt wird, läßt die Unbehaglichkeit der Langeweile Unruhe entstehen, die nach dem Maaß bedeutend wird, worin die Selbstliebe empfundene Langeweile als wohlgegründet geltend machen möchte. Die Unbefangenheit ist dahin, der Krieg der Meinungen beginnt; ein Sektirer darf nur den Stock auf den Fußboden aufstoßen, so ist, da mit Scharren und Pochen am leichtesten wie am lautesten abgeurtheilt wird, der Bilderstürmerkrieg auf dieses Zeichen im feurigen Gange. Der heiligste Name schützt nicht vor diesem Anfall. Bildsäulen und Denkmahle sind bei uns mehr als bei andern Völkern der Verstümmelung ausgesetzt, und es mag eine Kraft bedeuten sollen, daß die Namen großer Männer auch für Rohheit nicht schützen können. Es gab eine Zeit, wo es anders war, und man darf glauben, daß der wohlthuende Sinn für das Schöne die edelere Sitte wieder zurückführen werde. Wenn der Verfasser sich nicht an die Regeln hat binden wollen, welche der Effekt des Schauspiels fordet, weil diese Regeln den Flug des Genies hemmen, und dem Sinn, den er verbreiten will entgegen stehen, so wird man ihm die Form erlassen, und das große Gedicht mit Verehrung empfangen, was von der Fülle seiner Kraft ausgegangen ist. Die erste Vorstellung der natürlichen Tochter bewieß das ernste Nachdenken der Künstler, ihren Fleiß und ein erhöhtes Bestreben, dem Genius, der hier waltet, eine Feier darzubringen. Fast alle waren in ihrer besten Stunde ans Werk getreten. Die Sorge, nichts zu überschreiten, veranlaßte hie und da eine unsichere Ausführung. Die zweite Vorstellung war sichrer, hatte mehr Verbindung und enthielt mildere Übergänge. Man hat das Wagestück begangen, das Schauspiel bei der zweiten Vorstellung etwas abzukürzen. Überhaupt ist das schwerlich zu rechtfertigen; hier that es indeß eine gute Wirkung. Die schwere Rolle der Eugenia führte Madame Fleck, besonders das Zweitemal, sehr liebenswürdig aus. In gleichem Grade, Mädchen und Heldin, kindlich und erfahren, Tochter der Natur und Dame beschäftigt mit Vaterlandsschicksal und der äußern Umgebung des schönen Mädchens – erscheint Eugenia mehr frappant als anziehend. Unter Vielen würden nur Wenige diese Eugenia zu dem Mädchen Ihrer Gedanken machen. Die Phantasie des Lesers kann diesen Charakter genau sich darstellen, ohne daß er verliert. Wollte die Schauspielerin ihn ganz genau darstellen, so würde er an Interesse abnehmen. Die Künstlerin berührte die Grenzscheidungen nur leise, und gab die Auflösung des Ganzen, von schöner Natur geleitet in holder Liebenswürdigkeit. Hr. Iffland gab den Herzog mit dem Benehmen der großen Welt und mit tiefer Empfindung. Hr. Mattausch den König mit Würde ohne Prätension; mit Gefühl ohne Weichlichkeit; mit der ruhigen Wärme eines edlen Herzens, und mit einem so einnehmenden Anstande, daß er dafür das lebhafteste Interesse einflößte. Madame Schick leistete die Hofmeisterin in feinem, anständigen Benehmen, in Vorsorge, Unruhe und Liebe auf sehr verdienstvolle Weise. Der Ton war hie und da weinerlich, wo er Besorgniß, Unruhe und Ahndung in gehaltener Gedankensprache ankünden soll. Hr. Bethmann, als Gerichtsrath, gab diese Rolle mit Wahl und Nachdenken. Der ruhige Ernst, worin dieser Charakter vorgetragen werden muß, verleitete ihn bei der ersten Vorstellung zu einer gewissen Eintönigkeit, welche er bei der zweiten Vorstellung durch Mischung von sanfter Empfindung und lebendiger Herzlichkeit sehr glücklich vermieden hat. Hr. Schwadke, als Sekretär, gab dieser Rolle Bestimmtheit und eine feine Accentuation. Ohne Anmaßlichkeit zu befürchten, darf jedoch etwas mehr Übergewicht hervorstechen. Hr. Bessel, als Geistlicher, sprach mit Leben und Empfindung. Am äussern Vortrage vermißte man die Ruhe, welche auch den Stand charakterisirt.

Aufführungsdatum: 13.07.1803
Rezensionen
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Die natürliche Tochter, Schauspiel in 5 Akten von Herrn von Göthe
Quelle:
VZ 1803, Nr. 83
Rezension:
Zeitung:
Haude- und Spenersche Zeitung
Aufführungsdatum:
1803-07-16
Nummer:
85
Autor:
ungez.

Die natürliche Tochter, Schauspiel in 5 Aufz. von Göthe, und zwar mit ungetheiltem, lebhaftem Beyfall, der sich erhalten und steigen muß, wenn der etwas schwer aufzufassende Sinn und Charakter des Stückes wird geläufiger geworden sein.

Rezension:
Zeitung:
Ernst und Scherz
Aufführungsdatum:
1803-07-16
Nummer:
7
Seite:
27f.
Autor:
gez. v. - r. [Garlieb Merkel]

Bei genauer Prüfung möchte sich wahrscheinlich ergeben, daß dieses Schauspiel das originellste und trefflichste Werk ist, mit welchem der berühmte Dichter seine Nation noch beschenkt hat; auf jeden Fall ist es das erste große, und tiefbedeutende Kunstwerk, zu dem der Stoff, oder der Geist vielmehr, aus den furchtbaren Ereignissen, die zehn Jahr hindurch alle Welttheile erschütterten, mit echt genialischer Kraft abgezogen ist.
Göthe, sagt man, – und schon bei geringer Aufmerksamkeit zeigt sich, daß es wahr ist; – legte in dieses Werk die Resultate seiner Beobachtungen und seines Nachdenkens während der und über die Revolution, ihre Ursachen u.s.w. nieder. So wurd’ es ein Gemälde, an welchem der dunkle Hintergrund die Hauptsache ist: die Gestalten, die aus ihm hervortreten, und sein Inhalt scheinen, sind nur da, um jenen kennen zu lehren. – Wir sehen in diesem Schauspiel die Schicksale eines jungen, edlen, anziehenden Mädchens, das in eben dem Augenblicke, da es mit hochstrebendem Geist und jugendlicher Begier über die Erreichung des höchsten ihm denkbaren Zieles jubelt, hinabgeschleudert wird an den Rand eines Abgrundes, und sich nur dadurch von dem Sturz in denselben zurückhalten kann, daß sie auf alles das Verzicht thut, worin ihrem schwärmerisch-ehrgeizigen Sinn das Glück des Lebens zu liegen schien. Doch nicht sie ist die Haupterscheinung, um die es dem Dichter zu thun war: sie giebt ihm nur Gelegenheit das Hippokratische Gesicht eines Staates zu malen, der bei allem äußern Anschein des Wohlseyns, seiner auflösenden Zerrüttung entgegen schwankt, – und die verzerrte Gestalt der Moralität, in einer ausgearteten bürgerlichen Gesellschaft. Zu diesem Zwecke sehen wir die edle Eugenia einer im Dunkeln schleichenden Cabale, trotz der unbegränzten Liebe ihres mächtigen Vaters, und selbst trotz dem Schutz ihres guten, erhabendenkenden Monarchen, erliegen; – deshalb der schreiende Contrast, den man in diesem Stücke zwischen den Forderungen der reinen Menschengefühle und den Geboten der verschrobenen Convenienz, erblickt. Es ist ein hohes, ernstes, inhaltschweres Lehrgedicht, voll tiefen Sinnes. Um es aber als ein solches zu beurtheilen, muß man seine Vollendung durch die beiden versprochenen Fortsetzungen, erwarten. Wir sahen diesen ersten Theil auf der Bühne: und wir dürfen uns vorjetzt nur daran halten, was er als Drama ist.
Seine Fabel ist einfach. Die natürliche Tochter eines Herzogs soll durch Legitimation in die fürstlichen Rechte ihrer Eltern eingesetzt, der Familie ihres Monarchen einverleibt werden: da wird sie durch die arglistigen Ränke ihres Bruders entführt, und, indeß man ihren Tod selbst ihrem Vater gewiß zu machen weiß, gezwungen, durch die Heirath mit einem Bürger, jener hohen Sphäre, dem Anschein nach auf ewig, zu entsagen. Ob dieses Ereigniß interessant seyn würde, oder nicht, hing von der Handlung ab, durch die es herbeigeführt wurde.
Die Handlung ist reich an großen Motiven, an erschütternden Situationen, doch sehr viel bleibt in derselben dunkel, verworren, unauflöslich. Das mußte geschehen, da der Dichter die Spannung des Interesse aus diesem ersten Stükke in seine Fortsetzungen hinüberführen wollte. Es kann daher für das ganze Werk eine echt künstlerische Maaßregel seyn: aber man muß gestehen, daß es diesem ersten Theil sehr viel Unbefriedigendes giebt.
Die Charaktere sind mit jenem umfassenden Blick, mit jener festen Meister-Hand entworfen, die Göthen zu dem ersten, größten Seelenmaler machen, den die Deutsche, und, Shakespear ausgenommen, die neue Literatur des ganzen Europa, besessen hat. Jeder Charakter ist ganz, rein und kräftig aus dem Leben aufgefaßt, und als Kunstwerk ausgeführt, ohne über die Wahrheit hinweg idealisirt zu seyn. Kein einziger steht als Repräsentant irgend eines einzelnen Lasters oder einer einzelnen Tugend da, aber in jedem erkennen wir die allgemeinen Züge einer besondern moralischen Gattung, bis zur höchsten Lebendigkeit individualisirt. Indeß der liebevolle, unglückliche Vater in dem Herzog innig rührt, erblickt man zugleich in ihm den edlern Staats- und Hofmann, dessen Geist zwar in den Netzen der Staatsverhältnisse und der Politik befangen liegt, dessen Herz sich aber sein Gefühl rein und empfänglich erhalten hat. – Eugenia ist ein glänzend schönes Gemälde zum Romantischen hinaufgestimmter Weiblichkeit, die in ihre Geschlechts-Sphäre zurücksinkt, sobald der Anlaß dazu sie unvorhergesehen beschleicht. Der Weltgeistliche schließt uns das Entstehen und das Innere jener nur zu zahlreichen Klasse von Menschen auf, die sich selbst an ihre Gewohnheiten und Bedürfnisse verloren haben, und eben deshalb fähig sind, Alles zu unternehmen, weil ihnen die selbstständige Kraft fehlt, ihren eignen Sinn geltend zu machen. In allen Personen wird man so in dem Individuellen zugleich das Allgemeine umfassend dargestellt finden, sobald man es beachten will.
Die einzelnen Situationen scheinen willkührlich nicht sowohl herbeigeführt, als hingestellt: aber der Dichter ist dafür nirgend in den, sonst in berühmten und mit Recht bewunderten dramatischen Werken, so häufigen Fehler gefallen, sie zu Deklamationen und prunkenden, kalten Gemälden zu mißbrauchen. Er läßt in jeder nur die Empfindungen und Gedanken hören, die sie in der Seele der handelnden Personen nothwendig hervorbringen mußte: und sie werden schön und kraftvoll ausgedrückt. Nur sehr wenige Schilderungen hat er gegeben, und jede scheint so durchaus nur ein ausgemaltes Gefühl, daß man sie auch mehr empfindet, als betrachtet. Wenn z. B. der Herzog, als er erfährt, daß der Leichnam seiner Tochter für das Aufbehalten zu sehr entstellt und verstümmelt ist, und ohne Rettung der Verwesung überlassen werden muß, ausruft: »O, weiser Brauch der Alten, das Vollkommne,
Das ernst und langsam die Natur geknüpft,
Des Menschenbilds erhabne Würde, gleich
Wenn sich der Geist, der Wirkende, getrennt,
Durch reiner Flammen Thätigkeit, zu lösen.
Und wenn die Glut, mit tausend Gipfeln, sich
Zum Himmel hob und, zwischen Dampf und Wolken,
Des Adlers Fittig, deutend, sich bewegte:
Da trocknete die Thräne; freier Blick
Der Hinterlaßnen stieg dem neuen Gott
In des Olymps verklärte Räume nach!«
So geht diese Aeußerung so natürlich aus seiner Lage und den Wünschen, die sie ihm einflößen mußte hervor, daß man erst spät in ihr eine Betrachtung erkennt, und diese wiederum abgesondert prüfen muß, ehe man gewahr wird, daß sie in ein schönes Gemälde verkörpert wurde.
Der Dialog wird zuweilen durch verwickelte Construktion und durch die Länge der Perioden, schwer, aber er ist edel und kraftvoll.
Mit allen diesen Vorzügen konnte das Stück auf der Bühne keinen allgemeinen Effekt thun, weil – die dramatische Form zu sichtbar nur die Maske der philosophisch-politischen Absicht ist, und weil natürlich ein Theil nicht die Befriedigung gewähren kann, die der Dichter erst durch das Ganze zu geben gedachte.                                                                                                                                                          v. – r.

Aufführungsdatum: 22.10.1803
Rezensionen
Zettel
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Die natürliche Tochter. Ein Schauspiel in fünf Akten, vom Herrn von Göthe
Quelle:
ThZ THW
Rollenfeld:
Hr. Mattausch
Iffland
Hr. Labes
Mad. Fleck
Mad. Schick
Hr. Schwadke
Hr. Bessel d. jüng.
Hr. Bethmann
Hr. Lemcke
Hr. Herdt
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Dateiname: ThHStAW_A_10419_A_18031022_226.jpg
Rezension:
Zeitung:
Haude- und Spenersche Zeitung
Aufführungsdatum:
1803-10-25
Nummer:
128
Autor:
ungez.

Es ist eine erfreuliche Erfahrung, daß man dieses Stück, trotz der unfreundlichen Aufnahme, die es bei seinem ersten Erscheinen auf dieser Bühne fand, wieder zu geben wagte, und daß es mit einigem Beifall aufgenommen wurde. Daß der Dichter manchen großen Anlaß zu gerechter Feindseligkeit gegeben hat, möchte ich wenigstens nicht läugnen; aber deswegen sein Genie verkennen, und sich den Genuß seiner trefflichen Arbeit versagen wollen, wäre sehr thöricht.
Eine Menge Urtheile werden jetzt von allen Seiten über dieses Stück gefällt. Sie sind so mannigfaltig, als sie über die Produkte des Genies immer auszufallen pflegen. Ohne weitläuftige Erörterung und ohne die geringste Parteilichkeit glaub ich folgendes darüber sagen zu können.
Seine Handlung ist sehr fehlerhaft: sie zerfällt in drei besondre Handlungen, die wenig Zusammenhang mit einander haben, und mancher Theil derselben,
z. B. die Fabrikation des Sonnets, die Putzscene, das Anrufen der Vorbeigehenden um Hülfe u.s.w. ist ein wenig zu leicht, um kein passenderes aber beleidigendes Wort zu brauchen.
Die Charaktere sind fast durchgängig zu sehr aus dem wirklichen Leben gehoben, das heißt, so inconsequent und unbestimmt, als gewöhnliche Menschen hier erscheinen: beinahe kein einziger hat das entschiedne Gepräge des Edeln oder Unedeln, das er von dem Dichter hätte erhalten müssen, um für ein Kunstwerk hoher tragischer Gattung zu taugen.
Dagegen sind die Gefühle mit so ergreifender, kräftiger Wahrheit ausgedruckt, giebt der Dialog eine fast ununterbrochne Reihe so glänzender dichterischer Gedanken, ist die Sprache überall so edel und erhaben-schön, daß man gar nicht Zeit und Stimmung behält, auf jene Fehler zu merken; daß man fast in jeder Scene selbst das vergißt, was in der vorhergehenden geschah, um sich der gegenwärtigen ganz hinzugeben: kurz, legt man den Maaßstab der Regel an, so erscheint das Stück als ein ungeheurer Verstoß, aber es eignet sich ganz dazu, den Glauben an die Regel, so lang’ es währt, wankend zu machen, sie vergessen zu lassen.
Es ist schon bei der ersten Vorstellung bemerkt worden, daß Mdme Fleck als Eugenia, alles aufbietet, in diesen halb heroischen, halb zu mädchenhaften Charakter Einheit zu bringen, und es gelingt ihr vortrefflich. Ihr Ton, ihr Gang, ihr Mienenspiel ist sehr edel und kraftvoll; gleichwohl weiß sie zugleich noch weiblich reizend zu bleiben. Sie verdiente die wärmste Bewunderung.
Weniger Beifall gebührte Mdme Schick als ihrer Hofmeisterin. Sie sprach richtig und ihre Action war lebhaft: aber die Bildnerin der hohen Eugenia sah man nicht in ihr. Ihr fehlte ausdrucksvolle Würde und Kraft: denn ob diese Frau gleich nicht Entschlossenheit genug besitzt, die Bande der Cabale und ihrer Leidenschaft zu zerreißen, hat sie doch Gehalt genug im Charakter, um mit einiger Würde ihre Fessel zu tragen.
Iffland macht den Herzog, diesen denkenden, tief und leidenschaftlich fühlenden – Schwächling. Möchte es dem großen Künstler doch gefallen, selbst sein Urtheil über diesen Charakter irgendwo aufzustellen: es würde sehr lehrreich ausfallen. Mir schien sein Spiel in der ersten Scene, mit dem Könige, in Rücksicht des feinen Anstandes, – die mit dem Weltgeistlichen, in Rücksicht des Ausdruckes der Gefühle, eine vollendete Kunstarbeit: – aber etwas Großes zu leisten, hat der dichtende Künstler dem Darstellenden hier nicht aufgelegt.
Hr. Bethmann gab den Gerichtsrath sehr viel besser, als vormals, wirklich fast so trefflich, als die Rolle überhaupt gespielt werden kann. Sein Benehmen war fein und edel; sein Vortrag voll wahren Gefühls und vorzüglich frey von dem Manierirten, das man bei den ehemaligen Vorstellungen bemerkte. Er leistet jetzt in dieser Rolle etwas, worin es vielen Andern schwer werden müßte, ihn zu erreichen.
Hr. Bessel der jüngere gab als Weltgeistlicher den größten Beweis sehr vorzüglicher Talente, den wir noch von ihm gesehen haben. Er sprach sehr gut. Wie war es doch möglich, den jungen Künstler so lange zu übersehen. Es ist noch kein Jahr, da er bedeutende Rollen erhalten hat, und jede spielt er beifallswerth. – Eine Bemerkung indeß: war sein Aeußeres nicht zu jung, für den Mann, der so mannigfaltige Schicksale erlebt hat, und so große Kenntniß des menschlichen Herzens zeigt?
Von den übrigen Rollen bei einer hoffentlich nahen Wiederholung.

Aufführungsdatum: 12.11.1803
Zettel
Uhrzeit:
17:30
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Die natürliche Tochter. Ein Schauspiel in fünf Akten, vom Herrn von Göthe
Quelle:
ThZ THW
Rollenfeld:
Hr. Mattausch
Iffland
Hr. Labes
Mad. Fleck
Mad. Schick
Hr. Schwadke
Hr. Bessel d. jüng.
Hr. Bethmann
Hr. Lemcke
Hr. Herdt
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Dateiname: ThHStAW_A_10419_A_18031112_248.jpg

Nationaltheater: natürliche Tochter, Die (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/298.

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