Cid, Der

Sparte/Genre:
Trauerspiel
Personen:
Autor:
Pierre Corneille
Bearbeiter:
Gottlieb Anton Christian Niemeyer
Komponist:
Friedrich Ludwig Seidel

Liste der Aufführungen

Aufführungsdatum: 03.02.1806
Rezensionen
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Der Cid, Trauerspiel in 5 Akten, nach Pierre Corneille, nach Anton Niemeyer. Die zur Handlung gehörige Musik ist von F. L. Seidel
Quelle:
HSZ 1806, Nr. 14
weitere Informationen:
zum Benefiz für Madame Fleck zum erstenmale
[danach: Das Geständniß]
Rezension:
Zeitung:
Vossische Zeitung
Aufführungsdatum:
1806-02-06
Nummer:
16
Autor:
ungez.

Wenn man den Cid als ein neues Trauerspiel betrachtet, wo dem Verfasser freie Hand gelassen wird, wo er seinen Plan nach gefallen anlegen und ausführen kann, so gehört dieses Trauerspiel unstreitig zu den regelmäßigsten, den besten, zu denen, die mit dem Verdienste der Form das Interesse der Handlung verbinden. Es ist schön und stark geschrieben (einige Nachlässigkeiten abgerechnet, wie z. B. es wird meinen Schmerz noch vermehren), harmonisch versificirt, ohne pomphafte Deklamation, bleibt der edeln Sprache der Natur und der feurigen Sprache der Leidenschaften getreu, läßt nicht den Dichter, läßt die Personen reden, weicht wenigstens nur in einigen Beschreibungen von dieser Regel ab, und genügt von dieser Seite den Gefühlen, dem Geschmacke, den Erwartungen der Zuschauer. Nur ist es dem Zuschauer unmöglich, den Cid des Corneille zu vergessen! diesen Cid, mit allen seinen Fehlern und Schönheiten! mit seinen Eigenthümlichkeiten, mit seinem 150jährigen ehrwürdigen Roste des Alterthums! Der Bearbeiter hat zwar in dem 2ten, 3ten und 4ten Akte nur wenig geändert, aber den ersten hat er moderniren, den 5ten tragödiren wollen. Im ersten hebt er damit an, daß Chimenens Vater, seiner Tochter das Geheimniß ihrer Liebe zu Rodrigo abfrägt. Aus der Ohrfeige macht er einen ins Gesicht geworfenen Fehdehandschuh. Anstatt Rodrigo mit Chimenen zu verbinden, läßt er Rodrigo durch Sacho’s schändliche unritterliche Handlung fallen, und Chimenen sich auf seinem Leichnam erstechen. Diese Veränderungen haben etwas überraschendes; man ist geneigt, sie für Verbesserungen zu halten: allein sie rauben dem Cid seine Eigenthümlichkeit, seine Originalität, sein Wesen. Er steigt zu seinen Brüdern, den Ritterromanen, den Trauerspielen herab, vermischt sich mit ihnen, nimmt ihre Farbe an, und wir haben eine gute Tragödie mehr, aber den Cid weniger. Im Original ist die Beleidigung größer, der Aufruf des Beleidigten an seinen Sohn gegründeter, der Widerstand des Sohnes gegen den Vater geringer, seine Herausforderung rascher. Im Original ist Chimenens Vater nicht der gute Vater, der aus der Bearbeitung hervorgeht. (Sein Lob im 4ten Akt ist ganz des Uebersetzers Zusatz.) Im Originale ruft Chimene das Gesetz zur Bestrafung Rodrigo’s an, läßt kein Mittel, ihn zu verderben, unversucht, schwört, sie wolle ihn verfolgen, strafen und sterben; das Gesetz thut den Ausspruch; sie wird das Eigenthum des Siegers, Rodrigo ist dieser Sieger (er war vorher ja auch nur Sieger im Zweikampf mit ihrem Vater, nicht Mörder). Sie gehorcht dem Gesetze; sie mußte ihm in jenen Ritterzeiten gehorchen, auch wenn Rodrigo nicht ihr Liebhaber, wenn er ihr verhaßt gewesen wäre. Sie giebt ihm nicht ihre Hand; sie flehet um Aufschub, erhält ihn, und der Zuschauer freut sich eines Ausganges, der einen so schweren Kampf zwischen Liebe und Pflicht endigt und belohnt. Statt dessen wird in der Bearbeitung der Knoten – zerhauen. Chimene soll unschuldig, reiner, ihres Vaters würdiger erscheinen. Gerade das Gegentheil. Sie ist mehr Geliebte als Tochter. Sie ist für ihren Vater nicht gestorben, und stirbt für ihren Liebhaber. Uebrigens lassen wir den Verdiensten des Stücks sowohl als dem Spiele gern volle Gerechtigkeit widerfahren. Nur, da der Bearbeiter ändern wollte, warum hat er die unbedeutende Rolle der Infantin (wie in Frankreich längst geschieht) nicht weggelassen? warum hat er dem Könige nicht mehr Kraft, mehr Nachdruck gegeben? Aeußerst glücklich hat er die Schwierigkeiten der Uebersetzungen überwunden. Doch hätte ich den Vers: Nur eine Ehre giebt’s, der Jungfraun viele, nicht so wörtlich übersetzt. Diego accentuirt im ersten Akte falsch. Ihr seyd was ich einst war: er mußte den Ton auf seyd und war legen. Doch, in einzelnes Lob und einzelnen Tadel kann Rezensent bei ohnehin schon zu langem Urtheil über diese erste Vorstellung, sich nicht einlassen.
 


Rezension:
Zeitung:
Haude- und Spenersche Zeitung
Aufführungsdatum:
1806-02-06
Nummer:
16
Autor:

Da doch manchem Leser dieser Anzeigen, der Inhalt des alten, fremden Stückes nicht gegenwärtig seyn dürfte, so mag er kürzlich hier stehn: Die Infantin Clara, liebt Don Rodrigo, doch opfert sie dies Gefühl ihren strengen Begriffen von Pflicht auf. Die Edelmüthige wird selbst Stifterin eines Bundes des Jünglings mit ihrer Freundin Chimene. Graf Gormas billigt das Verhältniß seiner Tochter zu Rodrigo, und beider Verbindung scheint nahe. Da entzweit Ehrgeiz die Väter des Brautpaars; ihre persönliche Zusammenkunft mehrt das Uebel; Gormas findet sich gekränkt, daß man dem Don Diego eine Würde, die er sich versprach, ertheilte; er ist heftig, beleidigt seinen Rival thätlich, und ein Zweikampf erfolgt, in welchem der kraftvolle Gormas den Greis Diego entwaffnet. Ein ungeheurer Schimpf für den ohnehin geschmähten Sieger von Ehedem.  Er befiehlt seinem Sohne, ihn zu rächen. Dieser schaudert, denn der Feind seines Vaters ist der Vater seiner Chimene; doch die Ehre gebeut, und Gormas Tod wird die Folge. Die gute Tochter trauert, aber sie liebt den Mörder. Nach einem Kampf mit dem empörten Herzen eilt sie zum Könige, und fleht um Genugthuung. Sie wird ihr gelobt; aber die Scene ändert sich. Ein Heer feindlicher Mauren will landen. Man rüstet sich zum Empfang, und Rodrigo's Freunde wählen diesen zum Anführer. Er leitet ihre Unternehmungen, siegt, und zwei der feindlichen Könige werden gefangen. Eine glänzende That, die dem Sieger die vollkommene Gnade des Königs, und den Titel Cid, d.h. Herr, erwirbt. Chimene dringt indes wiederholt auf seine Bestrafung. Der König erklärt: der begangene Fehler Rodrigo's sey durch sein Verdienst ums Vaterland getilgt, und sie müsse verzeihen; doch das Mädchen ist beharrlich, und als der König sogar von ihrer Verbindung mit Rodrigo spricht, fordert sie, der Sitte gemäß, die gegenwärtigen Ritter zum Kampfe für sich, gegen den Mörder ihres Vaters auf, und stellt sich selbst zum Preis des Ueberwinders. Don Sancho, der früher bereits um Chimenens Liebe warb, übernimmt, hoffend auf den schönen Lohn, ihre Sache. Rodrigo ist entschlossen zu sterben, da Chimene für ihn verloren, und ihm das Leben freudenlos ist. Das Mädchen erfährt seinen Vorsatz. Jetzt schreckt sie die Zukunft, in welcher sie das Weib eines Ungeliebten werden soll, und sie fleht mit Angst: er möge sich nicht willkührlich in den Tod stürzen, sich vielmehr vertheidigen, um sie von einem verhaßten Ehejoch zu retten. Entschlossen, ihren Wunsch zu gewähren, eilt er zum Zweikampf. Anders aber beschloß das Schicksal. Don Sancho bemerkte im letzten Gespräch mit Chimenen, daß Rodrigo noch geliebt, er aber gehaßt werde,  faßt für den schlimmsten Fall einen fürchterlichen Entschluß, den er ausführt. Als Ueberwundner am Boden liegend, winkt er Rodrigo zu sich, will ihm noch etwas vertrauen. Arglos naht jener. Da rafft Sancho die letzte Kraft zusammen, und stößt sein Schwert in des Siegers Brust. Chimene mag den Geliebten nicht überleben, und tödtet sich mit einem Dolchstich. An Rodrigo's Leiche sinkt sie nieder. Ein Grab, beschließen der König und die Infantin, soll beide aufnehmen. - Die Trauermusik von Seidel bewegte, sich dem Geiste der Vorstellung anschmiegend, hier ungemein. - Herr Niemeyer hat die der Form anpassende Sprache der Jamben gewählt, und seine Uebersetzung ist fast durchgehend gut, - fast, nicht ganz. Das Stück gefiel, und das macht dem Publikum Ehre. - Mad. Fleck (Chimene) entzückte durch den Ausdruck kindlicher Liebe in Ton und Bewegung. Vorzüglich gut erzählte sie, wie ihr Vater sie einstmals aus dem Feuer gerettet. Hier riß sie die Versammlung zum Bewundern und lautem Beifallgeben hin. - Iffland gab den Grafen Gormas treflich. - Herrn Bethmanns Spiel und Sprache gebührt das größte Lob. - Mlle. Maaß war als Infantin etwas ohne Leben, und ließ die Zuschauer kalt, während ihre schöne Stimme die Hörer erwärmte. Herr Bessel d. j. (der König) und Mlle. Mebus d. j. und andre mehr, leisteten was erheischt war. - Die Comparsen, Großen des castilianischen Hofes, waren wohl zu ärmlich gekleidet. / - p. - 

Aufführungsdatum: 06.03.1806
Rezensionen
Ort der Aufführung::
NT S1
Nationaltheater von A-Z:
Der Cid
Quelle:
HSZ 1806, Nr. 28
weitere Informationen:
[danach: Das Geständniß]
Rezension:
Zeitung:
Haude- und Spenersche Zeitung
Aufführungsdatum:
1806-03-08
Nummer:
29
Autor:
gez.: - p - [Julius von Voß]

Sollten französische Trauerspiele in der Verpflanzung das Glück der Originale machen, so wäre dazu zweierlei erforderlich. Erstens müßte der ganze Zauber, wodurch die Diktion so unwiderstehlich ergreift, samt dem national-poetischen Schwung übertragen werden. Das geht aber einmal nicht, weil unsre Sprache im Wohlklang und Feuer gegen die französische zurück bleibt. Ferner manieriren die Uebersetzer. Um Modesprache zu liefern, opfern sie die bedeutende Kürze, die Seele alles Theaterdialogs gewöhnlich auf. Hier trifft man überaus selten eine Ausnahme. Die Alexandriner aus dem Gottschedschen Zeitalter, wie die neueren Jamben, alles trägt das Gepräge dieses Fehlers. Bei den letztern (wo beiläufig gesagt, die fünf Finger fleißig Dienste leisten) soll vor allen Dingen der prosaische Ton vermieden werden. Man hat die Regel des Symptoms der Poesie im Kopf, des Symptoms, sag’ ich; in ihr wirkliches Heiligthum führt aber leider kein Aristarch. Was geschieht nun? Der Fluß der Worte wird sorgsam gefeilt, ungewöhnliche Inversionen müssen die Alltäglichkeit des Ausdrucks verstecken, nach Assonanzen wird möglichst gehascht u.s.w. Und das Produkt dieses Kunstprozesses? Eine Art unächter Poesie, die im Vorübergehn ein wenig täuscht, aber zuletzt das Gemüth völlig unergriffen läßt. Reminiscenzen, erinnerten sie gleich angenehm z. B. an Schiller, verbessern dabei nichts, schaden sogar, indem das Original, welches schon durch die Manierirung leidet, dadurch noch mehr verwischt wird. Dazu verhält sich die Reminiscenz immer wie der Wiederhall gegen den Urton. Die sekundäre Begeisterung daran, um es so zu nennen, wird selbst fühlbar, wenn sie von der eigenen Individualität stammt, wie in Phädra und Tankred das Schillersche und Göthesche Idiom hervortreten. Das vollkommene Uebersetzertalent würde nur immer ein hoher Grad geistiger Verwandtschaft mit dem fremden Dichter geben; wo dieser aber Statt hätte, wäre das Uebersetzen wieder weniger räthlich, als die eigne Produktion. Diese Hindernisse machen, daß hier immer das alte Sprichwort von der umgekehrten Tapete gelten wird. Eben so geht es mit den Nachbildungen. Sie wollen auch nicht wirken, wenn nicht eigne Kraft des Künstlers dabei ist. Unschuldig wird in solchen Fällen der Masse des Publikums vorgeworfen: sie sei ungeweiht, wisse nicht zu genießen u.s.w. Ihr dunkles Gefühl läßt aber diese Masse das Unächte erkennen, und leitet sie folglich richtiger, als das Preisen mancher Geschmacklehrer. – Zweitens aber, (es ist vom Gedeihen französischer Tragödien die Rede) müßten unsre Schauspieler sie in dem Grade der Verfeinerung geben, den die Form bedingt. Wie wäre das aber zu verlangen? Sie werden mit zu vielerlei Gegenständen beschäfftigt, um einem ausschließlich so viele Aufmerksamkeit zu widmen, als hier nöthig ist; um so mehr, wenn dieser eine nur selten vorkömmt. Zudem würden dazu Vorbereitungen erfordert, woran es ihnen größtentheils fehlt. Es geht hierdurch also viel verloren, und wenn ein Bethmann (man darf es nicht leugnen, Er kömmt in Bildung der Sprache, und im Ausmalen der Gebehrden den Franzosen am nächsten, wie Beschort im allgemeinen Anstand) auch eine Ausnahme macht, mangelt doch der Einklang. – Alles dies in Betracht gezogen, läßt schon a priori den Schluß machen, daß es eine ziemlich fruchtlose Mühe ist, uns französische Trauerspiele zu übertragen. Er wird auch in der Erfahrung fast immer bestättigt, und wieder heute beim Cid. Ungeachtet diese Bearbeitung mit Recht zu den gelungeneren zu zählen ist, war doch schon bei der zweiten Vorstellung das Haus halb leer. Der Kenner französischer Meisterwerke weiß, daß man sie in Deutschland lesen muß, und wer sie nicht lesen kann, birgt keinen Sinn dafür. Wir werden ja das Schicksal der Phädra sehen, die, wie es verlautet, bald gegeben wird. Die heutige Darstellung hatte übrigens, nach deutscher Ansicht betrachtet, viel Gutes. Herr Bethmann aber (Don Rodrigo) ging auch darüber hinaus. Er hat die Rolle mit ächtem Kunstgeist aufgenommen; jedes Wort, jede Bewegung sind meisterlich durchdacht. Tief erschütternd sprach er den langen rührenden Monolog. Er verdient den lautesten Dank des Publikums. – Was sonst seinen Platz rühmlich erfüllt, wurde neulich bereits genannt. – Die zur Handlung gehörige Musik von Herrn Seidel ist im tragischen Styl und mit einsichtsvollem Fleiß gearbeitet. – p –

Nationaltheater: Cid, Der (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/346.

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