Octavia, ein Trauerspiel in fünf Akten, von Kotzebue. Wir ertappten neulich Herrn von Kotzebue, als er die historischen Stücke des Shakespear nachahmte, hier ist es ihm um kein geringeres Muster zu thun. Es scheinen die Heroen der griechischen Bühne zu seyn, deren edle Simplicität er sich zu eigen machen will; es scheint Göthes Iphigenie zu seyn, der er einen Wettstreit anbietet; und zum wenigsten ist es die steife Regelmäßigkeit der französischen Bühne, mit welcher er verglichen zu werden wünscht. – Wir haben überwiegende Gründe, das erste und zweite zu besorgen, denn das dritte ist wohl eine zu kleine Tendenz für Herrn von Kotzebue, auch ist das Bestreben nach hoher poetischer und tiefer pathetischer Darstellung zu fühlbar, wie nicht minder das Bemühen nach Individualität, Dinge, von denen die französische Bühne nichts weiß. – Es ist aber wiederum schlecht gelungen, wie gleich soll gezeigt werden. Es ist ein römisches Stück (beiläufig gesagt, man sollte doch Adler statt Standarten aufstecken, das letztere ist doch gar zu costumwidrig) Herr von Kotzebue wird also doch zugeben, dass die Römernatur, das Individuelle dieses Volks, in der Darstellung muß ausgesprochen werden. Er sehe zum Beispiel den Coriolan, den Cäsar und den Antonius des Shakespear an; und er wird auf jeder Seite, fast auf jeder Periode, den ächten Römer finden. Wo ist nun hier etwas dergleichen? wir wollen uns gar nicht an einzelne Bilder und Züge halten, wir wollen nur fragen: Ob er sich getraue, die Ansicht der Augurien und Ausspicien, welche im Stücke vorkommt, als eine römische zu beweisen? Sie ist modern; – so sieht man in den neuesten Zeiten, die sogenannten Pfaffen an; und es verräth einen sehr beschränkten Sinn, diese modernen Ideen nach Rom, selbst zu Augustus Zeiten zu versetzen. Und die Römerin Octavia würde nachgereist seyn in ein Kriegeslager? Sich ohne Begleitung in Alexandria gewagt haben? – Die Kinder mitgenommen – ein Sclave sie befreit? u. s. w. und alles dies wäre römisch? Nein, das Ganze ist ein modernes Familiengemählde mit römischen Nahmen. Diese Häuslichkeit, diese Liebe, diese Ansicht der sogenannten Mutterwürde, dieser alberne Heroismus, er ist nur in den Kotzebueschen Stücken, nicht im alten Rom zu Hause. Es hat ihm wahrscheinlich sehr interessant geschienen, auch einmal ein römisches Stück zu schreiben, und unter den Nahmen edler Frauen ist ihm die Octavia aufgefallen, und daher hat er sie auf seine Manier dargestellt. Wir schweigen von dieser Kleopatra, welche horrible dictu nach dem Shakespear gedichtet zu sein scheint, aber wie! Den Octavian, welcher späterhin Augustus hieß, hat der Verfasser sich so angeeignet, daß er unter der Hand zu einem August geworden ist, von dem Antonius hat er vielleicht irgendwo gelesen, er habe einen unbeständigen Charakter gehabt, und so läßt er ihn nun schwanken, daß dem Zuschauer der Verstand stille steht. Kurz weder als Poesie im Ganzen, noch als Verstandesbegriff, noch als römisches Stück, noch als individuelle Manier hat das Stück einigen Werth. Die Poesie als Ganzes besteht aus einer leeren Phraseologie, es ist prosaisch unzusammenhängend, im höchsten Grade modern, und dabei ganz allgemein und trivial. Einzelne Stellen dagegen haben manches Gute, und dieser einzelnen Stellen sind nicht wenige. Hier ist manches sehr glücklich gesagt, viele passende Bilder und manche rührende Wendung – allein Herr von Kotzebue ist dramatischer Dichter, und daher kommen diese einzelnen Stellen ihm nicht zu gute, und wie ohne Anlage und Talent müßte der seyn, welcher in fünf langen Akten nicht einzelnes Gutes sagen wollte. Zwei Punkte sind in diesem Stücke im höchsten Grade rührend naiv. Erstlich wie der Verfasser auf ein Verschmähen alles Effektes hingearbeitet hat. Er läßt zum Beispiel die Bühne nie verwandeln, als zwischen den Akten, er beschließt das Stück, ohne daß Octavian wieder erschient, oder Nachricht von der Cleopatra gegeben wird; aber dagegen werden die Theatercous nicht gespart. Die Vergiftung zum Beispiel, der Schluß der Akten u. s. w. sind für den allergrößten Effekt gearbeitet, und die Neugierde wird durch mühsam herbeigeführte Situationen gespannt, z. B. durch die der Octavia vor der Cleopatra, durch die Zurückhaltung der Kinder von Seiten der Cleopatra. Dieser Widerspruch gränzt an das Hochkomische, und kann fast zu einem lauten Gelächter bringen. Das zweite ist, daß das Ende der Scenen oft durch Hexameter angedeutet wird, und daß vorzüglich bei affektvollen Stellen dieser heroische Vers gebraucht wird. Wo ist denn hier der Sinn des Verfassers gewesen, daß er den ungemeinen Widerspruch nicht gemerkt hat. Diese Hexameter sollen also den Reim ersetzen? Ist es ihm denn ganz entgangen, wie treflich der Reim den Schluß ausdrückt, die Vollendung; oder glaubt er in der That, daß Hexameter oder Jamben oder Reime dasselbe sind. Meint er, daß die Alten ohne Grund den Hexameter zum heroischen und epischen Verse gemacht haben, und den Jambus ohne Ursach pedem citum et celerem nannten? Er glaubt wohl am Ende, man könne die Aeneis und den Homer eben so gut in Sapphischen Versen als in Hexametern darstellen? Er meint wohl, das Sylbenmaaß sei willkürlich, und fühlt nicht die Musik, welche durch dasselbe das Gedicht begleitet? – Die Untersuchung über das Sylbenmaaß liegt freylich sehr tief; und es mag nicht Jedermanns Sache seyn, sich deutliche Begriffe davon zu erwerben, auch ist diese nicht nöthig, aber Sinn muß offenbar der Dichter haben, und den Mißgriff fühlen. Die Hexameter in der Octavia nehmen sich gerade als dramatische Verse neben den Jamben so aus, als die liederlichen Mädchen in den Kotzebueschen Stücken neben den honetten Charakteren. – Der Jambe ist lyrischer Vers, und darum dramatischer, er ist in seiner Darstellung musikalisch, und für die Leidenschaft so unendlich zweckmäßig: in ihm schrieb daher Archilochus seine zornigen Gedichte, er ward der Vers der Comödie und Tragödie. Der Hexameter ist plastisch und retardierend, dies letztere kann schon aus seiner Länge bewiesen werden, wenn man nehmlich (–) für 1 und (?) für ½ nimmt. Daher ist er für das kältere Epos darstellender Vers – Doch wir wollen nichts übergehen, was Herren Kotzebue zur Entschuldigung gereichen kann, er könnte einen alten Tragiker anführen, welcher sich der Hexameter bedient; und dieser ist kein geringerer, als Euripides in der Andromache. Allein es ist Euripides, der Weichste der Tragiker; und es geschieht nur ein einziges Mal und in einem rechten Erguß der Klage. – Aus Mangel an Raum müssen wir hier abbrechen, und es bei diesen Andeutungen bewenden lassen; allein ich werde an einem andern Ort diese Materie von neuem aufnehmen, und die hier gegebenen Winke weiter verfolgen. Man merke nur noch folgendes: So wie es dreierlei Arten der reinen Gedichte giebt, Lyrik, Drama und Epos; so giebt es auch nur drey Arten von Sylbenmaaßen. Das epische ist das bestimmteste, im Drama hat der lyrische Theil desselben das Chor, auch lyrische Sylbenmaaße allein der recitirende Theil ein Mittelding zwischen dem epischen und lyrischen, und dies ist der Jambus mit dem Trochäus und den verwandten Sylbenmaaßen. Die Lyrischen sind die kühnsten, denn das lyrische Gedicht hat als Stoff die Empfindung direkte; und daher ihr sehr mannichfaltiges Spiel auszudrücken. Daher die kühnen Sylbenmaaße der Chöre, des Pindar, des Horaz u. s. w. Nun aber ist ein jedes Gedicht lyrisch, folglich liegt auch im Sylbenmaaße des Epos und Drama eine bestimmte Empfindung; und da nun der Fall möglich ist, diese Empfindung rein darzustellen, so kann in so fern das lyrische Gedicht sich des Hexameters und der dramatischen Sylbenmaaße bedienen. – Doch genug, denn der gegenseitigen Beschränkungen würde kein Ende werden; und für die Gründe ist der Raum zu eng. Nur etwas über die mimische Darstellung. Herrn Iffland haben wir bedauert, er hat seine Künstlichkeit an einen unwürdigen Stoff verwandt. Er wollte in den Antonius eine Verstandeseinheit bringen, dadurch, daß er ihn etwas bornirt darstellte; und so seinen zu schnellen Uebergang von der Octavia zu der Cleopatra motiviren; allein er scheiterte, und davon war nicht seine Kunst die Ursach; es war der ganz verfehlte Charakter, welcher sich opponirte. Zwar wäre ein Mittel übrig gewesen, dessen sich Herr Iffland bisweilen in komischen Rollen sehr glücklich bedient, nehmlich den ganzen Charakter nur als Einzelnheit in einem blendenden Colorite zu spielen. Dichter machen es auch oft so, der ächte Künstler fühlt die Gewalt, welche ihm durch seine Kunst über die Gemüther gegeben wird. In diesem Bewußtseyn giebt er die Consequenz auf, sicher dasselbe durch die Poesie zu erreichen. So hat noch Niemand Cervantes darüber getadelt, daß Sancho so wenig Verstandeseinheit habe. Etwas Aehnliches ist in der mimischen Darstellung möglich, man kann momentan jede Leidenschaft so schön und stark ausdrücken, daß man sich unbekümmert um den Zusammenhang des Verstandes dem Eindruck überläßt, und die reine Poesie genießt. – Iffland stellte einiges so unendlich fein vor; das Schönste dieser Gattung war der Uebergang; mit dem er die wiederkehrende Liebe zur Octacia auffaßte – allein wie kam diese Art zu sterben hierher? – Wir wissen und sehen es ein, der Dichter hat einigermaßen Schuld – allein dies abgezogen, wo liegt der Grund dieser, grade dieser Darstellung? Wir zweifeln, daß sie medicinisch richtig, und also die Natur nachgeahmt sei; allein wenn auch die Pathologie nichts dagegen hätte; so ist doch die Gränze der Darstellung überschritten worden. Nächst Herrn Iffland war es Madam Unzelmann, welche vortreflich darstellte, allein die langen Reden glücken ihr nicht ganz. Dies ist nun nicht Schuld des Dichters, sondern der Schauspielerin, welche sich nicht hinlänglich spart. Ich weiß, daß nach den neuesten Theorien lange Reden als Fehler angesehen werden; allein für die Poesie giebt es keine Dinge, welche, zur Zeit gebraucht, nicht Schönheiten würden, wie alle Dissonanzen nur es bedingt sind. – Sonst war Madame Unzelmanns Darstellung sehr schön, und verdient den lebhaftesten Dank. Wir sind überzeugt, daß ganz Deutschland nicht eine zweite ihr nur nahe kommende Schauspielerin aufzuweisen hat. Die andern Darstellungen wie gewöhnlich.
Am 20sten ward Octavia, ein Trauerspiel in 5 A. von Hrn. v. Kotzebue, wieder gegeben. Wenn das ganze Stück nicht eine der besten Arbeiten dieses Schriftstellers ist, so sind doch die beiden ersten Akte vielleicht das schönste und zarteste, was er je geschrieben hat. Wenn man eine gewisse Einförmigkeit, die in dem zweimaligen Ankommen der Octavia liegt, übersieht, so gewährt die feine Verschiedenheit in der Behandlung der beiden schwachen Männer, mit denen es das edle Weib zu thun hat, viel Vergnügen. Die Flötenmusik, unter welcher Antonius zu Anfange des zweiten Akts erwacht, ist ächt klassisch; es sind wahrhaft lydische Töne, unter denen (man fühlt es) der vornehme Weichling in den Armen der ägyptischen Königin wohl ruhen kann. Die Komposition ist von Hrn. Musikdirektor Weber. – Die ganze Darstellung verdient, als eine der harmonievollsten auf unserer Bühne ausgezeichnet zu werden. Nicht bald sind irgenwo die Rollen so gut vertheilt; jeder steht an seinem Platze, und wirkt mit zur Bildung eines schönen und kunstgerechten Gemäldes. Hr. Iffland als Antonius, Mad. Unzelmann als Octavia, Mad. Meyer als Cleopatra lassen fast keinen Wunsch übrig; so wie Hr. Labes den Sklaven Eros, Hr. Mattausch den starren Römer, Hr. Schwadke den weichen, knabenhaften Octavianus sehr brav darstellen. Selbst das Kostume ist gut beobachtet, wenn man nicht etwa sagen wollte, daß Octavia etwas zu modern angezogen wäre.
Nationaltheater: Octavia (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/35.
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