Den 17ten, Zum erstenmale: Heinrich der Vierte, König von Frankreich,
ein Trauerspiel, (zum Benefiz für Herrn Beschort). / Heinrich der
Vierte eignet sich nicht für das Heldengedicht; noch weniger für das
Trauerspiel: bloß für die Geschichte und Drama. Voltaire's Henriade
wird, bei allem Talente ihres Verfassers, nicht mehr gelesen; und
keinem Französischen Tragiker ist es eingefallen, seinem Nationalkönige
ein tragisches Denkmal zu stiften. Nur ganz neuerlich ist in den
Französischen Blättern eine Ankündigung von La Mort de Henri IV.
Tragédie de le Gouvé, gelesen worden, von der wir nun abwarten müssen,
was sie leisten kann und wird. Der Deutsche Heinrich IV. (der wahre
Verfasser soll sich hinter den Namen Adolph Bergen versteckt haben) ist
schon seit 1802 in Königsberg gedruckt, und gleicht mehr einem
dialogisirten Roman, einer dramatischen Geschichte, als einem
Trauerspiele; und da er eigentlich nur eine Aneinanderreihung der
Anekdoten enthält, welche man von dem guten Heinrich längst wußte, so
kann er wohl nur beim Lesen einen Genuß gewähren, welcher bei der sehr
braven Darstellung, die ungeachtet der sehr kurzen Zwischenakte, vieler
(sollte man es glauben?) Abkürzungen und Weglassungen, bis halb 10 /
Uhr währte, in Langeweile überging. Da haben die Schauspieler ihr
Gedächtnis nun wieder mit einem Stück martern müssen, welches, auch mit
den neuen Abkürzungen (wie z.B. der Rolle des Invaliden, des Dü Perron,
ja sogar des Toledo), nach einigen Vorstellungen seine theatralische
Laufbahn endigen muß, so wie es in der literarischen, seines wenigen
poetischen Gehalts wegen, nur immer vegetiren wird. Alles, was aus
diesem kalten, todten Gemählde zu machen war, haben die Herren Beschort
(als Heinrich), Iffland (als Sully), Kaselitz (als Epernon, wenn gleich
die Rolle eigentlich außerhalb seiner Sphäre lag), Bethmann (als
Bassompierre), und Mad Fleck (als Marquise de Verneuil) redlich daraus
gemacht, um Leben, Wärme und Theilnahme einzubringen. Herr Beschort gab
den Heinrich mit großer Anstrengung von Talent, mit Haltung und Würde;
aber er dachte sich dabei mehr Heinrich den Großen, als Heinrich den
Vierten, den Guten, den Mann seines Volks. Wenn man sich an Heinrichs
Ventre-Saint-gris, an seine ganze Persönlichkeit erinnert, die ihn (wie
Peter den Großen und Friedrich den Großen) so sehr individualisirt;
wenn man ihn zum Spanier sagen hört: Ich habe warmes Blut wie Sie, ich
bin ein Gaskonier; so hätte man ihn lebhafter, regsamer, hitziger,
ungeduldiger - und auch familiärer gewünscht. Hr. Beschort stampft in
Gegenwart der Königin mit dem Fuße, als er Concini und die
Galigaï forttreibt. Das ging bei dem wahren Heinrich recht gut
an; bei dem regelmäßigen, abgemessenen war es eine große
Unschicklichkeit in Gegenwart einer Dame. Die Abschiedsaudienz im 5ten
Akt war schön und rührend. Hr. Iffland hatte sich auf alle
Schwierigkeiten der Situationen Sully's mit seinem Könige so
vorbereitet, daß beim Vortrage seiner Rolle jede Spur dieser
Schwierigkeiten verschwunden war. Vereinigte er nicht in der
Galleriescene in seinen Gesichtszügen tiefen Schmerz, edlen Stolz,
zuversichtliche Ruhe? Wer wagt es, ihm dieses Problem nachzulösen? Wer
will ihm den Kampf zwischen Pflichten und Ehrfurcht nachkämpfen, der
sich mit dem Zerreißen des Ehekontrakts endigt? Warum erhielt er nicht
öffentlich Beifall in diesen beiden Scenen? Etwa weil das Stück nicht
gefiel? Sollte man dieses aber die Schauspieler entgelten lassen, und
ihnen, ihren Fleiße, ihren Bemühungen nicht, eben deswegen, doppelte
Gerechtigkeit widerfahren lassen, weil es ihnen doppelt schwer seyn
muß, ein Stück darzustellen, von dem sie merken, es gefalle nicht? -
Mad. Fleck sollte das Französische Sire nicht wie das Engl. Sir
aussprechen. Im ersten Akte und während eines ziemlichen Theiles des
Stücks war viel Geräusch, Störung, unnöthiges Stillerufen, denn selten
ist dieses von Wirkung, und die Arznei oft ärger als das Uebel. Es war
sehr gut, daß die Ouverture einen berühmten Namen vor sich trug, sonst
hätte sie Gefahr gelaufen, gar nicht bemerkt zu werden.
Nationaltheater: Heinrich der Vierte (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/357.
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