Pflicht und Liebe. Schauspiel
in fünf Aufzügen von Vogel, (zum Benefiz für den verstorbenen Regisseur Fleck)
ward am 21. Januar zugleich mit dem Melodrama Sulmalla von Herklots und Musik
Direktor Weber zum erstenmale gegeben.
Fleck, der sich ungern von
der Kunst, die das Leben seines Lebens war, trennte, hoffte noch in den letzten
Tagen immer, die Bühne wieder zu betreten, und setzte als Ziel dieser Hoffnung
die Wiederkehr des Frühlings. – Wir sollten ihn nicht wiedersehen; er ist, wo
ein ewiger Lenz blüht.
Madame Fleck – als Frau und Künstlerin
gleich allgemein verehrt – betrat dafür zum erstenmale als Witwe wieder die Bühne.
Es war Pflicht und Liebe, was sie ihrem Berufe wieder zuführte; die Liebe der
Pflicht brachte der Pflicht der Liebe ein schmerzliches Opfer, könnte man in
einem wehmüthigen Wortspiel sagen. – Das Publikum feyerte ihre Wiederkehr mit
Ernst und Ruhe, die Schwermuth des großen Verlustes schwebte über allen, und
von allen hatte sie am meisten verlohren. – Wenige können mehr verlieren, als
sie.
Wir kommen auf das Stück
selbst.
Es sollen, nach einer Angabe,
der Direktion, jährlich ohngefähr eben so viel neue Stücke eingesandt werden,
als Tage im Jahre sind. Kein Wunder, wenn viel alltägliche darunter sind.
Vergleicht man mit dieser Summe die Zahl der neuen Stücke, die jährlich die Bühne
wirklich betreten, so hat man eine Ahnung von der vergeblichen Mühe, die keiner
gewahr wird, keiner erkennt.
Und doch soll die Direktion
auch für das neue sorgen. Es fordert dies die Pflicht gegen die Kunst – denn
der Dichter, dessen Stücke nicht dargestellt werden, ermüdet, und wird zurück
geschreckt, – wie die Pflicht gegen das Publikum, welches gewohnt ist, sich
durch die Bühne erst auf das neue im dramatischen Fache aufmerksam machen zu
lassen.
Bey einem so allgemeinen Mißwachse
als jetzt in der dramatischen Literatur herrscht – denn die Mißgeburten gehören
durchaus zu den mißgewachsenen – muß es ausserordentlich schwer werden, der
Pflicht, die Bühne immer neu erscheinen zu lassen, Genüge zu thun. Gleichwohl
fordert man das neue, das alte ermüdet, nur eine Donaunymphe blüht im unvergänglichen
Reiz; – und dennoch übt das Publikum eine nicht ganz gerechte Strenge gegen das
Neue, es macht Forderungen, die in ihrer ganzen Ausdehnung nicht erfüllt werden
können. – Das Vortrefflichste wird zum Maaßstab angenommen, die Höhe, welche
ein Dichter erreicht hat, gilt nicht mehr für das Ziel, zu welchem er sich
empor schwingen soll, sondern von welcher er den Flug beginnt.
Was der Dichter mit sich
aufschwingt, ist die Kritik, die einen neuen Gipfel errungen hat.
Die Dichter haben zum Theil
selbst Schuld an dieser Lage ihrer Kunst gegen das Publikum. Sie haben seinem
Eigenwillen durch Fügsamkeit in eine Manier, die sich bey ihm in Credit gesetzt
hatte, zu sehr nachgegeben, und denn suchen sie das Neue zu sehr nur in Einem,
in der Neuheit der Situationen, die bey der Menge von Dramen, durch dieses
Streben in das gezwungene, überspannte und grelle fallen müssen, statt es
zugleich aus dem unerschöpflichen Born der Charakteristik zu schöpfen, durch
Wahrheit, Schärfe, Kraft und Eigenthümlichkeit der Umrisse die Menschen selbst
darzustellen, und dem Schauspieler Stoff zur geistreichen Ausübung seiner Kunst
zu geben. Nicht allein reduzirt sich die Schönheit fast allein auf diese
Charakteristik, sondern durch die Mischung beider, der Situationen und
Charaktere, läßt sich die Kunst so mannigfaltig bilden, als das Leben selbst
ist.
So viel zum Gesichtspunkt für die Beurtheilung dieses
neuen Stückes.
Herr Vogel gewann durch sein
Stück: Gleiches mit Gleichem, die Vorliebe des Publikums, und erregte
Erwartungen, die der Schleyer nicht geradezu niederschlug. Die Aehnlichkeit,
und noch mehr der Bräutigam in der Irre wirkten wenigers zum Vortheil des
Verfassers. Es ist übrigens zu bemerken, daß fast bey allen Stücken dieses
Autors Bearbeitungen in fremden Sprachen und entlehnte Sujets zum Grunde
liegen.
Es ist daher nur
Gerechtigkeit, wenn man in Hinsicht der Anlagen wie des Dialogs und der
Charakteristik strengere Forderungen macht, denn – die Zeichnung war ihm
gegeben, er mußte sie nur coloriren, und gesetzt auch, die Zeichnung wäre
fehlerhaft gewesen, so ist auch dies schon ein Gewinn.
Ich habe das Stück in der
Hinsicht loben hören, daß lauter edle, gute, moralische, unsträfliche
Charaktere darin aufträten. Es heißt aber den moralischen Nutzen des Theaters
sehr handgreiflich oder sehr zart nehmen, wenn man ihn darin setzt, daß es so
zu sagen die verlohrne Unschuldswelt zurückzaubert, in welcher die Menschen
sehr gut und gutmütig, aber auch sehr langweilig waren.
Mir scheint gerade ein Mangel
des Stücks darin zu liegen, daß die Charaktere so genau über den moralischen
Leisten passen, und nur selten einmal mit Laune, und dies sehr unschicklich,
oder mit einem Standesair, ich möchte sagen, mit einem Federbusche oder
Portd’epee, schattirt sind. Denn zuförderst giebt dies der ganzen Masse der
erscheinenden Personen eine gewisse Uniformität, die nur die Meisterhand hinter
humoristische Züge, hinter den Unterschied der Temperamente zu verbergen, und
das Ganze dadurch wieder zu beleben und zu vermannichfaltigen weiß. – Eine Einförmigkeit
dieser Art, wird nur zu leicht langweilig. Nächstdem so soll die Bühne Abbild
des Lebens seyn, in welchem Gesinnungen und Charaktere sich auf das
mannichfaltigste mischen, wodurch eben die Verhältnisse entstehen, die
dramatische Wirkung hervorbringen können. Denn es entgeht dem Dichter, welcher
bösartige Charakter verschmäht, eine ganze Reihe von Motiven die um so kräftiger
in die Handlung und also, auch in die Seele der Zuschauer eingreifen, da sie
personificirt erscheinen, da der Grad, die Ursach, der Zweck ihrer Wirkung so
bestimmt und begränzt vor Augen liegt. – Die Verhältnisse unsers Lebens sind überdem
zu künstlich geworden, um in jener antiken Einfachheit zu erscheinen und sich
zu bestätigen, die das hohe waltende Schicksal an die Stelle aller wirkenden
Ursachen stellt, und aus heiligem Dunkel gewaltig und furchtbar über das Leben
unbefangener, schuldloser Sterblichen gebieten läßt. Und doch scheint es, als hätte
Sophokles in seinem König Oedipus nicht ohne Absicht dem Kreon den Verdacht der
Herrschsucht erregen wollen. – Unsere Verhältnisse ersetzen dies nicht, sie
sind zu gezwungen, zu conventionell, gekünstelt, und – auch vor dem reinen
moralischen Gefühl nicht geachtet genug, um die Regungen dieses Gefühls
niederschlagen zu können. – Selbst der Zwang des Militairs ist dazu nicht
geeignet.
Der Verfasser des in Rede
stehenden Stückes hat auf diese Verhältnisse und ihre anerkannte Allgewalt zu
viel gerechnet; denn es giebt Fälle, wo auch die militairische Strenge das
Menschengefühl ehrt. Gleichwohl muß man gestehen, daß die Subordination allein
mit ihrem Scepter der furchtbaren Ananke gleicht, die in den Tragödien der
Alten herrscht. – Aber nie neigte sich das Stück zum frohen Schlusse, wo sie in
geheimnißvoller Urne die Todesloose geschüttelt hatte. Wozu dies alles, wenn es
nicht zum äussersten führt?
Es ist nicht schwer – und
doch läßt mancher Dichter sich täuschen – zu ahnen, und mit untrüglicher
Voraussagung zu bestimmen, auf welche Art von Schluß ein Stück hinauslaufen müsse,
ob es tragisch oder beruhigend schließen dürfe. Sind einmal so große Verhältnisse
aufgeregt, sind die heiligsten Pflichten der Natur mit dem strengen Berufe
eines ernsten Standes einmal so grell in Contrast geworfen, so muß der Mensch
unterliegen, er ist das kleinere, ohnmächtigere unter den thätigen Wesen, und
es ist erbärmlich, den Zufall zu Hülfe zu rufen, der Dichter und Stück retten
soll.
Das zarte Gefühl der Alten
unterschied hier sehr richtig; sie kannten das Mittelding des weinerlichen
Lustspiels, wie es heut zu Tage oft sehr charakteristisch auf den
Anschlagszetteln heißen müste, gar nicht, sie haben nie überlegen wollen, nie
geglaubt überlegen zu dürfen, ob es in der Macht des Dichters stehe, einen und
denselben Stoff tragisch oder nicht zu schließen, dies hatte der Stoff mit eiserner
Nothwendigkeit schon bestimmt, und der Dichter maßte sich über ihn so wenig als
über das Schicksal selbst eine Entscheidung an.
Aber unter den neuern
Dichtern herrscht seit einiger Zeit der Glaube, daß das Publikum den unerwartet
frohen Schluß eines tragischen Stückes gern sehe. Sie kennen das Herz des
Menschen nicht, welches auch in dem verschiedenartigsten Publiko trotz Launen,
Ungeschmack und Abgeschmacktheit seine Natur nicht verleugnet und das
menschliche menschlich fühlt.
Ich kann es nicht leugnen, daß
ich den ganzen Gang des Schauspiels: Pflicht und Liebe für zu ernst gehalten,
daß das ganze Gespinst des Sujets zu dicht gewebt sey, als daß es gelöst werden
könnte. Es müste von der Hand des Todes zerrissen werden; wenn Wahrheit darin
athmen sollte.
Unter den Charakteren
herrscht ein Edelmuth, wo einer immer den andern an Großmuth überbietet. Aber
sie sehen sich einander auch so edelmüthig ähnlich, wie ihre Uniformen, denn daß
der eine wegen seine Donnerwetter immer um Verzeihung bittet, ist läppisch. Der
General ist edel und kalt, der Major edel und – Major, auch der Kerkermeister
ist edel, sogar – es ist kaum zu glauben – die Stiefmutter ist edel, oder
vielmehr bekehrt sich zum Edelmuth, und wechselt die Farbe, wie das Chamäleon.
Dabey haben alle Personen die seltene Gabe, den Edelmuth der andern streng
anzuerkennen, sie in das Gesicht zu bewundern, und so ungeheuchelte Elogen zu
sagen, daß das bloße Erröthen viel zu unbedeutend wäre, weshalb es denn füglich
unterbleibt. Auch greift der Dialog nicht in einander, er hat grelle Suturen,
und die Sentenzen sind nicht durch innern Gehalt auffallend, ein Mangel, der um
so merklicher jetzt wird, da das versificirte Drama in Rücksicht der Sentenzen
schon allein durch die cadanzirte Diktion ein großes Uebergewicht hat.
Nur dem meisterhaften Spiel
eines Iffland und der Madam Fleck als West und Emilie, den rühmlichen
Anstrengungen des Hrn. Herdt als General, Hrn. Beschort als Major, und der
Madam Meyer als Julie, ist es zuzuschreiben, daß dieses Stück bis jetzt einige
Vorstellungen erlebt hat. Wenn uns aber nicht ein ziemlich bestimmtes Gefühl täuscht,
so war die letzte Vorstellung am 6ten der Sterbetag des Stückes, mehrere
Parthien wurden kühler vorgetragen, das Ganze griff nicht mehr so lebendig in
einander, über einem Theil der Darstellenden schien eine Ahnung zu schweben,
die sich mehreren Zuschauern mittheilte. Daß hier Ausnahmen zu machen sind,
bedarf unserer Bemerkung nicht.
Gr.
Der 21ste war einer der ausgezeichneten Theatertage. Die Bühne erhielt zwei neue Stücke, von denen das eine für eine wahre Bereicherung derselben zu achten ist; Mad. Fleck betrat seit dem 20sten December zum erstenmale wieder das Theater. Das Schauspiel Pflicht und Liebe (nach dem Französischen frei bearbeitet von Hrn. Vogel hat keine ganz gemeine Intrigue, einen guten, nur nicht eben zu raschen Dialog, einige gut gehaltene Charaktere, und läßt, mehrere Langweiligkeiten und Unförmlichkeiten abgerechnet, nicht ohne Interesse. Fast alle Personen sind gut, weich, großmüthig, und führen unabläßig das Wort Pflicht im Munde; die Liebe merkt man fast nur an Julien. Daß noch einige Erbsünde in der Welt sey, spürt man allein an Lady Wilson, die sich aber doch endlich auch fügt. Selbst die Bedienten haben ein Engelherz, und auch Hans Langer, der Kerkermeister, ist ein Mann von Pflicht und Liebe. – Herr Beschort gab die etwas zweideutige Rolle des Major Maxwell mit dem Anstande und der Feinheit, die wir von ihm gewohnt sind; Hr. Iffland war der Greis Georg West; seine Scene vor dem Kriegsgerichte ist eine seiner trefflichsten. Mad. Meyer bewährte als Julie ihr anerkanntes Talent; Mad. Fleck, als Emilie, konnte heute, so mancher Rückerinnerungen wegen, noch nicht mit voller Freiheit des Geistes spielen (Ein neu engagiertes Mitglied, Herr Grimmer, trat in der unbedeutenden Rolle des Auditors auf.)
Nationaltheater: Pflicht und Liebe (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/38.
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