Am 22sten Februar gab man
hier Makbeth, nach Bürgers Bearbeitung und mit der Reichardtschen Composition
der Hexenscenen. Dies schauderhaftwahre Schreckbild des Lasters und seiner
Folgen, hatte seit einigen Jahren geruht: gleichwohl wandelte es jetzt über die
Bühne ohne große Wirkung zu thun. Zum Theil liegt das wohl darin, daß der
Geschmack des Publikums eine bestimmtere Richtung erhalten hat, an regelmäßigere
Handlung, leider aber auch an rhetorische Tiraden gewöhnt ist, und daher
weniger Empfänglichkeit für die Schönheiten dieser unregelmäßigen Mosaik von
Edelsteinen, diesem Gewebe von Charakterzügen und Ausbrüchen der Leidenschaften
hat, als ehemals. Der größte Theil der Schuld kommt indeß auf Rechnung der Ausführung,
denn auch die Schauspieler sind dieser Art von Stücken, in welchen jede Scene,
fast jede einzelne Rede tiefes Studium erfordert, entwöhnt.
Der größte Misgriff bei der
Darstellung war, daß die Rollen der Hexen komisch genommen wurden. Ihre Larven
waren lächerlich-bizarr; sie hüpften herum wie Frösche und alle ihre Bewegungen
waren auf eine gemeine Weise lebhaft. Das konnte nicht, wie es soll, Schrecken
einflößen, sondern wirkte mehr Lachen und Widerwillen. Diese Parodie des
antiken Schicksals muß durchaus ernst gehalten werden. Abentheuerlich und
wunderbar müssen diese übermenschlichen Wesen in Aufzug und Benehmen seyn, aber
auch nicht in Einem Zuge lächerlich. – Auf einem viel unbedeutenderm Theater
als das hiesige ist, sah ich sie einst schön ausführen. Sie erschienen in langen,
faltigen, schwarzen Gewändern, mit feuerfarbenem Gürtel. Leicht wehende aber
vielfache Schleier flogen um ihre höchst ausdrucksvollen Gesichter; ihr Kinn
war mit einem grauen Barte versehen. Ihre Haltung hatte etwas Hohes, Trotziges;
ihr Gang, ihr Tanz, alle ihre Bewegungen waren springend, eckigt, wild, aber
sie geschahen in einem gewissen Rhythmus. Auch die bizarresten Dinge, welche
die Hexen vorzubringen haben, sagten sie mit einem menschenfeindlichen Ernst,
der grade durch seinen Contrast mit dem Inhalt der Reden, mit Grauen gemischtes
Erstaunen einflößte. Am besten bezeichnet ihr ganzes Wesen der Ausdruck:
jauchzende Verruchtheit. Man fürchtete die räthselhaften Wesen, die, vom –
Schweine-Würgen zurückgekehrt, frevelndes Spiel mit einem Helden, einem ganzen
Reiche trieben.* – Hier wurden
die Scenen durch Gemeinheit und komischen Anstrich eine widerliche Posse.
– Madame Meyer machte Lady
Makbeth. In den Scenen vor und während des Mordes war sie unübertrefflich, ja,
sie legte manche meisterhafte Züge hinein, die nicht in der Rolle stehn; zum
Beispiel als sie, da Makbeth nach der That zurückkehrte, ihn fragte: »Sprachst
du nicht?« fuhr sie vorher erschrocken zusammen, und schmiegte sich an ihn, als
hörte sie Geister flüstern. Auch das war vortrefflich daß sie, so bald die That
geschehen war, schon durch einzelne Züge verrieth, ihr Muth sey erschöpft; daß
sie in den folgenden Scenen von Zeit zu Zeit in Grübeln verloren, gleichsam
zusammen sank, wodurch ihr Erliegen unter ihren Gewissensbissen gut vorbereitet
wurde. In der Tafelscene erschien sie dagegen nichts weniger, als im Aufzuge
und mit dem Benehmen einer stolzen Königin. Sie schien nur eine etwas zu häusliche
Wirthin, die es mit ihren Gästen und – sich selbst nicht sehr genau nimt. Die
Scene des Nachtwandelns mislang ihr, nach meinem Gefühl wenigstens. Lady
Makbeth erschien in einem sehr regelmäßigen Nachtgewande, mit blassem, aber
durchaus unzerrüttetem Gesicht, mit starren aber nichts weniger als
schreckenden Augen, ging vor, setzte ihr Licht nieder, sprach mit leiser aber
gesunder Stimme, – nahm ihr Licht wieder und ging mit Festigkeit ab. Wahrheit
und Gedanke war in allem dem, aber auf der Bühne muß der Wahrheit, so weit es
geschehen kann, ohne sie zu verfälschen, nachgeholfen werden, damit sie Wirkung
thue. Auf der erwähnten Bühne erschien die Lady in einem verschobenen, zerrütteten
Gewande, mit Augen die so stark und scharf nach oben starrten, daß man den
Stern kaum sah; mit steif ausgestreckten halberhobenen Armen, schritt sie
langsam vor, stand, schritt wieder vor, ließ in dem sie die Pantomime des
Waschens machen wollte, die (leicht erlöschende) Kerze ohne Leuchter, fallen,
sprach mit hohler, heiserer gepreßter Stimme leise und langsam, und schlich
dann wankend wieder fort.** Es war eine
geisterhafte Erscheinung, vielleicht in manchem einzelnen Zuge etwas zu grell,
aber im Ganzen äußerst ergreifend. – Auch die Staats-Kleidung in der wir hier
die Lady sahen, war nicht entsprechend: sie schien nicht einmal neu und sauber.
Makbeth selbst wurde von Herrn
Mattausch kräftig und nicht ohne Verdienst ausgeführt; er vergriff keinen Zug,
aber er gab auch fast keinem einzigen ganz den Gehalt, den er haben muß: sein
Spiel hatte nicht genug tiefe Bedeutung. So ging z. B. die Rede: Gebähre mir
keine Tochter u.s.w. fast verloren, weil Makbeth, eh’ er sie sprach, nicht mit
einer Art von Entsetzen zurückwich, sondern sich im Gegentheil seiner Gemahlin
näherte und ihr eine Art von Compliment zu sagen schien.
Eben das Lob und eben den
Tadel verdiente Herr Schwadke als Macduff. Er spielte mit Anstrengung und
durchdachtem Fleiß, aber sogar in dem Moment, wo er den Tod seiner Kinder erfährt,
nicht mit jenem stummen Pathos, der in einer einzigen langsamen oder raschen
Geste, den ganzen Inhalt einer Schillerschen Tirade aussprechen kann. Selbst
jener erschütternde Ausbruch der Rachgier, die keine Sättigung hoffen darf, der
Ausruf: »Er hat ja keine Kinder!« – wurd’ er überhaupt gesagt, so muß es
durchaus ohne Gehalt geschehen seyn, denn ich erinnere mich gar nicht, ihn gehört
zu haben.
Herr Herdt spielte den Banko
sinnvoll, doch nicht mit der würdevollen Kraft, die diese Rolle fordert. –
Auffallend war es, daß er sich, im zweiten Akt, mit einem Paar entsetzlich großen
Sporen – zu Bette legte.
– R –
* Anm. Die Griechen ließen selbst die Furien auf ihren Bühnen
wohlgestaltet erscheinen.
** Zusatz. Aus einer
einsichtsvollen Beurtheilung in einer Zeitung erseh’ ich, nachdem das
Vorstehende schon abgesetzt ist, daß eine andre hiesige Schauspielerin diese
Scene ungefähr eben so gespielt habe. Aber es wird auch darin gesagt, daß sie
bei der Erwähnung der Blutflecken den Blick auf ihre Hände gesenkt habe. Das
war ein Fehler, denn der Zustand der Seelenzerrüttung wird grade am kräftigsten
durch den Widerspruch zwischen Blicken und Gesten ausgedrückt.
Nationaltheater: Macbeth (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/393.
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