Den 26sten: Der Gelehrte, nach dem Philosophe marié des Destouches.
Lustspiel in 5 Akten. (Zum erstenmal.) / Seit zwei Jahren ist Wahlberg
insgeheim mit Sophien verheirathet. Ein einziger Freund weiß um das
Geheimniß, und liebt Rosalien, Sophiens Schwester. Ein anderer Freund macht
Sophien den Hof. Er und Wahlberg waren als Hagestolze bekannt. Theils
deswegen, theils um einen verarmten Vater nicht zu kränken, theils um einen
reichen Oheim nicht zu beleidigen, verheimlicht Wahlberg seine Ehe. Vater
und Oheim treffen unvermuthet ein; der Oheim trägt ihm die Hand seiner
reichen Stieftochter an, will ihn zum Erben einsetzen; wo nicht, Mädchen und
Vermögen einem Andern, dessen Oheim sein alter Freund ist, zuwenden. Dieser
Andere ist eben der Freund, der, ohne es zu wissen, in Wahlbergs Gattin
verliebt war. Ein Mißverständnis, wo Rosalie (kokett und heftig) für ihre
Schwester (sanft und bescheiden) vom Oheim angesehen wird, klärt sich, ganz
zu Sophiens Vortheil, auf. Wahlbergs Freund begnügt sich mit des Oheims
reichen und schönen Stieftochter, u. schlägt die Erbschaft aus, welche nun,
nach erhaltener Verzeihung, Wahlbergen zufällt. Dieses ist der Inhalt des
Stücks, worin wenig Handlung und Leben, aber desto mehr Charakterzeichnung
ist, eines Stücks von sehr abgemessenem und regelmäßigem Gange, das aber
einige humoristische Situationen enthält. Die Charaktere der Coquette und
ihres zuversichtlichen Liebhabers sind gut gezeichnet und werden von Madame
Fleck und Herrn Schwadke gut gegeben. Die Hauptrolle ist, aller angegebenen
Motive ungeachtet, - oder vielleicht eben deswegen - schwankend und nicht
befriedigend. Sie machte Herrn Beschort eben so viel Mühe als Ehre: sie ist
wirklich undankbar. Der sogenannte Philosoph (denn das ist er mehr als
Gelehrter) weiß nicht, ob er durch die Ehe glücklich oder unglücklich ist,
quält sich und die andern mit seinem Geheimnisse, wovon, wie er selbst sagt,
Stadt und Vorstädte unterrichtet sind, und will es nicht einmal seine vier
Wände hören lassen, daß seine Frau - seine Frau ist. Uebrigens ist das Stück
eine leichte, fließende, aber dabei zu sklavische Uebersetzung des
Philosophe marié, mit Beibehaltung aller damaligen Sitten, sogar der
Zuflucht zum Kloster. Bloß die Beschreibung des Afterphilosophen vom
polternden Oheim, und der Seitenhieb auf die neueste Philosophie, ist des
Uebersetzers Zusatz. Die Rolle des Oheims wird von Hrn. Herdt meisterhaft
vorgetragen, und hält das Stück, welches bald zu sinken droht, etwas in der
Höhe. Lisettens Rolle ist im Original, wo den Soubretten mehr verstattet
wird, viel interessanter. Das Stück wurde mit Kälte aufgenommen; am Ende
hörte man zugleich Beifall und Mißfallen. Der Souffleur hatte viel zu
thun.
Nationaltheater: Gelehrte, Der (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/395.
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