Den 4ten September: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand, Schauspiel in fünf Akten von Göthe. Nach des Verfassers neuer Bearbeitung Lang ist von dieser Umarbeitung die Rede gewesen; wir kennen sie nun endlich auch. Da das Stück so lang geworden ist, (es spielte bis 10 Uhr) und so mancherlei darin die Aufmerksamkeit fesselt, wird es schwer, gleich nach einmaliger Aufführung über sein Verhältniß zur ersten Edition bestimmt zu sprechen. Man wird natürlich auf die Beantwortung der Fragen gespannt seyn: Hat das Stück gewonnen? Von dem wodurch es vor dreißig Jahren so großes Glück gemacht hat, konnte ihm der Verfasser jetzt schwerlich etwas neues zulegen. Dazu gehörte erstlich das damals noch wenig gebrauchte Ritter-Kostüm; jetzt aber kömmt die Ritterzeit so häufig auf der Bühne vor, daß es Perioden gibt, wo die Hälfte aller Darstellungen in altdeutschen Kragen über die Bühne prunkt; ferner: eine Reihe verwegener, genialer Züge, welche zum Theil auch die (jetzt an Kotzebue viel getadelte) Natürlichkeit gewagter darstellen, als es jemals die Dichtung thunlich hielt. Die heutige Gefühlsart des Herrn von Göthe, scheint es, müsse doch vom Geschmack am letztern abgewichen seyn, und es kann hier nur befremden, daß noch so viel von Götzens Kernsprache stehn blieb. Wo indessen der schöne gefühlvolle Theil des Dialogs gefeilt ward, der Zauber jener klaren, bedeutenden, die Empfindung so leicht berührenden Sprache, in der Herr von Göthe so unübertreflich ist, da wird man freilich von dem, was die reifere Meisterhand vollendete, entzückend überrascht. Doch kann sich dabei der Zuschauer nicht gleich Rechenschaft geben, ob es zu der Haltung des Ganzen genau passe? So scheint es z. B. Adelheid von Waldorf, und gewissermaßen auch Franz, ständen in ihrem Ausdruck, für das Zeitalter des Stücks, in zu feiner – Idealität – da, um so mehr, da anderweitig so wenig von poetischem Charakter die Rede ist. Bei dem allem aber: wer wird sie nicht gern so hören! Die Veränderungen in der Handlung selbst, sind allerdings sehr zweckmäßig, doch das Ende ergreift wenig. Eine nähere Auseinandersetzung künftig, jetzt einiges über das Spiel. Herr Mattausch, (Götz) verdient hohes Lob. Er nimmt ganz den festen, altbiedern Ton an, der diesem stattlichen, obschon rauhen Helden ziemt, wendet Kraft und Feuer auf, wo sie hingehören, und redet an seinem Ort die Sprache des Herzens. Dies scheint demnach dem Gegenstande Genüge zu thun, bei dem allen wollen aber enthusiastische Freunde des verstorbenen Fleck die Parallele nicht ganz vortheilhaft für den dermaligen Götz ziehn. Ich lasse mich auf keine Entscheidung ein, mögte aber Herrn Mattausch, um ihn doch auch zu tadeln, einen Fehler vorwerfen, den manche freilich so sonderbar finden werden, als – ich jene Parallele. Ich meine nemlich, die körperliche Form des Herrn Mattausch sei zu schön für diese Rolle. Man wird freilich das Kräftige daran als passend rühmen, aber ich kann mich doch nicht von der Vorstellung eines eckigtern Götz trennen. – Adelheid von Waldorf wird in großer Vollkommenheit gegeben. Madame Bethmann ist darin meisterhaft. Vor allen Scenen hebt sie die im fünften Akt bei der nächtlichen Erscheinung heraus. – George macht Mlle. Mebus. Sehr artig steht der holden Gestalt das männliche Kleid, und ihr Spiel ist gewandt, feurig, schön. – Von den andern Rollen nächstens.
Den 6ten September gab man:
Götz von Berlichingen, Schauspiel in 5 Akten von Göthe. Nach der neuen
Umarbeitung
Ich versprach letzthin nähere Auskunft über die neue
Umarbeitung. Ihr Wesentliches ist eine genauere und ausführlichere
Charakteristik der Hauptpersonen. So geben uns einige hinzugefügte Züge und
Aeußerungen, Götzens Biederherzigkeit noch deutlicher an als sonst, und das
Flattersinnige, Intriguante und Bösartige Adelheidens ist weiter ausgesponnen.
Das letztre gab zu einer Scene Anlaß, die wirklich erschütternd ist, und es
durch das meisterhafte Spiel der Madame Bethmann noch mehr wird. Nachdem sie
nemlich Franz absendete, den Gatten zu vergiften, blickt sie ihm aus dem offnen
Fenster nach, und wird im mitternächtlichem Mondenschein eine schwarze
Mönchsgestalt gewahr. – Ihr Gewissen ängstigt sie; zitternd wird der Befehl
ertheilt, alle Pforten zu verriegeln: dennoch tritt der Mönch ein. Adelheid
sieht erst seinen Schatten, hält sich für wahnsinnig, ruft sich zur Ermannung
auf, wendet sich um, und sieht den Gefürchteten wirklich, – den Boten des schrecklichen
Vehmgerichts – Sie ruft alle ihre Wachen in höchster Verwirrung, wird von den
Speeren geschützt ruhiger, weiß aber noch nicht, ob es ein Gespenst oder
Wirklichkeit war. Dies ist der anziehendste Auftritt im ganzen Stück, besonders
da eine so kräftige und blühende Sprache darinn herrscht. Doch – auch abgesehen
davon, daß Adelheidens Charakter eigentlich, des Verhältnisses mit ihrem Diener
wegen, niedrig empörend ist, und man daher möglichst mit ihrem Anblick
verschont werden sollte, so theilt die neue Wichtigkeit desselben das ohnehin
sehr getheilte Interesse nur noch mehr. Das Verhälntniß Franzens zu seiner
Gebieterin, in welchem er Anfangs durch das hohe Jugendfeuer seiner Liebe
überrascht, bald aber durch Verworfenheit sich gehäßig macht; hat auch noch ein
weiteres Verfolgen des schönen Ausrufs: „So fühl ich denn in diesem Augenblick
was den Dichter macht: ein volles, ganz von Einer Empfindung volles Herz!“
veranlaßt. Da er nemlich nach der Unterredung mit Weislingen, wo er so in der
Beschreibung der Walldorf schwärmt, mit ihr eine Unterredung gehalten hat,
poetisirt er wirklich. Die Verse wollen indeß nicht meisterhaft gerathen. Sehr
lustig und satyrisch ist der kaiserliche Hauptmann dargestellt, wie er so
vielerlei weichliche Bequemlichkeiten im Felde mit sich führt. Göthe sah
bekanntlich auch moderne Heere. Fast sollte man vermuthen, er wolle einem davon
etwas anhängen.
Alles erwogen, so scheint mir, man darf doch die Frage: ob
das Stück durch die Umarbeitung gewonnen habe, dreist mit Nein beantworten.
Denn der untermischte verfeinerte Dialog, steht fremdartig zu dem Uebrigen, und
der achtsamen Aufmerksamkeit entgeht es sicher nicht, daß die Einheit verloren
hat. Von dem wodurch es sonst schon anziehend war, ist nichts hinzugefügt, und
der dramatische Hauptfehler, nach welchem es Noth thäte, bei jeder Verändrung
der Scene, durch eine angeschlagne Schrift bekannt zu machen, wo nun der
Schauplatz ist, und wie manches Jahr seit dem vorhergehenden Auftritt
verstichen sey, blieb.
Schon neulich hatte man vieles gestrichen, auch die letzte Vehmgerichtsscene, und ließ das Stück mit Berlichingens Tod enden. Das geschah heute, zum Vortheil der Geduld, wieder. Nur entsteht jetzt das Schlimme, daß man über Adelheids Schicksal nicht unterrichtet genug wird, und Adelheid interessirt in dieser Umarbeitung fast so sehr wie Götz selbst – Je öfter man Herrn Mattausch diese Rolle spielen sieht, desto lebhafter wird man hingerissen, und zu dem Ausspruch vermogt, daß er Fleck wirklich übertrifft. – Mlle. Maaß stellt die Maria recht brav dar, und Herr Beschort den Weislingen. – Die Liebhaberkälte Sickingens (Herr Bessels d. j.) ist doch wohl zu groß, drum hat auch die neu hinzugekommene hochzeitliche Prozession wenig Erfreuliches, auch kann man von den Chorknaben nur rühmen, daß sie dem Jahrhundert des Stücks treu erscheinen. – Herr Reinwald als kaiserlicher Hauptmann verdient Lob, auch Herr Kaselitz als Lerse. Durch den Franz war es vormals, daß das Berliner Theaterpublikum zum ersten Mal auf die Talente des Herrn Bethmann aufmerksam ward. Er spielt ihn jedoch jetzt nicht mehr so gut als damals, denn was er an höherer Kunst gewann, verlor er an Sprache des Gefühls. Das hübe sich auf; - aber er paßt jetzt mehr zu Rollen männlicherer Art, und dadurch tritt er gegen den sonstigen Franz zurück.
Götz von Berlichingen, von Göthe, nach dessen neuer Bearbeitung. Ein berühmter Künstler hatte ein Meisterstück verfertigt, eine Bildsäule von Bronze, antiker Form, aus einem Guß. Sie war lange die Bewunderung der Kenner gewesen, und zierte den Garten eines mächtigen Fürsten. Dieser starb, und sein Nachfolger liebte die Vergoldungen. Der Künstler, ihm zur Liebe, vergoldete und verdarb sein Werk. Die Zierde des alten deutschen Geschmacks ist zum Spielwerk des neuen herabgesunken. Götz von Berlichingen ist halb antik, halb modernisirt. Aus einem ewigen Original ist ein alltägliches Mittelwesen geworden. So klagte ich im Innern bei der Vorstellung, so darf ich bei der Anzeige öffentlich klagen. Göthe hatte sich auf eigenem Wege, hin in das 15te Jahrhundert zurückgearbeitet; er hatte ein treues, schönes, starkes Denkmahl geliefert. Er durfte es, ein zweiter Pygmalion, bewundern und lieben: er durfte es aber nicht anrühren und verbessern. Götz mußte bleiben mit allen seinen Schönheiten und Mängeln, verstümmelt und rostig, wie ein verehrungswürdiges Fragment des Alterthums. Jede Bewunderung des neuen Stücks ist eine Blasphemie, ein schneidender Vorwurf für den Verfasser, der sein heutiges krankes Publikum kennt, es bestechen, gewinnen – betrügen, ja, was noch schlimmer ist, ihm huldigen und schmeicheln wollte. Zugegeben, daß die angebrachten Veränderungen – Schönheiten sind, so sind es doch Kopien aus fremden Schulen, angeflickte Lappen von Gold- und Silberstoff auf dem Wamse eines alten deutschen Ritters. Rein weggelassen sind die Hofsitten und Ränke, die Koketterie der Buhlerinnen u. Gelehrten, und ein großer Theil des innern Hauswesens zur Zeit des 15ten Jahrhunderts. Dagegen schimmert in den meisten Veränderungen das 18te Säkulum mit seinem Flittergolde durch. Nur Selbitz ist antik gezeichnet. Sein Auftritt mit der Hausfrau ist von großer Schönheit. Aber Auftritte wie der Trauungsaufzug, das Tischgebet und die Toasts, der Reichshauptmann im Lager, u.s.w., sind auf die äußern; Auftritte wie die Erscheinung im Zimmer der Adelheid, auf die innern Sinne; jene auf das Mechanische der Bühne, diese auf das Mechanische der Seele berechnet; verfehlen ihren Eindruck nie; sind aber im Grunde nur – Behelfe mittelmäßiger Dichter. Wie schön dagegen die wirkliche Erscheinung Mariens, der Tod Götz’s u.s.w! Adelheids Liebelei mit Weißlingen (dieses Meisterstück der alten Koketterie) ist ganz weggelassen; dagegen das brennende Gemählde ihrer Liebe mit Franz; mit noch brennendern Farben aufgefrischt, und theils empörend, theils unsittlich aufgestellt. Im alten Götz wird Franz stufenweise gezogen, verführt; der neue Götz stürzt ihn mit einem Stoß in den Abgrund hinab. Gleich wohl gehören diese Scenen zu dem, was in dieser Gattung am stärksten und leidenschaftlichsten gefühlt werden kann, und sind psychologisch unschätzbar. Nur die erste, mit dem Staar, mit Bitte, bitte! mit dem gereimten Register der Empfohlnen, ist mehr als lächerlich; sie ist läppisch, und würde, von einem unbekannten Verfasser aufgestellt, bestimmt ausgepocht werden, so sehr versündigt sie sich an dem dramatischen Geschmack aller Jahrhunderte. Ungern vermißt man auch in der jetzigen Darstellung die Beweggründe, die Weisslingen zum Abfall von Marien zur Adelheid vermögen, seinen Kampf mit Ehre, Herz u. Gewissen u.s.w.; denn Franzens Beschreibung ihrer Schönheit kann doch wohl nicht für hinreichend angesehen werden? Wie schön ist dieses alles nicht im alten Götz nüancirt und bearbeitet? Jetzt erfahren wir weiter nichts, als: sie sind getraut, Weisslingen ist untreu. Auch sind seine spätern Auftritte mit seiner nunmehrigen Gattin recht eigentlich ehekalt und nüchtern. Eine gerechte Strafe für die ausgelassenen Liebhaberauftritte! – Von der Vorstellung nur so viel: Herr Mattausch gab den Götz und gab ihn mit gediegenem Werthe, mit vollem Gehalt, nicht zu jung, zu stark, zu hingerissen; mit ruhiger Kraft, tiefem Gefühl für Recht und Zärtlichkeit und den wirklichen Sitten seines Zeitalters. Die Scene mit dem Mönch – verunglückte von beiden Seiten. Als Episode ist sie schön. Es heißt, Göthe habe den Martin Luther darstellen wollen; sey es oder sey es nicht, so viel ist gewiß, der Auftritt hält die Handlung unnöthigerweise auf. Leser und Zuschauer fragen sich zuletzt immer: Wozu dieses Begegnen? Wie gehört es hieher? Die Scene ist wie eine Novelle im Don Quichotte oder Gilblas. Ungeduldig über die Hauptbegebenheit, möchte man sie überspringen, und lieset, höret, bewundert sie nur dann, wenn man das Uebrige schon vorher weiß. Allein Drama und Roman sollten doch auf den ersten Eindruck, nicht auf den wiederholten berechnet seyn. Mad. Böheim ist ganz zur Elisabeth, Dlle. Quenzel wenig zur Maria geeignet. Sie wäre beinahe am Pathetischen gescheitert. Ihr Spiel und Organ reicht zu tragischer Kraft nicht zu. Der hohe Ausdruck des Schmerzes ist nicht in ihrer Gewalt. Sie kann nur das Sanfte, Schmachtende mit Erfolg aussprechen. Dlle. Unzelmann gab den Georg sehr brav; doch kommt ihr die liebenswürdige Rolle auf halbem Wege entgegen. Der neue Götz erleichtert Hrn. Beschort die seinige (den Weißlingen). Sie verliert viel darin: das gebliebene, besonders der letzte Auftritt wird vom Künstler mit großer Wirkung dargestellt. Hr. Stich (Franz) spielte stark und lebhaft, nicht zu jung, aber zu modern. Mad. Bethmann (Adelheid) mit aller Feinheit, Liebe und Scheue ihres Zeitalters. In der letzten Scene reißt sie unwiderstehlich den Zuschauer auf den Punkt hin, wo sie selbst steht. Herr Kaselitz (Selbitz) spielt den ersten Auftritt mit vielem Interesse, gebehrdet sich aber auf dem Schlachtfelde zu ungebährdig. Herr Bessel (Sickingen) ist feierlich-kalt. Dem Mönche (Hrn. Lemm) hört man es nicht genug an, daß der Wein ihm die Zunge löset; sein Geheimniß entfährt ihm nicht unwillkührlich. Er erregt kein steigendes Mitleiden. Man unterscheidet gleich anfangs in ihm den Menschen vom Mönche. Er verwechselt gleich anfangs den physischen Menschen mit dem moralischen und wird zutraulich, noch ehe er die Stärke des ungewohnten Weins erprobt hat. Dieses hätte dem einsichtsvollen schätzbaren Künstler nicht entschlüpfen müssen. Er mußte erst scheinen, dann seyn. Er war ja Mönch! – Im neuen Götz wird ein paarmal gelacht. Im Götz – gelacht!! Man denke! J. C. F. R.
Nationaltheater: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/438.
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