Der Roman des Stücks ist
folgender: Ein junger Mann, Namens Selicour, beim Büreau des Ministers Narbonne
angestellt, hat, obschon ohne Talent und Wissenschaft, und mit einem verworfnen
Charakter, die Gewandtheit, sich als einen ausgezeichnet fähigen und redlichen
Mann zu geben. Fein weiß er den Verdacht der Unwissenheit von sich zu
entfernen, wenn er über ihm unbekannte Dinge gefragt wird, die Arbeiten
geschickter Subalternen eignet er sich zu, prunkt sogar mit fremden Witz und
fremder Poesie. So ist er denn aus dem Staub heraufgestiegen, hat, bei des
Stückes Anfang, schon den bedeutendsten Einfluß auf den sehr thätigen und
rechtschaffnen Narbonne, und nähert sich einem Gesandschaftsposten, und der
Hand der Schwester des Ministers. Da steht aber la Roche, ein Unterbedienter
des Büreaus, sein Jugendkamerad, dem er seinen Posten nahm, um den Vetter des
Kammerdieners anzustellen, wider ihn auf, und klagt ihn beim Chef des
Departements an. Selicours Schlauheit gewinnts aber über ihn, er behandelt
sogar seinen Feind mit scheinbarer Großmuth, und setzt sich nur in desto beßre
Meinung. So weiß er auch den Zufall, daß ein einfältiger gutherziger Verwandter
aus seinem Dorfe nach Paris kömmt, um durch ihn sein Glück zu machen,
vortheilhaft zu benutzen, und erwirbt durch die Humanität, womit er ihn vor den
Augen des Ministers behandelt, vielen Beifall; ob der junge Bauer gleich
hernach verächtlich weggejagt wird, und man dabei erfährt, daß der bereits
reiche Emporkömmling seine Mutter darben läßt. Der Minister fordert ein
Memoire, welches der Regierung den bisher getriebenen Unfug in gewissen
Geschäften wahrhaft berichten soll. Firmin, ein unterrichteter, für
Rechtlichkeit glühender Mann, hat ein solches bereits entworfen, und Selicour
schwatzt es ihm ab; worauf es der Minister als seine Arbeit erhält. An
demselben Tage ist ein Fest in Narbonnens Hause. Die Mutter wünscht ein Gedicht
für Charlotten; Selicour wendet sich an Firmins Sohn, einen jungen Offizier,
der Talent der Dichtkunst hat, und giebt die Verse desselben für eignes Produkt
aus. Der nemliche Offizier hat aber auch Charlotten gesehen, und liebt sie, mit
vieler Hofnung von ihrer Seite, doch muß er schweigen, da der Minister und
seine Mutter den blendenden Selicour allenthalben vorziehn. Dieser gedeiht
immer mehr, und ist im Begriff sein volles Glück zu gründen, als jener la Roche
neuerdings ihn angreift. Der Gegner hat aus der Erfahrung gelernt, daß offne,
wahre Anklage nichts vermag, und daher auf Umwege gesonnen. Der Minister
unterhält in einer entfernten Vorstadt ein Frauenzimmer, die alte Witwe eines
armen, gebliebenen Offiziers. La Roche bindet dem Selicour auf, dies sey eine
heimliche Buhlschaft, bei welcher Narbonne jetzt grade eines verschwiegnen
Mannes benöthigt sey. Selicour sieht dies als die Gelegenheit an, ein nur
unentbehrlicherer Günstling zu werden, und erbietet in dem Betracht seine
Dienste. Das macht den redlichen unbescholtenen Mann aufmerksam, und la Roche
bringt es dahin, daß Selicour näher geprüft wird. Erwähntes Memoire ward
unterdessen ans Gouvernement gesandt, welches, damit sehr zufrieden, dem
Verfasser eine Beförderung zuerkennt. Das Rescript ist eingelaufen, der
Minister fingirt aber, da Selicour erscheint: er habe, weil man höhern Orts auf
den dreisten Styl der Schrift aufgebracht sey, eben seine Entlassung bekommen.
Sogleich ist die lebhafte Anhänglichkeit Selicours verwandelt; da man aber
hinzufügt: der Verfasser der gedachten Schrift solle ausgemittelt und hart
bestraft werden, erklärt er, daß es nicht von ihm herrühre, wogegen der
redliche Firmin sich sogleich nennt. Während des scheinbaren Mißgeschicks faßt
auch der junge Offizier Muth, seine Gefühle für Charlotten laut werden zu
lassen. Nun ändert der Minister die Sprache, entfernt den Entlarvten, wünscht
Firmin zur Gesandschaftsstelle Glück, und erklärt dessen Sohn zum Bräutigam
Charlottens.
Schiller hat gegen das
Original (L’art de parvenir) den Umfang erweitert, deutlichere
Charakterzeichnung, und gehaltvollere Diction hinzugefügt. Die Hauptfigur ist
Selicour. Es ist, obschon im gemeinen Leben eine gewöhnliche Erscheinung, doch
eine Seltenheit auf der Bühne, weil da die Betrüger der Wahrscheinlichkeit
halber, gewöhnlich mehr Capazität außer der Gabe der Schlauheit bekommen. Doch
interessirt er nur durch die ersten vier Akte lebhaft, und spannt da die Erwartung
immer höher. Im fünften bleibt man ziemlich unbefriedigt, da der langgeübte
Künstler der Intrigue dem ersten Versuch eines Anfängers erliegt. Wie der Plan
zu seinem Sturz anhebt, ist die Erwartung berechtigt zu glauben, Selicour werde
ihn zu verspotten wissen, und die Neugier nach seinen abermaligen Hülfsmitteln
wird nun um so mehr rege. In der wahren Welt wäre auch immer eher zu vermuthen
gewesen, daß der einmal so weit gestiegne den Gipfel seiner Absichten gewonnen
hätte. Zwar entschuldigt es der Dichter gewissermaßen mit dem letzten Wort des
Stücks; es heißt: Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne! Wenn aber der Ausgang
gleich bei Schillers Bearbeitung ungewöhnlicher vorauszusetzen war, so ist
sonst doch die Construktion des Stücks meisterhaft, und seine Vorstellung
gewährt in Berlin durch Herrn Iffland das höchste Interesse. Wir lernen den
universellen Künstler hier wieder von einer ganz neuen Seite kennen. Der Raum
legt mir aber auf, die weitere Entwickelung des Spiels überhaupt bis auf die
nächste Vorstellung auszusetzen.
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Dies Lustspiel (oder vielmehr ernstes Sittengemälde) lehrt uns, wie neulich schon erwähnt ward, Herrn Iffland von einer ganz neuen Seite kennen. Viele haben nemlich gemeint, das Gebiet dieses großen Sittenschilderers begränze sich auf der Bühne, homogen, mit seinen schriftstellerischen Werken, die hauptsächlich das mittlere bürgerliche Leben, in seinen ernsten und komischen Gestalten ergreifen. Darüber hinaus gestanden sie noch das höhere romantische Fach, und antike und ideelle Darstellungen (als Antonius, Pigmalion,) zu. Aber er ist doch noch vielseitiger. Als Selicour malt er jenen esprit de conduite; der auf Abgeschliffenheit, feine Beobachtung nahliegender Verhältnisse, und plangerechten Gang nach Verstandescalcül, bei übrigens flacher Charakterlosigkeit, gestützt ist, und der in den höhern Regionen der Stände so häufig vorkömmt, auf das meisterhafteste. Seine ganze Haltung schmeichelt zugleich, und macht sich gelten; der Ton seiner Rede ist gefälliges Zuvorkommen und Assüranz; sein Mienenspiel, es sey beim Ueberreden, oder Herauswickeln aus Verlegenheiten, vergiebt sich nimmer etwas, und ist voll scharfer aufmerksamer Beobachtung, ohne daß sich diese wieder deutlich lesbar giebt. Sogar der Contrast der Hypokrisie, wenn er sich einmal selbst überlassen ist, erscheint behutsam. Dies findet sich besonders in den höchst wahr gegebenen Scenen mit dem Kammerdiener des Ministers, und dem vom Lande gekommenen Vetter. Dabei versteht Hr. Iffland das Optische der Schauspielkunst zu solcher Illusion anzuwenden, daß man ihn in dieser Rolle fast nicht wieder erkennt. Er tritt hier, dem Anschein nach, in einer ganz andern Gestalt auf. Man kann das jugendliche Gesicht, die Schlankheit, gar nicht begreifen. Bei der ersten Aufführung dieses Stücks ward der Zuschauer hernach noch mehr befremdet, da an dem Tage auch die Sparbüchse gegeben ward, wo er wie die Hektik selbst aussah. Es wird nachgerade wohl anzuerkennen seyn, daß Hr. Iffland an Universalität Schrödern hinter sich läßt. Um davon noch mehr überzeugt zu seyn, wäre nichts mehr zu wünschen, als daß er auch die beyden optischen Extreme Schröders: Fallstaf und Harpagon, einmal spielte. Doch muß man beim Selicour gestehen: daß der Abgang Hrn. Ifflands im fünften Akt, so sehr die ganze Rolle vorher auch interessirte, keinen Eindruck macht. Hierüber ist wohl zu sagen, die Leerheit ist dort im Stück; wir haben aber oft gesehn, (und noch vor kurzem bei einem sehr mittelmäßigen Produkt) daß Hr. Iffland aus seinem Talentreichthum Leerheiten sehr glücklich zu füllen weiß. Warum geschieht hier also nichts? Vielleicht weil Schiller Verfasser des Stücks ist, was denn zweyerlei Deutungen zuließe. – Nach Hrn. Iffland verdient in diesem Stück Hr. Reinhardt die ausgezeichnetste Erwähnung. Feiner, würdevoller Weltton, mit Humanität gepaart, und einfache Rechtlichkeit, sind die Materialien, aus welchen der Schauspieler Narbonnens Darstellung zusammen setzen muß; und Herr Reinhard thut es durch Gestalt, Betragen und Rede in dem Grade, daß wirklich nur die Chikane Tadel gegen ihn ersinnen kann. Es giebt wirklich ein Fach, worin Hr. Reinhardt unsrer Bühne sehr schätzbar werden wird, es mittelte sich nur noch nicht gehörig aus. Bis das geschah, hat in Berlin ein Künstler immer mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, dann aber darf er der Gunst des Publikums um so gewisser seyn. Dabei ist auch zu erwägen, daß durch die Zeit und die neuern Produktionen, die Zahl der theatralischen Fächer vermehrt wird. – Hrn. Mattausch, als la Roche, gebührt das Lob, daß er die Unwahrscheinlichkeiten seiner Rolle in ein glaublicheres Licht setzt, und dadurch viel zum Interesse des Stücks beiträgt. Das etwas geniale jugendliche Ergreifen seines Vorsatzes, Selicour zu verderben, und die Beharrlichkeit bis ans Ziel gelingen ihm sehr wohl. – Herr Holzbecher will den jungen Robineau gern recht gut geben, das nimmt man wahr; es mißlingt ihm auch nicht ganz. Um aber seine löbliche Absicht eher zu erreichen, müßte er ein mehrseitiges sorgsameres Studium eingehn. Nur das giebt den Takt des quantum satis, der so wichtig für den Schauspieler ist. – Die weiblichen Rollen treten wenig hervor, doch werden sie mit Wahrheit ausgeführt, Mlle Döbbelin und Mlle Mebus spielen Mutter und Tochter. – n –
Nationaltheater: Kunst sein Glück zu machen, Die [Der Parasit] (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/443.
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