Den 29sten Januar zum Erstenmale: Chamarante, dramatisirte Anekdote aus dem Leben Ludwigs XIV. In einem Werke der Frau von Genlis wird erzählt: Ludwig habe, in seinen jüngeren Jahren, den Kämmerling Chamarante an ein Hoffräulein gesandt, um ein abendlich Rendezvous einzuleiten, der Zufall aber gewollt, daß dieser Chamarante und das Fräulein sich schon liebten, worauf der König, nach einem nicht leichten Selbstkampfe, entsagt, und beide verbunden habe. Dies ist des kleinen Dramas Stoff, den der Dichter mit einem Maler bereicherte, der dem Könige ein Gemälde zeigt und deutet, worauf sich Alexander in dem Augenblick dargestellt findet, wo er Apelles und Kampaspe (welche der Eroberer bekanntlich auch liebte) vermält. Des jugendlichen, ehrgeitzigen, für das Urtheil der Geschichte entflammten, Königs Einbildung, wird hier aufgeregt und sie besiegt die Leidenschaft. Kein Zweifel, daß der wirkliche Ludwig, auch nur an seinen Ruhm denkend, schwere Großmuth leichter Gewaltthat vorzog, so glaubte vielleicht der Dichter es sich gestatten zu dürfen, zur näheren Versinnlichung und zum Befördern des Theatereffekts das Bild einzumengen. Ganz vortrefflich, mit ächt künstlerischer Einsicht in den Geist der Rolle, gab der Herr Bethmann den König. Scharf war jede Steigerung der Leidenschaft bezeichnet, höchst edel stellte er sich in dem Selbstkampfe dar, und verlor die Monarchenwürde keinen Augenblick aus dem Gesicht. Wie ihn das Gemälde traf, traf er auch wieder die sichtbar gerührten Zuschauer. Höchst eindringend sprach er unter andern in dem einen Monolog die Worte: „Rühmt man mir einen Tapfern, gehört oft die That, der ich der Ehre Lohn spende, einem Andern oder dem Zufall; wird mir ein Talent empfohlen, hat sich oft die Mittelmäßigkeit durch höfelnde Künste gültig gemacht; preisen mich die Künste, buhlen sie um Lohn; schwören mir die Vertrauten Ergebung, wollen sie höher steigen, ja, man betrügt mich, betrügt alle Könige und die gutmüthigen am frechsten u. s. w.“ Der Moment, wo noch einmal die Leidenschaft ihre Rechte behaupten will, wo er ruft: „ach es giebt mir den Tod,“ und Fräulein d’Argencourt (von Mlle. Maaß sehr lobenswerth gegeben) entgegnet: Ew. Majestät reden von Tod und sind auf dem Wege zur Unsterblichkeit“ wo ihn nun das Wort Unsterblichkeit ergreift, ermannt, und die wahrhaft groß gesprochene End-Rede, erwarben ihm jenes Bravo einzelnen gerührten Zuschauern unwillkührlich entflohn, das dem Künstler mehr schmeichelt als geräuschvoller Beifall, der ihm übrigens nach gesunkenem Vorhang ebenfalls gezollt wurde.
Nationaltheater: Chamarante (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/456.
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