Abbee de l' Eppee, übersetzt von Kotzebue. Dies Schauspiel, daß in Paris so sehr gefallen, auf einigen deutschen Bühnen aber mißfallen hat, brachte hier eine schöne Wirkung hervor. Man nahm es mit großem und allgemeinem Beifall auf. Das Stück selbst ist zu bekannt, und zu oft beurtheilt worden, als daß ich hier viel darüber zu sagen brauchte. Bemerkt verdient indeß die Feinheit zu werden, mit welcher der Dichter die erschütternde Scene, wo der unnatürliche Oheim durch die Drohung seines Sohnes bewogen wird, den jungen Grafen von Solar anzuerkennen, nur erzählen, nicht auf der Bühne darstellen läßt. Dies ist gar nicht im Sinne unsrer mehrsten neuen Dichter, die sich diese Hauptaction nicht würden haben entgehen lassen; und doch wäre sie zu groß am Schlusse eines Gemähldes, daß mehr geeignet ist, uns in eine wehmüthig frohe Stimmung zu setzen, als zu erschüttern. Madame Unzelmann entlockte durch ihr naturvolles, schönes Spiel (als Taubstummer) jedem Auge Thränen. Den besten Beweis der Wahrheit ihres Spiels, gaben die im Schauspiel anwesenden taubstummen Schüler des Herrn Professor Eschke, die ihren Dank der Künstlerin schriftlich zollten. „Ich will Ihnen schreiben, drückt sich einer derselben (Herr Habermaß) aus, was ich gestern gesehen habe, weil ich glaube, daß es Ihnen Freude machen wird, und daß Sie es gern lesen. Sie, verehrungswürdigste Madam, wissen, daß ich nichts gehört, was die Schauspieler sprachen, sondern nur gesehen habe was sie thaten. Ihre Pantomime habe ich ganz accurat verstanden; ein Beweis, daß Sie über Ihr Spiel nachgedacht haben, und daß Ihr Spiel gut war.“ Ein anderer Brief, welchen die Künstlerin erhielt, ist zu naiv, als daß ich ihn nicht ganz hier einrücken sollte: Meine allerwertheste, hochachtungswürdigste Madam Unzelmann ! „Es ist mir lieb, daß ich Sie gestern den Taubstummen spielen sah, und mit Vergnügen schreibe ich einen Brief an Sie, meine liebste Madam! Ich hoffe, daß Sie den Brief nicht unfreundlich aufnehmen – ich bitte, daß Sie meine Freiheit nicht ungütig nehmen. Ich wünsche Ihnen alles Gute, ein schönes, langes Leben, und beständige Gesundheit. Mein bester Erzieher sagte mir: ‚wenn sie das Schauspiel gesehen haben, wollen sie wohl einen Brief an die liebe Madam Unzelmann schreiben?’ Ich hatte gleich Lust dazu. Das ganze Taubstummeninstitut war gestern in der Komödie, wir waren zusammen 17 Personen. Ich bezahlte nichts an der Kasse, ich glaube, daß Herr Professor Eschke es berechtigt hat. Es war ein angenehmer Abend. Sie hatten sich Kleidungsstücke angezogen, wie eine Mannsperson, und spielten den Taubstummen recht schön. Wie die Erden ist erfreut die Sonne So erfreust Du mich, und ächte Wonne Fühle ich im Herzen warm. Ein Dichter könnt’ in schönen Bildern Dieselbe Dir recht lebhaft schildern, Meine Zunge ist wortarm. – Ich kann es nicht so sagen, was ich fühle. Ein Dichter könnte meine Freude beschreiben und schöne Vergleichungen machen. Aber ich bin wortarm. Der liebe Herr Schwarz machte Ihren Lehrer, er hatte eine schwarze runde Mütze auf dem Kopfe, ich glaube, daß diese Mütze aus Leder gemacht war. Ihr Oheim war ein sehr böser Mann, aber ihr Lehrer ein sehr lieber Mann. Er zeigte Ihnen, was er sagen wollte, durch Pantomime, wie die Taubstummen im Institute des guten Herrn Professor Eschke. Ich empfehle mich herzlich Ihnen, meine liebste Madam Unzelmann, auch Ihrem lieben Gemahl, allen Ihren Freunden und Freundinnen, auch sämmtlichen Schauspielern und Schauspielerinnen, und wünsche Ihnen aus treuem Herzen Glück und Segen. Ihr / gehorsamster Diener / von Schulzendorff, ein Taubstummer.“ Wie sehr verdiente Madam Unzelmann durch ihre Kunst dies ungekünstelte Lob ! Den Abbe de l’Epee machte Herr Carl Schwarz, ein hier durchreisender Künstler. Das Publikum war gerecht, indem es ihn, da er zum Erstenmal in dieser Rolle auftrat, herausrief, und ihm laut und einstimmig seinen Dank für den Genuß zu erkennen gab, den sein vortreffliches Spiel gewährt hatte. Ich bedaure, daß der Raum dieser Blätter mich hindert, mich auf eine umständliche Zergliederung seiner Darstellung, und die Entwicklung einzelner Schönheiten einzulassen. Er hatte den Ton des Charakters scharf und wahr aufgefaßt, und führte ihn mit Treue durch. Man sah ganz den alten gutmüthigen Mann in ihm, dessen äußere Bildung durch sein Geschäft einen gewissen Anstrich erhalten hat, der leise an Pedanterie erinnern würde, wenn die überwiegende Gutmüthigkeit und der Scharfblick des gebildeten Geistes, die überall durchblicken, die Idee lebhaft werden ließen. Sein Organ ist rein, angenehm, und seine Deklamation so durchdacht als richtig – seine Mimik einfach und voll Ausdruck. Auch Herr Schwarz erhielt nach der ersten Vorstellung mehrere Briefe von taubstummen Schülern des Herrn Professor Eschke. Ich will einen dieser Briefe hersetzen, weil er mir Gelegenheit giebt, noch eine nicht unwichtige Bemerkung über die ganze Darstellung zu machen. Mein bester liebster Herr Schwarz! „Im Theater war gestern das ganze Taubstummeninstitut, siebzehn Personen an der Zahl. Sie spielten einen Lehrer der Taubstummen, und gewannen dadurch die Neigung der Taubstummen. Sie machten Ihre Pantomimen recht gut, nur gefiel es mir nicht wie Sie das Sterben zeigten. Ich will Ihnen vormachen, wie wir Taubstummen das Sterben bezeichnen. Glückliche Reise wünscht von Herzen Ihr / gehorsamster Diener / von Schulzendorff, ein Taubstummer.“ Was in diesem Briefe, in Hinsicht der Pantomime, wodurch Herr Schwarz das Sterben bezeichnete, bemerkt wird, wurde von mehrern Personen, die sich näher mit der, in dem hiesigen Taubstummeninstitut üblichen conventionellen Sprache bekannt gemacht hatten, bemerkt, auch von der Pantomime der Madam Unzelmann, und zwar als Tadel angeführt. Nie war indeß ein Tadel unbegründeter. Mit Recht ließen die Künstler sich auf das – hier oder in irgend einem andern Institut conventionell gewordene nicht ein, sondern hielten sich blos an dem Allgemeinverständlichen, wozu es des Unterrichts keines Instituts bedarf; und da war die Pantomime des Herrn Schwarz gewiß ohne Tadel. Auch in den andern Rollen, in welchen Herr Schwarz während seines kurzen Aufenthalts hier auftrat, (als dem Zimmermeister Klarenbach, im Advokaten, von Iffland, und Plum, in Armuth und Edelsinn, von Kotzebue,) erhielt er einen gleichen, verdienten Beifall.
Nur Hr. Beschorr,
Mad. Unzelmann und Demos. Döbbelin spielten heut als Künstler. Die übrigen
alle lieferten vor offner Lade ihre Handwerkerarbeit ab. Hatte Herr Iffland
im Regulus zu erhabnen Ahnungen in hohe Regionen mit sich fortgerissen, so
ließ er hier kalt, ergriff nirgend und leistete nur seinen Pflichttheil.
Freilich war dieses noch recht gut anzunehmen, aber es war doch nur das
Pflichttheil. Hr. Bethmann gab sich Mühe, leistete aber keinesweges, was er
sonst in dieser Rolle zu leisten pflegt. Demois. Eigensatz, welche sonst die
Rolle des Fräuleins sehr angenehm spielt, muß krank gewesen sein, denn sie
ist ihre Rolle gegangen; reden hörte man sie nicht, und war dabei
antheillos, kalt. Das Zeugniß des Arztes wird sie vor einer Rüge der
Direktion gesichert haben. Mad. Herdt als Fr. v. Franval war recht gut; doch
kann ihr Aeußeres die alte Edeldame mehr zeigen, als sie es that. Hr.
Kaselitz als Darlemont war im Ganzen recht gut, und das Gedächtniß schien
ihn hier und da zu verlassen, weshalb er denn auch seine Verlegenheit so
stark und in solchen Pausen mahlte, wie es nur bei der ehemahligen rothen
Beleuchtung unsers alten Theaters nöthig war, um sichtlich verstanden zu
werden. Hr. Böheim malte die Gewissensangst des alten Kammerdieners so
täuschend, daß er etliche mal um diesen qualvollen Zustand recht sichtbar zu
machen, stotterte, und einmal ganz stecken blieb. Hr. Greibe verdient in
Rollen wie der alte Bediente angeführt zu werden.
Den 11ten: Der Abbé de l'Epée. / Da, wie bekannt, die Französischen Schauspieler sowohl die tragische Deklamation als das komische Spiel übertreiben, und ihr Publikum zu beiden Extremen gewöhnt haben, so kann natürlicher Weise, in Frankreich, das Drama, das bürgerliche Trauerspiel, das ernsthafte Schauspiel, nur sein kleines Publikum finden. Nicht so in Deutschland, wo treue Darstellung der Natur des großen Schauspielers größtes Verdienst – und zwar mit Recht – ist; wo folglich Schauspiele, wie der Abbé de L'Epee, von einem Iffland, einer Bethmann gehoben, auf sichern, dauernden Beifall rechnen können. Diesmal wurde die Geschichtserzählung und die stumme Scene am Ende, wo Solar sein Vermögen mit St. Alme theilt, erstere so interessant, so vergegenwärtigend vorgetragen, letztere so rührend, so ausdrucksvoll dargestellt, daß man sie – zum erstenmale zu hören und zu sehen glaubte. Herr Kaselitz verrieth nur so viel Unruhe und Seelenangst, als erforderlich war, den Abbé zu der Erklärung zu berechtigen: "Das Dokument ist falsch." Seine angenommene Kälte, sein Trotz, sein väterliches Ansehn, sein Ansichhalten mit Dupré; vor allem, sein Kampf mit sich selbst, zeugten von Ueberlegung und Kunst. – Nur Schade, daß die Geschichte des Taubstummen nicht ganz mit der Wahrheit übereinstimmt; wenigstens die Sache vor Gericht unentschieden geblieben u. verglichen worden ist.
Nationaltheater: Abbé de l'Epée, Der (bearbeitet von Klaus Gerlach), Berliner Klassik, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003-2013. URL: https://berlinerklassik.bbaw.de/nationaltheater/theaterstueck/47.
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